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Wettlauf um das schwarze Gold

Chinas Ölinvestitionen in Venezuela – eine strategische Bedrohung für die Energiesicherheit der USA?

Von Oliver Matz *

Knapper werdende Rohstoffe und der gleichzeitige Aufstieg vor allem der bevölkerungsreichen Schwellenländer China und Indien verschieben nicht nur die Gewichte in der Weltwirtschaft, sondern auch die Balance in der Weltpolitik. Die USA sehen Chinas Jagd nach Öl in ihrem Hinterhof mit Sorge.

Die Volksrepublik China hat zunehmendes Interesse am venezolanischen Erdöl. Investitionen in Milliardenhöhe und Öllieferverträge werden von einer sensibilisierten US-Öffentlichkeit und -Regierungsvertretern besorgt zur Kenntnis genommen. Zusätzlich sorgt noch Präsident Hugo Chávez mit seinen Drohungen bezüglich eines Ölembargos in Richtung USA für Aufsehen. Dabei hätte eine auch nur kurzfristige Unterbrechung der Lieferungen vor allem für Venezuela selbst fatale Auswirkungen.

Im Jahr 1993 endete die lange Periode chinesischer Unabhängigkeit von Energieimporten. Bis hierhin hatten die riesigen Ölfelder Daquing und Shengli nicht nur den heimischen, sondern partiell auch den Energiebedarf Japans und Koreas decken können. Als die eigene Nachfrage nach Öl in Folge der zunehmenden Industrialisierung stark stieg, verkehrte sich diese Situation in ihr Gegenteil. China wurde von einem Ölexporteur zum inzwischen zweitgrößten Importeur dieses Rohstoffs und bezieht heute 50 Prozent seines Bedarfs aus dem Ausland. Saudi Arabien, Angola und Iran sind derzeit die größten Öllieferanten für die Volksrepublik.

Chávez will weniger Abhängigkeit

Die politische Instabilität afrikanischer Länder, wie sie Peking kürzlich in der Demokratischen Republik Kongo und in Guinea erlebte, veranlassten das Land indes, seine Investitionen in diesen Ländern einzuschränken und die eigenen Handelsbeziehungen neu zu überdenken.

Lateinamerika bietet im Vergleich zu Afrika größere politische Stabilität und ist darüber hinaus fast ebenso reich an natürlichen Ressourcen. Hinsichtlich des immensen Ölbedarfs des Reichs der Mitte ist besonders Venezuela mit seinen nachgewiesenen Ölreserven in Höhe von 87 Milliarden Barrel (1 Barrel entspricht 159 Liter) konventionellen Öls ein interessanter Handelspartner. Dazu kommen noch einmal im Gebiet des Flusses Orinoco sich befindende 230 Milliarden Barrel an Ölsand, die etwa 20 Prozent der gesamten globalen Erdölreserven repräsentieren.

Erleichternd für die Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ist der Umstand, dass Präsident Hugo Chávez bestrebt ist, die außenwirtschaftliche Abhängigkeit seines Landes von den USA zu überwinden. Chávez' politische Ideologie eines Bolivarianischen Sozialismus, das offensichtliche Gefallen an einer Brüskierung der Interessen der USA und ökonomische Überlegungen lassen ihn die enge Partnerschaft mit traditionellen Gegnern der Weltmacht wie Russland, Kuba, Iran und eben China suchen. In dem Jahrzehnt seiner Amtszeit hat das venezolanische Staatsoberhaupt sieben Mal die Volksrepublik besucht. Parallel stieg der Handel zwischen den beiden Nationen von gerade einmal 200 Millionen Dollar im Jahr 1998 auf 9,7 Milliarden 2008. China hat kürzlich acht Milliarden Dollar in einen bilateralen Fonds eingebracht, um primär Projekte zu finanzieren, die mit der Ölförderung und dem -export zusammenhängen.

Gegenwärtig exportiert Venezuela 380 000 Barrel Öl pro Tag nach China. Geplant ist, diese Menge im laufenden Jahr auf 630 000 und bis 2013 schließlich auf eine Million Barrel Erdöl zu erhöhen. Beschlossen wurden mehrere Joint Ventures für die Öl-Erkundung und -Förderung am Fluss Orinoco. Auch wurde der Bau von vier Supertankern in chinesischen Werften vereinbart.

