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Für die soziale Produktion

"Die Revolution sind wir alle": Eva Haule hat Basisaktivisten aus Venezuela porträtiert - als Buch und in einer Ausstellung, die nun in Ulm gezeigt wird

Von Stefan Amzoll *

Yoel Capriles ist ein sozialer Kämpfer der Parroquia 23 de Enero. Er ist 49 Jahre alt. Sanft und entschlossen schaut er den Betrachter an. Eva Haule hat ihn fotografiert und mit ihm gespreochen, als sie in Venezuela war und Basisaktivisten porträtierte. Darüber hat sie ein Buch gemacht (»Die Revolution sind wir alle«, AG SPAK) und eine Ausstellung, die gegenwärtig in Ulm in der Volkshochschule zu sehen ist.

Capriles hat bereits vor vielen Jahren mit dem Kampf begonnen. Er meint, das Ziel bestehe in der Verwirklichung des größtmöglichen Nutzens für alle. Ja, für alle. Denn nichts ist quälender als die Furcht der die Schalthebel betätigenden Mächtigen vor organisierten Volksbewegungen. Unter Hugo Chávez ist das anders. Der will, der braucht diese Organisiertheit von unten. Capriles berichtet eingehend über die »Consejos Comunales«. Das sind kommunale Räte, eine außerordentlich wirksame politische Neuerung in Venezuela. Sie steckt vielleicht erst in den Anfängen, kämpft mit diversen Kinderkrankheiten, aber sie hat eine vielversprechende Perspektive. Denn die Leute in den Dörfern, Städten, Stadtteilen bestimmen selbst, was sie tun und wie sie leben wollen. Hier können die Bürgerinnen und Bürger - eine Mischung aus den verschiedensten Völkern: Indigenas, Arikaner, Europäer - eigenständige Pläne und Projekte verwirklichen, von denen das ganze Gebiet der Comunidad profitiert. In fast allen »Consejos« seien die Hauptakteure Frauen, berichtet Yoel Capriles. Die größte Hilfe sei Chávez. Er unterstützt die Gründung von Kooperativen als nichtkapitalistische Unternehmen der sozialen Produktion. »Hier bauen wir den Sozialismus auf, bei dem wir alle gleichberechtigt sind und alle in gleicher Weise davon profitieren. Denn der Kapitalismus ist die Hölle.«

Haules Buch ist ein wichtiges Buch, will man mehr und anderes wissen über den gegenwärtigen venezolanischen Prozeß. Denn das Buch macht genau das verständlich, was in der maßgeblichen Berichterstattung gewöhnlich verdeckt oder unterschlagen wird. Nämlich den Kern der venezolanischen Revolution: die Bewegungen von unten, ohne die bekanntlich keine Revolution gelingen kann. Frauen stehen im Mittelpunkt. Erhellend das Gespräch mit Nora Castanéda, Omaira Vegas und Lidice Navas unter der Überschrift »Wir wollen, daß die Frauen organisiert Präsenz zeigen«. Es geht um eine Entwicklungsbank, die Kleinkredite für Frauen ermöglicht. Nicht der Konsum, sondern sozial produktive Tätigkeiten sollen gefördert werden. Der Leser erfährt etwas über den Zusammenhang von Selbstbestimmung - unabhängig von Parteieinflüssen - und Ökonomie und über die Geschichte der Unterdrückung der Frau.

Kein Wortgeprassel ist zu vernehmen, die Akteure reden Klartext. Man kann sich ein Bild machen. Über die Veränderungen in Venezuela und die Schwierigkeiten, die da mitlaufen. Wunderbar wahrzunehmen ist in den Texten der ansteckende Elan derer, die mithelfen, das Land revolutionär zu verändern. Zugleich, wie sehr die Basisaktivisten hinter der venezolanischen Revolution unter Hugo Chávez stehen, wie sehr sie diesen Politiker verehren, ja, was nicht ganz so schön ist, ihn teilweise verhimmeln. Alle Texte kreisen um das Problem der Teilhabe breiter Volksmassen am gesellschaftlichen Reichtum, und darum, wie man soziale Gerechtigkeit, Alphabetisierung, politische Aufklärung, Kultur und Bildung für alle verwirklichen kann. Alle, die Eva Haule befragt hat, sagen oder lassen durchblicken: Das ist möglich. »Wir können gewinnen.« Und alle Befragten sind sich klar darüber: Ein menschenwürdiges Leben können wir nur verwirklichen, indem wir an den politischen Entscheidungen mitwirken.

Gelingt Eva Haule ein sehr lebendiger, instruktiver Dialogteil, so gehören die sorgfältig zugeordneten Fotos zum Schönsten des Bandes. Ungelacktes, überhaupt nicht kunterbuntes Material. Auch künstlerische Arbeiten sind enthalten. Die Fotos, durchweg Schwarzweißbilder, zeigen ein verfremdetes, kristallin glitzerndes Caracas von oben, treten belebten Häusern, Höfen, Plätzen näher. Losungen und Marx neben Chávez auf Betonwänden. Revolutionssymbolik an jeder Ecke. Im Wirbel der Stadt immer wieder Menschen.

Eva Haule: Die Revolution sind wir alle - Gespräche mit BasisaktivistInnen und Fotos aus Venezuela. AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2009, 140 Seiten, 16 Euro

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2009


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