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Chávez spürt Gefahr und will an der Spitze bleiben

Weitere Präsidentschaftskandidatur 2012 soll ermöglicht werden

Von Harald Neuber *

Ein Jahr nach dem Scheitern einer Verfassungsreform in Venezuela will Präsident Hugo Chávez einen der strittigsten Punkte erneut zur Abstimmung stellen. Durch Änderung des Artikels 230 des venezolanischen Grundgesetzes soll die Begrenzung der Amtszeiten des Staatsoberhauptes aufgehoben werden.

Nach der geltenden Verfassung Venezuelas dürfte Hugo Chávez nach Ende seiner laufenden Amtszeit im Jahr 2012 kein weiteres Mal kandidieren. Die regierende Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) will nun über Möglichkeiten beraten, eine Volksabstimmung zur Aufhebung dieses Verbots durchzusetzen, sagte der Parlamentsabgeordnete und Chávez-Berater Carlos Escarrá am Donnerstag.

Nach Angaben des PSUV-Politikers bestehen zwei Möglichkeiten: Eine Änderung des Artikels 230 kann entweder von 15 Prozent der Wahlberechtigten oder aber auf Initiative von 30 Prozent der Abgeordneten der »chavistisch dominierten« Nationalversammlung beantragt werden. Er ziehe die zweite Variante vor, sagte Escarrá, weil dies schneller gehe. Die Volksabstimmung könnte schon im Februar stattfinden.

Präsident Chávez hatte sich erstmals am vergangenen Sonntag für einen Verbleib an der Staatsspitze auch nach 2012 ausgesprochen. Die Präsenz eines Revolutionsführers sei unabdingbar für die weitere Vertiefung der sozialistischen Revolution, sagte der Staatschef nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur: »Ich bin nicht mehr als ein Soldat. Ich werde so lange bleiben, wie Gott es will und das Volk das Sagen hat.«

Zugleich begründete Chávez den neuen Vorstoß für eine Aufhebung der Amtszeitbeschränkung mit einer Welle gewalttätiger Übergriffe von Aktivisten der Opposition auf Mitarbeiter und Institutionen der staatlichen Sozialprogramme. Zu entsprechenden Zwischenfällen war es nach den Regional- und Kommunalwahlen am 23. November in den Gebieten gekommen, in denen Kandidaten der rechten Opposition gewonnen hatten. Er habe sich mit der Niederlage beim Referendum im vergangenen Jahr abgefunden, sagte Chávez bei der Vereidigung des Bürgermeisters des Stadtbezirks Libertador, Jorge Rodríguez, am Sonntag in der Hauptstadt Caracas: »Das war ein Signal für mich, nicht weiter auf diesen Punkt zu beharren.« Angesichts der jüngsten Übergriffe durch politische Gegner habe er sich nun aber anders entschieden: »Wenn ich diese Gefahr durch den Faschismus sehe, wenn ich Aufrufe zur Gewalt in den Zeitungen sehe, dann gebe ich euch Recht«, sagte er. »Wenn ihr wollt, werde ich bis 2019 an eurer Seite stehen.«

In europäischen und US-amerikanischen Medien war das Scheitern der umfassenden Verfassungsreform im vergangenen Jahr mehrheitlich als Votum gegen den linksgerichteten Präsidenten interpretiert worden, weil schon damals die Wiederwahl hätte ermöglicht werden sollen. Tatsächlich dürften eine Überfrachtung des Reformkatalogs und eine Reihe umstrittener Änderungsvorschläge zur Ablehnung beigetragen haben. In den Wochen vor der Volksabstimmung am 3. Dezember 2007 hatten Abgeordnete vom rechten Flügel des Chavismus versucht, die direkte demokratische Teilhabe der Bevölkerung einzuschränken. Dies hatte harsche Kritik von Basisorganisationen provoziert. Das Projekt war schließlich von 50,7 Prozent der Abstimmungsberechtigten abgelehnt worden.

Schon regt sich aber auch Widerstand gegen die neue Änderungsinitiative. Zehn Abgeordnete der Nationalversammlung wollen eine landesweite Kampagne gegen die Reform ins Leben rufen. Federführend ist Ismael García von der rechtssozialdemokratischen Partei Podemos. Diese Gruppierung war vor wenigen Monaten aus der Regierungskoalition ausgetreten, um zur Opposition zu wechseln.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Dezember 2008


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