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Positive Bilanz

Venezuelas Präsident Hugo Chávez legt Rechenschaftsbericht vor

Von André Scheer *

In seinem jährlichen Rechenschaftsbericht vor dem Parlament des Landes hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Freitag eine positive Bilanz der vergangenen zwölf Monate gezogen. Er erinnerte daran, daß das Jahr 2009 im Zeichen der Weltwirtschaftskrise gestanden habe, die seiner Ansicht nach noch nicht beendet ist. »Das Schlimmste ist noch nicht vorüber. Wir müssen die Gründe für die Krise suchen, und diese Gründe lassen sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: Kapitalismus.« Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe man vom Ende der Geschichte gesprochen, das kapitalistische Modell habe sich durchgesetzt. »20 Jahre sind seither vergangen, und was nun geschieht, ist eine Demonstration dafür, daß der Kapitalismus keine Alternative für die Menschheit ist. Der Kapitalismus und Neoliberalismus sind eine erschreckende Perversion der menschlichen Existenz. Deshalb erhebt sich heute erneut die sozialistische Alternative«, erklärte Chávez.

Ziel der Wirtschaftspolitik seiner Regierung sei auch weiterhin die soziale Entwicklung des Landes, betonte der Staatschef. Deshalb kündigte er eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns um 25 Prozent in zwei Stufen an. Mit dann etwa 1200 Bolívares (rund 320 Euro) bleibt der Mindestlohn in Venezuela damit der höchste Lateinamerikas. Allerdings entspricht diese Erhöhung nur der Inflationsrate des vergangenen Jahres.

Mit Blick auf die vor einer Woche erfolgte Abwertung der Landeswährung rief Chávez dazu auf, die Bedeutung des US-Dollars für die venezolanische Wirtschaft zu minimieren. So hätten »99,9 Prozent« der Händler bislang ihre Preise am Schwarzmarktkurs des Dollars ausgerichtet. Der Präsident forderte erneut die Enteignung der Geschäftsleute, die illegal die Preise für ihre Waren und Dienstleistungen erhöhen: »Wir dürfen nicht einen einzigen Tag verlieren, um diese Enteignung durchzuführen und die Geschäfte den Arbeitern zu übergeben, die dort tätig sind«.

Chávez kündigte auch die Zusammenlegung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums mit dem Ministerium für Planung und Entwicklung an, dessen Chef Jorge Giordani dann für nahezu die gesamte Wirtschaftspolitik Venezuelas zuständig ist. Der bisherige Finanzminister Alí Rodríguez Araque übernimmt künftig das Energieministerium. Sein Vorgänger Ángel Rodríguez war von Chávez wegen der unprofessionellen Umsetzung der Stromsperren in Caracas zum Rücktritt gedrängt worden. Mit der stundenweisen Abschaltung der Stromversorgung hatte die venezolanische Regierung auf die anhaltende Dürre reagiert, durch die die Stauseen des Landes weitgehend ausgetrocknet sind.

Im Bereich der Lebensmittelproduktion verwies Chávez darauf, daß sich nach dem im vergangenen März erlassenen Verbot der industriellen Schleppnetzfischerei der Fischfang des Landes nahezu verdoppelt habe, obwohl die »Sprecher der Oligarchie« prophezeit hätten, durch diese Maßnahme und die Förderung der kleinen Fischer werde ein »Lebensmittelchaos« entstehen. Auch durch die Enteignung von 380000 Hektar brachliegender Ländereien durch die Regierung habe man die Lebensmittelproduktion weiter ankurbeln können. »Wir werden uns zu einem Land machen, das sich nicht nur selbst versorgen kann, sondern auch Agrarprodukte exportiert, wie wir es vor über hundert Jahren bereits waren«, unterstrich der Staatschef.

Das werde auch Washington nicht verhindern können, so Chávez. Trotz der wirtschaftlichen, militärischen und Medienmacht des »Imperiums« werde die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA), die Chávez als das »Antiimperium« bezeichnete, nicht aufgehalten werden können. So hätten die »Volkskräfte« im vergangenen Jahr in Ecuador, Uruguay, Bolivien und Dominica neue Siege feiern können, und auch das Volk von Honduras habe in seinem Widerstand gegen die Putschisten sein hohes Bewußtsein bewiesen. »Je heftiger der Angriff des Imperiums ist, desto stärker wird der Gegenangriff der Völker sein«, betonte Chávez.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2010


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