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Ex-Guerillero an der Staatsspitze

José "Pepe" Mujica zum neuen Präsidenten Uruguays gewählt

Von Stefan Thimmel *

Der 74-jährige José »Pepe« Mujica hat die Präsidentschaftswahl in Uruguay deutlich gewonnen.

Der Kandidat des regierenden Mitte-Links-Bündnisses Frente Amplio setzte sich in der Stichwahl mit 53 Prozent gegen seinen Konkurrenten, den neoliberal orientierten Ex-Präsidenten Luis Alberto Lacalle (1990-1995) von der konservativen Nationalpartei durch, der 43 Prozent der Stimmen erhielt. Am 1. März 2010 wird der Mitbegründer der Stadt-Guerillera Tupamaros, ehemalige Landwirtschaftsminister und heutige Senator als 40. Präsident Uruguays für die nächsten fünf Jahre sein Amt antreten. Und Lucía Topolansky, ebenfalls als Tupamara viele Jahre im Untergrund und 13 Jahre inhaftiert, die seit über 20 Jahren seine Gefährtin und seit vier Jahren mit »Pepe« verheiratet ist, wird ihm an diesem Tag als Mehrheitsführerin der Frente Amplio im Parlament von Montevideo die Amtsschärpe umlegen.

Mujica, der im Wahlkampf immer wieder den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva als sein Vorbild bezeichnet hatte, steht vor allem für einen starken Staat, für sozialen Ausgleich und die lateinamerikanische Integration. Keine revolutionären Veränderungen, aber sicherlich Überraschungen sind von dem unkonventionellen Mujica zu erwarten. Obwohl er unermüdlich betonte, die reformorientierte Politik seines Vorgängers Tabaré Vázquez, des ersten linken Staatschefs in der Geschichte Uruguays, fortzusetzen. Dafür steht auch sein zukünftiger Vizepräsident Danilo Astori, der unter Vázquez von März 2005 bis September 2008 als Wirtschafts- und Finanzminister amtierte und der trotz politischer Differenzen loyal zum Kandidaten stand. Mujica dankte in der Nacht seines Triumphes dem amtierenden Präsidenten, der mit Sympathiewerten von über 70 Prozent aus dem Amt scheidet. »Danke, Tabaré. Wir haben wegen der Arbeit dieser Regierung gewonnen.« Sein erstes Wort richtete der vor allem beim einfachen Volk äußerst populäre »Pepe« allerdings vor seinen Anhängen an alle seine Landsleute: »Es ist eine verkehrte Welt: Auf der Bühne solltet ihr stehen und wir sollten euch applaudieren.«

Mujicas Sieg war nach dem ersten Wahlgang am 25. Oktober, als er mit 48 Prozent knapp die absolute Mehrheit verpasste, allgemein erwartet worden.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Dezember 2009


Ehemaliger Widerstandskämpfer wird Präsident

José "Pepe" Mujica gewinnt die Stichwahl in Uruguay. Linkstrend fortgesetzt Von Steffen Lehnert, Montevideo **

Der 74jährige Politiker José "Pepe" Mujica vom Linksbündnis Frente Amplio (FA) ist neuer Präsident Uruguays. Nach Auszählung von 75 Prozent der Stimmen lag der ehemalige Widerstandskämpfer gegen die Diktatur mit rund 52 Prozent der Stimmen deutlich vor seinem konservativen Kontrahenten Luis Alberto Lacalle, auf den zu diesem Zeitpunkt 43 Prozent entfielen. Etwa vier Prozent enthielten sich der Stimme. Wenig später wurde der Sieg von Mujica bestätigt. Er wird demnach dem Amtsinhaber Tabaré Vázquez, der ebenfalls der FA angehört, am 1. März kommenden Jahres ablösen. Vizepräsident wird der bisherige Wirtschaftsminister Danilo Astori, der eher zum konservativen Flügel innerhalb der FA gehört. Im ersten Wahlgang vor einem Monat hatte das Linksbündnis bereits die absolute Mehrheit in beiden Kammern erreicht.

Vor hunderttausenden feiernden Anhängern sprach Mujica seinen Dank aus und gelobte: "Das Herz der Macht ist in den großen Massen. Ich habe ein Leben gebraucht, um das zu lernen und dafür danke ich."

Mujica verfügt nicht über die typische Biografie eines Präsidenten: So war er ab den 1960er Jahren Mitglied der Tupamaros, der uruguayischen Stadtguerilla. Er überlebte – getroffen von sechs Kugeln – ein Feuergefecht und verbrachte 15 Jahre im Gefängnis, davon elf Jahre in Isolationshaft. Nach der Diktatur (1973-1985) war er Gründungsmitglied des politischen Arms der Guerilla, der Partei MPP, die sich der Frente Amplio anschloss. Seit 1994 war er Abgeordneter und seit der letzten Regierung 2004 war er Landwirtschaftsminister. Im politischen Alltag fällt er zudem durch seine rustikale Art auf, so lebt er immer noch auf einem kleinen Bauernhof zusammen mit seiner Lebensgefährtin Lucía Topolansky, ebenfalls Abgeordnete der FA.

Die Wahlbeteiligung war mit 90 Prozent wider Erwarten hoch. Zuvor war es zu Überschwemmungen im Norden des Landes gekommen, Tausende mussten evakuiert werden. In Uruguay herrscht Wahlpflicht, Nichtwähler werden mit einer Geldstrafe belegt.

** Aus: Internetportal Amnerika21.de, 30. November 2009


Uruguay wird weiter links regiert

José Mujica gewinnt Stichwahl um die Präsidentschaft

Von Stefan Peters, Montevideo ***

José »Pepe« Mujica ist der neue Präsident von Uruguay. Der Kandidat der regierenden Linkskoalition Frente Amplio (FA/Breite Front) hat am Sonntag abend erwartungsgemäß die Stichwahlen gewonnen. Anfang März wird er die Nachfolge des amtierenden Präsidenten Tabaré Vázquez (FA) antreten. Nach Auszählung von 93 Prozent der Stimmen erhielt Mujica gut 53 Prozent, sein Konkurrent Luis Alberto Lacalle von der Partido Nacional (Nationale Partei) kam auf 43 Prozent.

Trotz der niederschlagsbedingten Überschwemmungen, die in weiten Teilen im Norden des Landes große Schäden anrichten, konnten die Wahlen ohne bedeutende Behinderungen durchgeführt werden. Lacalle erkannte am Abend seine Niederlage an und bedankte sich bei seinen Wählern. Derweil rief Mujica seine Anhänger, die sich zu Zehntausenden an der Küstenpromenade Montevideos versammelten, dazu auf, die Positionen des politischen Gegners zu respektieren. Es gebe weder »Sieger noch Verlierer«, so der 74jährige. Mujica versprach eine Regierung, die nicht behaupte, die Wahrheit zu kennen, sondern auf die Hilfe aller angewiesen sei. Er erneuerte das Angebot, mit den im Parlament vertretenen Parteien in den Bereichen Sicherheit, Bildung, Energie und Umweltpolitik zusammenzuarbeiten.

Der Erfolg fiel deutlicher aus, als von den Umfragen vorausgesagt. Insbesondere das Rekordergebnis in Montevideo war siegentscheidend. In der Hauptstadt, die knapp die Hälfte der dreieinhalb Millionen Landeseinwohner beherbergt, erhielt Mujica nach letzten Angaben 59,7 Prozent der Stimmen, während Lacalle nur auf 35,9 Prozent kam.

Einer der Gründe für die unerwartet hohen Zustimmungsraten war wohl, daß es der FA nach anfänglichen Schwierigkeiten in den vergangenen Wochen immer besser gelungen war, die Erfolge der Regierung Vázquez besonders im sozialpolitischen Bereich ins Zentrum ihrer Wahlkampfes zu rücken. So konnte beispielsweise der Anteil der Armen an der Bevölkerung um ein Drittel gesenkt werden. Immerhin wird dessen Politik von 70 Prozent der Uruguayer als positiv bewertet. Als sich dann noch der Versuch der PN, einen spektakulären Waffenfund in einer medialen Angstkampagne mit der politischen Vergangenheit des Exmitglieds der Stadtguerilla »Tupamaros« Mujica, zu verbinden, als erfolglos heraustellte, hatten sich auch die letzten Hoffnungen Lacalles verflüchtigt. Angesichts der absehbaren Niederlage und zunehmender Kritik aus den eigenen Reihen agierte dieser in den letzten Tagen sichtlich nervös und beschuldigte am Ende gar die ihm stets wohlgesonnenen Privatmedien, seiner Kampagne zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet zu haben.

Nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse gegen 20.45 (Ortszeit) stieg in der Innenstadt Montevideos eine große Party. Schon um 21 Uhr stand Mujica vor einem weiß-blau-roten Fahnenmeer auf einer eigens eingerichteten Bühne an der Küstenpromenade und ließ sich von Präsident Vázquez umarmen. Auch die immer wieder einsetzenden teils heftigen Schauer konnten den Feierlichkeiten keinen Abbruch tun.

Zwar ist die Aufbruchstimmung, die nach dem historischen Sieg der FA im Jahr 2004 das Land erfaßte, merklich abgeflacht. Jedoch scheinen sich viele FA-Anhänger darin einig zu sein, daß Mujica einen neuen Politikstil in Uruguay einführen wird und damit zur Verringerung der Distanz zwischen Regierung und Bevölkerung beiträgt, unabhängig der pittoresken Darstellung seiner Person in der internationalen Presse. Dies zeigt sich auch in der Fähigkeit zur Mobilisierung vieler Jugendlicher, die nicht in die Strukturen der Parteibasis eingebettet sind. Eine Öffnung der FA für einen dringend erforderlichen Generationswechsel ergibt sich daraus nicht – für die Wahlen 2014 kann sich kaum jemand einen anderen Kandiaten als den allseits populären amtierenden Präsidenten Vázquez vorstellen.

*** Aus: junge Welt, 1. Dezember 2009


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