Caracas sucht Allianz mit China

Der venezolanische Präsident macht kein Hehl aus seinem Interesse an einer politischen Allianz mit China. So lässt er keine Gelegenheit ungenutzt, die in seinen Augen bestehende gemeinsame antiimperialistische Agenda zu betonen. »Wir verfolgen eine klare internationale Strategie. China und Venezuela stimmen darin überein – eine multipolare Welt zu schaffen«, sagte Chávez. Im September 2009, während seines letzten Besuchs in Peking, äußerte er sogar: »Ich bin Maoist.« China hat es jedoch bisher vermieden, politische oder ideologische Kommentare hinsichtlich der Kooperation mit Venezuela abzugeben.

Dieses chinesische Zögern, in die gegen die USA gerichtete Rhetorik einzustimmen, hat pragmatische Gründe. Während das Reich der Mitte in einigen Bereichen durchaus aggressiv auftritt, möchte es doch nicht als Bedrohung für die Welt gesehen werden. China agiert friedlich, während sein globaler Einfluss wächst.

Das Land arbeitet hart daran, sein weltweites Ansehen zu heben. Auch wird Peking nicht müde, zu betonen, dass seine Aktivitäten in Venezuela keine Bedrohung für die USA darstellen, da deren bilateraler Handel mit Venezuela einen Umfang von 300 Milliarden Dollar habe, während ihr eigener bei gerade einmal neun Milliarden liege.

Für China ist Venezuela einer von mehreren wichtigen Geschäftspartnern. Seine reichen Ölvorkommen machen das Karibikland ohne Zweifel attraktiv für chinesische Investitionen – mehr aber auch nicht. Die eigenen Interessen rechtfertigen in den Augen Pekings – wegen Venezuela – derzeit keine Konfrontation mit der Supermacht. So ist die Volksrepublik bestrebt zu betonen, dass sie keine Absichten habe, sich in die bilateralen Beziehungen zwischen Venezuela und den Vereinigten Staaten einzumischen.

Präsident Chávez hat bereits mehrfach gedroht, den Ölverkauf an die USA einzustellen. Trotz aller Ankündigungen ist bisher nichts Derartiges geschehen. Die Ausfuhr venezolanischen Öls in das nördliche Imperium ist zwischen 2006 und 2008 im Wert von 12 Milliarden Dollar gestiegen. Die USA sind weiterhin der wichtigste Kunde Venezuelas. Es gehen 60 Prozent aller Ölexporte dorthin, täglich etwa eine Million Barrel Erdöl. Umgekehrt gehört Venezuela zu den vier wichtigsten Öllieferanten der Supermacht. Knapp zehn Prozent der US-Ölimporte stammten 2008 aus Venezuela.

Am Panamakanal führt noch kein Weg vorbei

Aufgrund der vorhandenen außenwirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA wäre ein Ölembargo gegen dieses Land erst dann von Venezuela durchzuhalten, wenn das Land in der Lage ist, seine Öleinnahmen von den USA durch quantitativ äquivalente Ölexporte nach China zu kompensieren. Dies wird laut den Vereinbarungen mit China frühestens 2013 der Fall sein.

Technisch betrachtet ist ein solcher Austausch der Haupthandelspartner aber wenig sinnvoll. So sind die USA wegen ihrer geografischen Nähe der natürliche Petroleumkunde für Venezuela. Man braucht fünf Tage, um das Öl auf einem Schiff von Venezuela in die USA zu transportieren. Dagegen braucht es Wochen, um die Ressource nach China zu bringen.

Um das Öl von Venezuela nach China zu tragen, muss es per Schiff durch den Panamakanal und dann über den Pazifischen Ozean gelangen. Diese hohen Transportkosten verteuern das venezolanische Öl und machen es weniger wettbewerbsfähig. Venezuela und China haben dementsprechend bereits vor Jahren über die Möglichkeit debattiert, eine Pipeline durch Panama oder alternativ durch Kolumbien zu bauen. Für den Fall ihrer Realisierung könnte das Öl in Supertanker vor der Küste Panamas respektive Kolumbiens verladen werden. Somit also von Schiffen, die größer sind, als jene, die ihre Route durch den Panamakanal nehmen. Solch ein Projekt würde die ökonomische Relevanz des Panamakanals – ein Symbol der US-Vorherrschaft in der Region – zwar nicht beseitigen, aber reduzieren.

