Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Begeisterung für "Bruder Hugo"

Indien und Venezuela stärken wirtschaftliche Zusammenarbeit

Von Hilmar König, Delhi*

Venezuelas Präsident Hugo Chavez kann auf einen erfolgreichen Besuch in Indien zurück blicken. Gestern [7. MÄrz 2005] beschloss er in der Software-Hochburg Bangalore seine viertägige Visite.

Indiens Außenminister Natwar Singh mag sich an die Blütezeit der Bewegung der Blockfreien erinnert haben. 1983 war er als Staatssekretär der Cheforganisator des Paktfreien-Gipfels in Delhi. Er erlebte wie Fidel Castro spontan Indira Gandhi umarmte. Nun war es Venezuelas stämmiger und charismatischer Präsident Hugo Chavez, der zu Beginn der viertägigen Indienreise geradezu ungestüm seine schmächtigen Gastgeber Präsident Abdul Kalam und Premier Manmohan Singh an sich drückte.

Aber es waren nicht nur diese Gesten, die Erinnerungen wachriefen. »Dieses Jahrhundert gehört Asien, Afrika und Lateinamerika. Wenn wir zusammenstehen, können wir zur stärksten Kraft in der Welt werden«, erklärte Chavez vor begeisterten Zuschauern im Rabindra-Sarovar-Sportstadium von Kolkata (Kalkutta). In der gemeinsamen Erklärung betonten die indische Führung und der venezolanische Gast dann auch die Notwendigkeit der Wiederbelebung der Blockfreien-Bewegung, so dass diese zu einem wichtigen »Pol in einer multipolaren Welt, einer kollektiven, pragmatischen und seriösen Stimme des Südens wird«.

In diesen Rahmen passte die bedingungslose Unterstützung von Chavez für Indiens Bemühen, ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat zu werden. Eine reformierte UNO sei erforderlich, um die neuen Realitäten in der Welt zu reflektieren, heißt es dazu in der Erklärung.

Ungewöhnlich war auch, dass Chavez in der indischen Hauptstadt aus seiner Gegnerschaft zu den USA – »gegen die Bush-Regierung, nicht gegen das Volk«, wie er sagte – kein Geheimnis machte. Auch nicht, als er vor der Föderation der prowestlich eingestellten Industriellen auf Washingtons Destabilisierungsmanöver gegen seine Regierung einging, obwohl die USA seit Jahrzehnten Erdöl aus Venezuela beziehen. Chavez nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund, als er Präsident George W. Bush des Umsturzversuchs in Venezuela anklagte. Und er bezichtigte Washington dreister Lügen, wie im Fall der nie gefundenen Massenvernichtungswaffen in Irak.

Wo »Bruder Hugo« auftrat, flogen ihm die Herzen zu – vor Software-Ingenieuren in Bangalore, bei der Essenausgabe in einem Slum von Kolkata und bei seinen Gastgebern von der kommunistischen Landesregierung in Westbengalen. Vor allem die Studenten an Delhis Jawaharlal-Nehru-Universität feierten Chavez als Hoffnungsträger der globalisierungskritischen Linken. Gefragt, warum er sich zu den Kommunisten zähle, obwohl deren Gesellschaftskonzept gescheitert sei, antwortete er: »Ich fühle mich den Kommunisten sehr verbunden. Fidel Castro ist wie ein Bruder zu mir. Ich bin ein Verbündeter der Kommunisten, aber ich bin kein Kommunist. Dazu bin ich nicht ausgebildet worden. Ich bin ein Patriot, ein Nationalist.« Er schätze die Politik, die einst Nehru und Ägyptens Präsident Gamal Abd el Nasser betrieben. Er habe Karl Marx gelesen und bewundere dessen Werk. Er sei nicht gegen Privateigentum, aber es habe sich den nationalen Interessen unterzuordnen. Einem neu entdeckten und neu definierten Sozialismus gehöre die Zukunft.

Dass die indische Regierung sich einen derart linken Besucher eingeladen hatte, ist jedoch weniger ideologischer Nähe geschuldet als viel mehr von ökonomischer Notwendigkeit diktiert. Indien braucht für seine boomende Wirtschaft Erdöl und Venezuela bietet es großzügig an. Unter den sechs Abkommen, die während des Chavez-Besuchs geschlossen wurden, besitzen deshalb die beiden über Kooperation im Erdölsektor zweifellos das größte Gewicht. Venezuela möchte auch auf anderen Gebieten mit Indien zusammenarbeiten, etwa bei Arzneimitteln, Textilien, Autos und Informationstechnologie, »Wir brauchen gewaltige Mengen an Medikamenten«, erklärte Präsident Chavez, »denn erstmals in der Geschichte unseres Landes erhalten unsere Bürger einen kostenlosen Gesundheitsdienst«.

*Aus: Neues Deutschland, 8. März 2005


Zurück zur Venezuela-Seite

Zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage