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Partei- und Partnerwechsel

Usbekistan: Durch den Schulterschluss mit Russland ist Präsident Karimow um ein außenpolitisches Vermächtnis bemüht

Von Cyrus Salimi-Asl*

Zuweilen entsteht der Eindruck, Islam Karimow hat die Amerikaner aus dem Land geworfen, um sich Russland mit einer Vehemenz zu nähern, wie es seit der Unabhängigkeit von 1991 kaum je für möglich gehalten wurde. Im November 2005 wurde gar ein russisch-usbekischer Vertrag geschlossen, der unter anderem vorsieht, dass sich die Vertragspartner im Falle einer Aggression gegenseitigen Beistand leisten (Artikel 2). Auch besteht fortan ein Nutzungsrecht militärischer Objekte im jeweils anderen Land (Artikel 4). Diese verblüffenden Konzessionen und der plötzliche Kurswechsel Karimows - vom Partner Washingtons zum Alliierten Moskaus - ließen aufhorchen.

Als Usbekistan nach dem 11. September 2001 die Vereinigten Staaten seiner unbedingten Loyalität im so genannten Anti-Terrorkampf versicherte, geschah das mit dem Kalkül, im Gegenzug auf Wirtschaftshilfe und Unterstützung bei der Verfolgung der eigenen Islamisten von der Hizb-ut-Tahrir und der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) rechnen zu können. Doch weder standen westliche Investoren in Taschkent Schlange, noch konnte sich Usbekistan mit Rückendeckung der USA als regionale Ordnungsmacht in Zentralasien etablieren, sondern musste diesen Anspruch an das rohstoffreiche, prosperierende Kasachstan abtreten.

Als vor genau einem Jahr auch noch amerikanische Kritik an der blutigen Niederschlagung des Aufstands in Andijan zu hören war, handelte Karimow. Offenkundig wollte er aufgegebenen außenpolitischen Spielraum zurückgewinnen, bevor mögliche Machtkämpfe um seine Nachfolge ausbrechen. Der Präsident soll krank sein und sich daher seit längerem darum bemühen, seine Tochter Gulnora Karimowa - ihr werden exzellente Verbindungen zum russischen Energieriesen Gazprom nachgesagt - als unangefochtene Thronerbin zu installieren.

Usbekistan kommt eine geopolitische Schlüsselrolle zu: Es grenzt an alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in der Region sowie an Afghanistan und ist mit rund 27 Millionen Einwohnern das bei weitem bevölkerungsreichste Land Zentralasiens. Wirtschaftlich gut geht es den meisten Usbeken indes nicht - trotz jährlicher Wachstumsraten von mehr als sieben Prozent. Während in Kasachstan das Bruttosozialprodukt pro Kopf bei 1.520 Dollar liegt, erreicht Usbekistan nur 310 Dollar und damit in etwa das Niveau des Nachbarn Kirgistan. Staaten wie Iran, Georgien oder Aserbaidschan, sogar das bevölkerungsreiche und rohstoffarme Pakistan liegen noch vor Usbekistan. Das Warenangebot in den Geschäften ist dürftig, selbst in der Hauptstadt Taschkent, mit über zwei Millionen Einwohnern immerhin die größte Kapitale Zentralasiens. Kein Vergleich zu Kasachstans Almaty, das inzwischen teilweise an westliche Metropolen erinnert. Die ökonomische Misere war auch der Grund für den Aufstand von Andijan, nicht die "Subversion islamistischer Gruppen", wie die Regierung glauben machen wollte.

Es ist nach dem Bruch mit den USA nicht mehr auszuschließen, dass Russland den einstigen US-Stützpunkt in Khanabad übernehmen kann. Sicher ist, dass russische Unternehmer verstärkt in Usbekistan Fuß fassen wollen. Im Gegensatz zu westlichen Investoren kennen sie die im Vergleich zu Sowjetzeiten kaum veränderten Wirtschaftsstrukturen des Landes genau. Und bei der Bekämpfung eines islamischen Widerparts findet Karimow in Putin einen ebenso resoluten Verbündeten wie einst in George Bush: Russlands Präsident ist kaum dafür bekannt, radikal-islamische Gruppen mit Samthandschuhen anzufassen.