Petroleos de Venezuela, (PdVSA), die nationale Erdölgesellschaft, ist alleiniger Eigentümer von fünf Erdölraffinerien in den USA und besitzt Anteile an vier weiteren. Diese Anlagen wurden speziell für die Veredelung großer Mengen des extrem schwefelhaltigen Erdöls errichtet, das einen großen Anteil an den Ölexporten Venezuelas in die USA ausmacht. Im Falle eines Lieferstopps gegenüber Washington würden diese Fabriken brach liegen und ihre Installationen, die mit Milliarden an Investitionen errichtet wurden, wertlos werden. Somit entstünde ein hoher finanzieller Verlust für das OPEC-Land. Es drohte sogar eine mögliche Konfiszierung der Raffinerien durch die USA, falls sie, wie es zu erwarten wäre, Sanktionen gegen Venezuela verhängen würden.

In einer Studie für den US-Kongress wurden bereits im Sommer 2006 mögliche Folgen eines venezolanischen Ölembargos untersucht. Die Verfasser konstatierten, dass ein solches Szenario die Verbraucherpreise für Kraftstoff und andere Petroleumprodukte kurzfristig beeinträchtigen würden, da die US-Raffinerien höhere Kosten zu tragen hätten, um Ölimporte von weiter entfernt liegenden Ländern zu erhalten. Auch würden einige der US-Raffinerien, die das besonders schwefelhaltige Erdöl Venezuelas verarbeiten, nur beschränkt genutzt werden können, um leichtere Rohöle aus anderen Weltgegenden zu veredeln. Dies impliziert, dass die bestehenden Raffinerien mit vielen Milliarden Dollar umgerüstet werden müssten, um für das leichtere Öl voll kompatibel zu sein. Zweifelsohne würde eine solche Umstellung viele Monate beanspruchen und somit kurzfristig Lieferengpässe und höhere Preise für die US-Verbraucher nach sich ziehen.

Nach Meinung der Experten ließe sich ein solches Lieferembargo aber lediglich ein paar Monate von Venezuela aufrechterhalten, da das Land in hohem Maß abhängig von den Einkünften des Ölexports sei. So garantierten die Erlöse aus dem Erdölhandel zwischen 45 und 50 Prozent der venezolanischen Staatseinnahmen in den letzten Jahren.

Die US-Flotte steht Gewehr bei Fuß

Nüchtern betrachtet ist für den Fall eines auch nur versuchten Embargos seitens Venezuelas nicht zu erwarten, dass die USA eine solche Entwicklung tolerieren würden. Mit der Flotte des US-Kommandobereichs SOUTHCOM besitzt Washington ein jederzeit einsatzfähiges militärisches Instrument für eine solche Entwicklung. Angesichts der energiepolitischen Relevanz des OPEC-Landes für die Vereinigten Staaten ist Chávez' Drohung eines Ölembargos für ihn und seine Revolution ein Spiel mit dem Feuer.

Die Regierung Chávez ist gut beraten, diesen Gegebenheiten in Zukunft Rechnung zu tragen und entsprechend sensibel auf mögliche Befindlichkeiten der USA zu reagieren. Eine vorsichtige Diversifizierung des Ölexporte ist für den Karibikstaat hingegen ein sinnvolles Projekt, da hierdurch die einseitige Ausrichtung als Öllieferant der USA überwunden und das Land einen größeren internationalen Handlungsspielraum gewinnt. Des Weiteren ist China durch seine enormen Bestände an ausländischen Währungsreserven, die bei ca. zwei Billionen US-Dollar liegen, ein sehr zahlungskräftiger Handelspartner, der helfen kann, die von Chávez gewünschte Entwicklung Venezuelas hinsichtlich eines Ausbaus der Infrastruktur, der Schaffung einer eigenen Industrie und der Umsetzung der ehrgeizigen Sozialprogramme zu realisieren.

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2010 ("Forum")


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