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Feiertag für Venezuela

Von Modaira Rubio, Caracas *

Mit unzähligen Veranstaltungen hat Venezuela am Dienstag (5. Juli) den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Spanien begangen. Ein großes Feuerwerk leitete in der Nacht die Feierlichkeiten ein, um sechs Uhr morgens hißten hochrangige Regierungsvertreter auf der Plaza Bolívar im Zentrum der Hauptstadt Caracas die Nationalflagge, während Kinder das »Lied für Bolívar« des chilenischen Dichters Pablo Neruda verlasen. Zahlreiche Außenminister des Kontinents, aber auch Boliviens Präsident Evo Morales waren nach Venezuela gekommen, um mit dem südamerikanischen Land diesen historischen Tag zu begehen, auch wenn das ursprünglich zeitgleich geplante Gipfeltreffen der neuen Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) wegen der Erkrankung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zunächst verschoben werden mußte.

Dessen Rückkehr am Montag (4. Juli) und sein erster öffentlicher Auftritt am Vorabend des Nationalfeiertages auf dem »Balkon des Volkes« am Präsidentenpalast Miraflores waren der ungeplante Auftakt und zugleich Höhepunkt der Feierlichkeiten. Seit dem frühen Morgen, als die Nachricht von der Rückkehr des Staatschefs im Land bekanntgeworden war, hatten sich Tausende Menschen auf den Weg nach Caracas gemacht, um sich in der Umgebung des Regierungssitzes zu versammeln. So verwandelte sich die venezolanische Hauptstadt am Vorabend des »Bicentenario« durch die überwiegende Farbe der T-Shirts und Fahnen der Regierungsanhänger wieder einmal in ein rotes Meer. Die Straßen im Stadtzentrum und die Züge der Metro waren überfüllt, aus allen Teilen der Stadt und aus dem Landesinneren strömten Menschen zu der für 17 Uhr Ortszeit angekündigten Kundgebung.

Zaida Correa, eine junge Aktivistin der Frente Francisco de Miranda, sagte gegenüber junge Welt, sie sei nicht als Mitglied dieser Studentenorganisation gekommen, sondern weil sie ihren Präsidenten bei seiner Genesung unterstützen wolle. Unter den Teilnehmern der Kundgebung waren auch solche, die durch die verheerenden Regenfälle und Erdrutsche der vergangenen Monate ihre Wohnungen verloren haben und noch in Notunterkünften wohnen müssen. »Chávez reichte uns die Hand, als wir alles verloren hatten. Jetzt ist es an der Zeit zu demonstrieren, daß wir zu ihm stehen«, sagte einer von ihnen.

Fast pünktlich zur angekündigten Uhrzeit wandte sich Chávez mit einer bewegenden, nur 33 Minuten langen und von allen Rundfunk- und Fernsehsendern übertragenen Ansprache an die Bevölkerung. Unterbrochen von Dankesrufen für den früheren kubanischen Präsidenten Fidel Castro, der Chávez zu der Untersuchung gedrängt hatte, erläuterte der venezolanische Präsident seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand und versprach: »Diese neue Schlacht werden wir ebenfalls gemeinsam gewinnen – für das Leben, für das Heimatland und für die Revolution!«

Auch das Forum von São Paulo, dessen Koordinierungsgremium sich am Montag in Caracas getroffen hatte, solidarisierte sich in einer Erklärung mit dem Präsidenten. Venezuela ist im kommenden Jahr Austragungsort der jährlichen Tagung dieses breiten Zusammenschlusses der lateinamerikanischen Linken.

Offizielle Höhepunkte der Feiern waren am Dienstag – nach jW-Redaktionsschluß – eine Militärparade am Paseo Los Próceres, eine Festsitzung der Nationalversammlung sowie ein Konzert des venezolanischen Symphonieorchesters unter der Leitung von Gustavo Dudamel auf der frisch renovierten Plaza Diego Ibarra im Zentrum der Hauptstadt.

