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Gipfel verschoben

Venezuela: Gründung der lateinamerikanischen Gemeinschaft abgesagt. Spekulationen um Gesundheit von Hugo Chávez

Von André Scheer *

Der Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Venezuelas fällt aus. Ursprünglich sollten am 5. und 6. Juli die Staats- und Regierungschefs aller Länder des Kontinents außer den USA und Kanadas auf der venezolanischen Ferieninsel Margarita zusammenkommen, um dort die Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) offiziell zu gründen. Das hat die Erkrankung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez nun verhindert. Zwar befinde er sich auf gutem Weg der Erholung, hieß es aus Regierungskreisen in Caracas. Trotzdem müsse die Konferenz verschoben werden und solle noch vor Jahresende nachgeholt werden, teilte das Außenministerium in einer offiziellen Erklärung mit. Die Gründung der neuen Organisation war im Februar 2010 beim »Gipfeltreffen der lateinamerikanisch-karibischen Einheit« im mexikanischen Playa del Carmen beschlossen worden. In ihr wollen sich die Länder der Region erstmals in einer festen Form zusammenschließen, ohne daß daran die USA und Kanada oder europäische Staaten wie Spanien beteiligt wären.

Der venezolanische Präsident hatte sich am 10. Juni während eines Besuchs in Havanna einer Operation unterziehen müssen, um einen Abszeß an der Hüfte entfernen zu lassen. Während venezolanische und kubanische Medien am Mittwoch Bilder verbreiteten, die einen offenbar gut erholten und schlanker gewordenen Chávez zeigten, verbreiten oppositionelle Medien Schauergeschichten über eine angebliche Krebserkrankung des Staatschefs. So bekräftigte Nelson Bocaranda am Dienstag in der venezolanischen Tageszeitung El Universal, der Staatschef leide an Prostatakrebs. Als Quelle nannte er eine Kolumne seines Kollegen Luis Felipe Colina in dem ultrarechten Boulevardblatt La Razón, in der dieser am Sonntag eine anonyme »militärärztliche Quelle« zitiert hatte, wonach bei Chávez bereits Ende vergangenen Jahres eine fortgeschrittene Krebserkrankung diagnostiziert worden sei. Zwar hatte Parlamentspräsident Fernando Soto Rojas diese Behauptung umgehend dementiert, aber die oppositionellen Lautsprecher wollen sich diese »schöne« Geschichte offenbar nicht kaputtmachen lassen.

Über das genaue Datum der Rückkehr des Präsidenten herrscht weiter Unklarheit. Während Soto Rojas vom 5. Juli als dem möglichen Termin gesprochen hatte, spekulieren venezolanische Zeitungen auch, daß Chávez bereits am heutigen Freitag heimkehren könne und in der kommenden Woche die Feierlichkeiten zu dem für das südamerikanische Land so wichtigen Jubiläum leiten werde.

Unterdessen veröffentlichte die kolumbianische Wochenzeitung Semana am Mittwoch neue Informationen über die Unterstützung der Regierungsgegner durch Washington. Allein im Jahr 2009 habe die US-Botschaft in Caracas weitere zehn Millionen US-Dollar angefordert, um in Opposition zum Präsidenten stehende Regionalregierungen und Organisationen zu unterstützen, zitiert das Blatt aus einem von der Internetplattform Wikileaks veröffentlichten Schreiben der nordamerikanischen Diplomaten an das State Department. In dem Schriftstück vom 27. März 2009 räumen diese ein, daß die venezolanische Opposition ohne fremde Hilfe kaum überlebensfähig wäre. »Ohne unsere ständige Unterstützung ist es möglich, daß die Organisationen, deren Schaffung wir unterstützt haben, (...) gezwungen sein könnten, zu schließen.« Ihr Überleben könne nur durch »unsere Finanzierung« sichergestellt werden, schrieb der Geschäftsträger der Botschaft, John Caulfield, an seine Auftraggeber.

* Aus: junge Welt, 1. Juli 2011


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