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Chávez-Opposition setzt auf Gewalt

Student bei Straßenschlachten in Venezuela erschossen

Von Maxim Graubner, Caracas *

Bei Straßenschlachten zwischen Studierenden im Westen Venezuelas ist am Dienstag ein 19jähriger Student zu Tode gekommen. Die Kriminalpolizei schickte umgehend hochrangige Experten in die Region. Am Donnerstag erklärte die Parlamentsabgeordnete Iris Valera, der Vorfall sei Teil eines »stillen Staatsstreiches« gegen die Regierung von Präsident Hugo Chávez. Die Hintermänner hätten nur darauf gewartet, daß bei den seit Anfang Dezember anhaltenden Protesten von Regimegegnern jemand sein Leben verliert, so die aus der westlichen Grenzregion zu Kolumbien stammende Valera. Die Verschwörung werde von der oppositionellen Regionalverwaltung im westlichen Bundesstaat Táchira und aus Kolumbien eingesickerten Paramilitärs getragen.

Der tödliche Zwischenfall ereignete sich in San Cristóbal, der Provinzhauptstadt von Táchira. Während der Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der venezolanischen Regierung wurde Jesús Eduardo Ramírez Bello, Student an der staatlichen, aber autonomen Universidad Nacional Experimental del Táchira (UNET), erschossen. Von seiten oppositioneller Studierendenvertreter hieß es, die anwesende Nationalgarde habe nicht eingegriffen, als die Straßenschlachten begannen. Innenminister Tareck El Aissami konterte, daß die Polizei des Bundesstaates für die UNET-Studenten ihre Polizeiketten geöffnet habe: Nur dadurch sei es den Chávez-Gegnern gelungen, zu den ebenfalls demonstrierenden studentischen Regierungsanhängern zu gelangen.

Die Situation hatte sich bereits am Montag zugespitzt, als militante Rechte, mutmaßlich Studenten der UNET, die nahe gelegene Universidad Bolivariana de Venezuela (UBV) in San Cristóbal angriffen. Diese gehört zu einem neugegründeten Netzwerk von Hochschulen, an denen vor allem Menschen aus ärmeren Schichten ein Studium ermöglicht wird. Die sich während des Überfalls im Gebäude aufhaltende Dozentin Shayenska Martínez beklagte in einem lokalen Radiosender, daß Versuche, die von der Opposition kontrollierte Regionalpolizei zu Hilfe zu rufen, erfolglos geblieben seien. Schlußendlich sicherte die Nationalgarde das Gebäude.

Rechte Studierendenverbände nutzten den aktuellen Todesfall in den vergangenen Tagen für weitere Proteste gegen die Regierung: In verschiedenen Landesteilen führten sie Straßenblockaden durch. Ihrer Meinung nach kamen die Mörder aus den Reihen der regierungsnahen Studenten. Dagegen spricht, daß der erschossene Student Mitglied der Vereinten Sozialisten (PSUV) war, der chávistischen Regierungspartei. Diese Tatsache werde von den oppositionellen Studierendenverbänden und manchen Privatmedien geflissentlich verschwiegen. Diese hätten es darauf angelegt, die Regierung für den Vorfall verantwortlich zu machen, beklagte die Abgeordnete Valera.

Offenbar liegen in Venezuela alle Hoffnungen der rechten Opposition derzeit auf einer Ausweitung von Studentenunruhen, da sie über keine Persönlichkeiten verfügen, die Chávez bei kommenden Wahlen das Wasser reichen könnten. Verschiedene Beobachter hatten schon vor Monaten vor einer Intensivierung dieser Strategie zur Destabilisierung des Landes gewarnt. In den vergangenen Jahren waren alle wesentlichen Protestbewegungen gegen die Chávez-Regierung von den oppositionellen Studierendenverbänden getragen worden.

* Aus: junge Welt, 12. Dezember 2009


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