* Aus: junge Welt, 6. Juli 2011


Terroristen zu Gast

Die Friedrich-Naumann-Stiftung begeht den Jahrestag der Unabhängigkeit Venezuelas

Von André Scheer **


Am heutigen Dienstag (5. Juli) feiert Venezuela den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeitserklärung von der spanischen Kolonialherrschaft. Pünktlich zu diesem Datum ist Präsident Hugo Chávez am Montag nach seiner Krebsoperation in Havanna nach Hause zurückgekehrt – rechtzeitig, um die Veranstaltungen zu leiten. Die politische Ausrichtung der Feierlichkeiten ist klar. Venezuela werde seine Unabhängigkeit weiter aufbauen und mit allen Ländern Beziehungen pflegen, mit denen man es für notwendig halte, unterstrich etwa Außenminister Nicolás Maduro Ende Juni in Caracas. »Es kann kein dekadentes Imperium kommen und uns darauf festlegen wollen, mit wem wir Beziehungen haben oder nicht.«

Maduro reagierte auf eine Erklärung des US-amerikanischen Kongreßabgeordneten Connie Mack, der die venezolanische Regierung als »terroristisch« bezeichnet und gefordert hatte, Washington müsse Maßnahmen gegen den wachsenden »gefährlichen Einfluß« des venezolanischen Präsidenten und dessen Beziehungen mit dem Iran ergreifen.

Eigentliche Stoßrichtung der wieder entfachten Hetze gegen Venezuela dürfte das bevorstehende Gipfeltreffen in dem südamerikanischen Land sein, bei dem die Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) aus der Taufe gehoben werden soll. Erwartet werden zu der Konferenz praktisch alle Regierungschefs der Region – und während die USA und Kanada nicht eingeladen sind, wird sich etwa Kuba die Teilnahme nicht entgehen lassen. Die Erkrankung des venezolanischen Präsidenten hat allerdings dazu geführt, daß das ursprünglich für den 5. und 6. Juli geplante Treffen auf einen späteren Termin noch vor Jahresende verschoben werden mußte.

Ärgern über diese Verschiebung dürfte sich in Berlin die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Sicherlich nicht zufällig für dasselbe Datum hat sie gemeinsam mit der rechten »Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte« (IGfM) für Mittwoch zu einer Veranstaltung in die FDP-Bundesgeschäftsstelle eingeladen, um dort über »Zeitenwende ohne politische Freiheit?« zu debattieren. Ehrengast ist der von den Organisatoren als Kolumnist des The Miami Herald vorgestellte Carlos Alberto Montaner, der für einen Rundumschlag unter dem Titel »Fidel, Raúl, Chávez und die Widersprüche des Sozialismus des XXI. Jahrhunderts im Falle Kubas« vorgesehen ist.

Für die Friedrich-Naumann-Stiftung ist Montaner vor allem ein Opfer. »Nach der Revolution von 1959 wurde er wegen vermeintlicher Teilnahme an ›terroristischen Angriffen‹ und ›Kooperation mit dem CIA‹ verhaftet«, so der Einladungstext. »Es gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis und ins Ausland. Seit 1970 lebt er in Spa­nien und Miami.«

Es überrascht kaum, daß die FNS Bombenanschläge auf Kinos und Geschäfte nur in Anführungszeichen als terroristische Angriffe bezeichnen mag. Schließlich wurden sie in den 60er Jahren, kurz nach dem Sieg der Revolution, in Havanna verübt. Urheber waren die »Revolutionäre Demokratische Front« (FRD) und ihr Jugendflügel »Studentische Rettung«. Und in dessen nationaler Führung saß niemand anderes als Montaner.

Die FDP-Stiftung vergißt auch, interessante Details aus der Zeit zu erwähnen, bevor sich Montaner 1970 in Spa­nien niederließ. So trat er 1962 offiziell in die Dienste der CIA, befristet »bis zum Sturz des Kommunismus in Kuba«, und meldete sich im Herbst desselben Jahres freiwillig zur US-Armee, weil er während der »Kuba-Krise« um die Stationierung sowjetischer Raketen auf der Insel die Chance witterte, endlich offen Krieg gegen die verhaßten Kommunisten führen zu können.

Heute gibt sich Montaner »liberal«. Er gründete 1990 in Madrid die Liberale Union Kubas und wurde von der Liberalen Internationale zu einem ihrer Vizepräsidenten gewählt – dieses Amt teilt er sich mit dem Anführer der honduranischen Putschisten und aktuellen Präsidenten Roberto Micheletti. Entsprechend wohl fühlt er sich bei den deutschen »Liberalen«, denn wie Micheletti und Montaner verteidigte auch die Friedrich-Naumann-Stiftung eifrig den Staatsstreich am 28. Juni 2009, bei dem der demokratisch gewählte Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, gestürzt wurde.

** Aus: junge Welt, 5. Juli 2011


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