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Betteln um Dollars

Während in Venezuelas Regierungslager die Angst vor einer Spaltung umgeht, hofft Opposition auf Millionenspenden der USA

Von André Scheer *

Eine Woche nach der Verhaftung des Journalisten Joaquín Pérez Becerra in Venezuela und seiner folgenden Auslieferung an Kolumbien wächst der Druck auf die venezolanische Regierung, ihr Verhalten zu rechtfertigen. Der schwedische Staatsbürger war am Karfreitag aus Frankfurt kommend nach seiner Landung am internationalen Flughafen Maiquetia von den venezolanischen Behörden verhaftet worden, nachdem Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos eigenen Angaben zufolge seinen venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez um diesen Schritt gebeten hatte. Trotz zahlreicher Proteste von Menschenrechtsvereinigungen und linken Gruppen wurde Pérez Becerra am Montag nach Bogotá abgeschoben, wo er von den dortigen Behörden sofort verhaftet wurde. Kolumbien wirft dem Chef der von Stockholm aus arbeitenden Nachrichtenagentur ANNCOL vor, unter dem Namen Alberto Martínez »Botschafter der FARC in Europa« gewesen zu sein. Dieser bestreitet eine Mitgliedschaft in der Guerillaorganisation und sieht in seiner Verhaftung einen Schlag gegen die alternative Agentur, deren Berichterstattung über den Konflikt in Kolumbien der Regierung nicht gefalle.

Während sich Hugo Chávez und andere Vertreter der venezolanischen Regierung bislang nicht öffentlich zu den Vorgängen geäußert haben, meldete die staatliche Nachrichtenagentur AVN am Mittwoch (Ortszeit), die schwedische Regierung habe ihrem Staatsbürger »alle notwendige Unterstützung« zugesagt. Die Sprecherin des Außenministeriums in Stockholm, Cecilia Julin, sagte dem kolumbianischen Fernsehsender NTN24, Pérez Becerra habe »in Schweden keinerlei Verbrechen begangen« und ihre Regierung wisse auch nichts davon, daß er »irgendwelchen Schaden angerichtet« hätte. Zugleich prüft Stockholm Medienberichten zufolge, ob Venezuela internationale Abkommen verletzt hat, als die Behörden dem schwedischen Konsulat in Caracas den Zugang zu dem Verhafteten verweigerten.

Vor dem Hintergrund der an der Basis weit verbreiteten Empörung über das Verhalten ihrer Regierung, machen sich Unterstützer des venezolanischen Staatschefs jetzt Sorgen, wie eine offene Spaltung der Bewegung verhindert werden kann. Im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an, und eine Zersplitterung der venezolanischen Linken könnte einen derzeit noch wahrscheinlichen Erfolg von Hugo Chávez gefährden.

Auf eine Schwäche der rechten Opposition zu hoffen, könnte sich dabei als fataler Fehler herausstellen. Obwohl sich deren Bündnis MUD derzeit zerstritten präsentiert, haben sich die Regierungsgegner bei vergangenen Wahlen immer rechtzeitig auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Nicht nur das Kabinett vermutet dahinter die Hand Washingtons. Eine direkte Finanzierung der Opposition durch US-amerikanische Stellen ist seit Jahren bekannt.

Mitte April veröffentlichte der Internetdienst Wikileaks zudem Berichte der nordamerikanischen Botschaft in Caracas aus dem Jahr 2006, aus denen hervorgeht, wie Repräsentanten der sozialdemokratischen AD bei den Diplomaten regelrecht um Geld gebettelt haben. Dem Dokument zufolge hätten die Vertreter der US-Botschaft versucht, das Gesprächsthema zu wechseln, um sich nicht zu den Bitten äußern zu müssen. Der damalige AD-Vizechef Víctor Bolívar habe daraufhin die Forderung noch einmal in englischer Sprache wiederholt, weil er dachte, daß er nicht verstanden worden wäre. Im Ergebnis stellten die Diplomaten den Politikern ein verheerendes Zeugnis aus. AD-Chef Henry Ramos, der aktuell als möglicher Oppositionskandidat bei der Wahl 2012 gehandelt wird, führe seine Partei »nach nirgendwo«.

Trotzdem dürfte auch weiterhin genügend Geld aus Washington fließen. Wie die US-amerikanische Rechtsanwältin und Publizistin Eva Golinger bereits im Februar berichtete, hat die Administration von Barack Obama in den Haushaltsplan für 2012 ganz offiziell fünf Millionen US-Dollar zur Unterstützung der Opposition in Venezuela eingestellt. Bereits zwischen 2008 und 2011 flossen nicht weniger als 40 Millionen Dollar an die Chávez-Gegner.

* Aus: junge Welt, 29. April 2011


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