Die russisch-usbekische Annäherung zeichnete sich seit längerem ab. Bereits 2004 hatten beide Staaten gemeinsame Militärmanöver vereinbart, was angesichts der seinerzeit noch kühlen Beziehungen erstaunlich war. Die Übungen selbst fanden dann zwischen dem 19. und 24. September 2005 zu einem Zeitpunkt statt, nachdem die Amerikaner kurz zuvor die Aufforderung erhalten hatten, ihre Luftwaffenbase Karschi-Khanabad zu räumen. Ein leichtes Tauwetter in den russisch-usbekischen Beziehungen hatte begonnen, als Wladimir Putin nach seinem Amtsantritt am 1. Januar 2000 den ersten Auslandsbesuch überhaupt Usbekistan abstattete.

Augenscheinlich kommt es in Zentralasien auch zu einem Überlebensschub für diverse postsowjetische Allianzen. Die bereits 1994 gegründete Central Asian Cooperation Organisation (CACO) aus Russland, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan wird demnächst in der Eurasian Economic Community (EURASEC) aufgehen und als weiteres Mitglied Belarus aufnehmen.

Nicht zuletzt chinesische Unternehmen haben zudem Verträge zur Exploration der usbekischen Erdölvorkommen geschlossen. Im Hintergrund steht dabei die auf Initiative Pekings entstandene Shanghai Cooperation Organisation (SCO) - mit China, Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan ein pragmatischer Interessenverbund, der von sich behauptet, seine beste Zeit noch vor sich zu haben.

Ein NATO-Staat freilich kann in Usbekistan weiter Flagge zeigen - die deutsche Regierung hat es geschafft, ihren Bundeswehrstützpunkt im südusbekischen Termez zu halten. Friedbert Pflüger (CDU), Staatssekretär im Verteidigungsministerium, war im Dezember kurzerhand nach Taschkent geflogen, um Termez als "sicheren Hafen" (Pflüger) für die deutsche Afghanistan-Logistik zu halten. Für 240.000 Euro Monatsmiete darf die Bundeswehr bis auf weiteres und "für einen langen Zeitraum" von Usbekistan aus ihre Einheiten in Kabul und anderswo mit Brot, Butter und Munition versorgen.


Usbekistan seit den Protesten in Andijan vor einem Jahr
  • Mai 2005 - die offizielle Bilanz der Unruhen besagt, dass 169 Menschen ums Leben kamen. Augenzeugen sprechen von insgesamt rund 700 vorwiegend zivilen Todesopfern.
  • Juli 2005 - bei einem Gipfeltreffen in Kasachstan fordern die Staaten der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO/Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, Russland und China) einen Zeitplan für den Rückzug der US-Truppen aus Usbekistan und Kirgistan. Ende Juli fordert die Regierung in Taschkent die USA direkt dazu auf, ihren Stützpunkt in Karschi-Khanabad binnen 180 Tagen zu räumen.
  • Oktober 2005 - die in der Central Asian Cooperation Organisation (CACO) vereinten Staaten Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan beschließen die Fusion mit der Eurasian Economic Community (EURASEC), der auch Belarus angehört.
  • November 2005 - die USA ziehen ihre letzten 90 Soldaten von der usbekischen Basis Karschi-Khanabad ab. Kurz zuvor unterzeichnen Wladimir Putin und Islam Karimow einen Bündnisvertrag.
  • Dezember 2005 - das Oberste Gericht gibt bekannt, dass in zwei Prozessen 33 Personen wegen der Ereignisse von Andijan zu Haftstrafen zwischen 12 und 17 Jahren verurteilt worden sind. Insgesamt werden gegen 121 Angeklagte teilweise hohe Strafen verhängt.


* Aus: Freitag 15, 14. April 2006


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