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"Pepe" muss in die Stichwahl

Linksbündnis Frente Amplio verfehlt absolute Mehrheit in Uruguay

Von Stefan Thimmel, Montevideo *

Es hat nicht ganz gereicht für José »Pepe« Mujica. Am Sonntag (25. Okt.) verfehlte das Mitte-Links-Bündnis Frente Amplio mit gut 48 Prozent der Stimmen knapp die absolute Mehrheit. Am 29. November kommt es zur Stichwahl zwischen Mujica und dem früheren Präsidenten Luis Alberto Lacalle.

Die Wahl am 29. November wird laut »Pepe« Mujica zu einem »nationalen Plebiszit« zwischen dem Reformprojekt der Linken und dem neoliberalen Projekt der Rechten. Und es herrscht berechtigte Hoffnung, dass das Tandem Mujica-Astori bei der Stichwahl die notwendige einfache Mehrheit der Stimmen erzielt. Denn im ersten Wahlgang distanzierte die Frente Amplio mit rund 48 Prozent die Nationalpartei (Blancos) von Luis Alberto Lacalle deutlich. Die Blancos lagen mit 28 Prozent der Stimmen hinter den Erwartungen zurück. Überraschende Gewinne verbuchte aber die rechte Colorado-Partei mit Pedro Bordaberry und etwas über 17 Prozent. Bordaberry, Sohn des ehemaligen Diktators Juan María Bordaberry, der 1973 den Staatsstreich ermöglichte, kündigte noch in der Wahlnacht die Unterstützung Lacalles an. Der Linken steht so eine vereinte Rechte gegenüber, die knapp 46 Prozent der Stimmen erhielt.

Auch wenn die Frente Amplio mehr Stimmen als die beiden rechten Parteien zusammen verbuchte, wird es keine leichte Aufgabe werden, die Anhänger der Linken in den nächsten vier Wochen wieder zu motivieren. Die Rechte gibt sich siegessicher, und vor allem die Colorados, die sich nach ihrem historischen Tief von 2004, als sie nur 10,3 Prozent der Stimmen erreichten, deutlich erholt haben, feierten ausgelassen und wittern die Chance, eine zweite Linksregierung in Uruguay zu verhindern.

Im Parlament konnte die Frente Amplio trotz der Verluste von zwei Prozentpunkten ihren Vorsprung vor den rechten Parteien behaupten. In der Abgeordnetenversammlung erreichte die Frente Amplio 50 Sitze, die Blancos kommen auf 30, die Colorados auf 18. Zünglein an der Waage werden die zwei Abgeordneten der kleinen Unabhängigen Partei sein. Insgesamt herrscht demnach ein Patt zwischen der Linken und den anderen Parteien. Ebenso wie im Senat: Hier erreichte die Frente Amplio 15 Sitze, die Blancos stellen neun und die Colorados sechs Senatoren. Entscheidend ist die Stimme des Vizepräsidenten, der dem Senat vorsteht. Bei einem Wahlsieg Mujicas könnte dessen Vize Danilo Astori die linke Mehrheit garantieren.

Gescheitert ist das Referendum über die Aufhebung der Straflosigkeit für während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 begangene Verbrechen von Militärs und Polizei. Ebenso wie 1989, als das Volk zum ersten Mal über das heftig umstrittene Amnestiegesetz von 1986 abstimmte, wurden die für die Annullierung notwendigen 50 Prozent nicht erreicht. Nur 48 Prozent der 2,5 Millionen Wahlberechtigen stimmten dafür. Eine bittere Niederlage vor allem für die Menschenrechtsverbände und die Familienangehörigen der über 200 »Verschwundenen« in Uruguay, die denn auch der Frente Amplio eine Mitschuld am Scheitern geben. Zu zögerlich war die Unterstützung der Regierung für das Plebiszit, und im polarisierten Wahlkampf ging die Abstimmung über die Bewältigung der Vergangenheit unter.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2009


In der Verlängerung

Uruguay: Linksbündnis verfehlt bei Wahl absolute Mehrheit. Volksentscheid über Schlußpunktgesetz scheitert

Von Stefan Peters, Montevideo **

Schon die Umfragen hatten angedeutet, daß es für das regierende Linksbündnis Frente Amplio (Breite Front/FA) knapp werden würde, bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Uruguay am Sonntag die absolute Mehrheit zu erreichen. Das hat sich nun offenbar bestätigt: Nach Auszählung von 46 Prozent der Stimmen kommt ihr Kandidat, der Exguerillero José Mujica, auf 43 Prozent der Stimmen. Sein Hauptkonkurrent, Luis Alberto Lacalle von der konservativen Partido Nacional (PN) erhielt 32 Prozent. Damit gehen beide Kandidaten am 29. November in die Stichwahl. Unklar war bei Redaktionsschluß noch, ob die FA im Parlament und im Senat ihre absolute Mehrheit verteidigen konnte. Während sowohl FA als auch PN Stimmenanteile verloren, konnte die rechtsliberale Partido Colorado (PC) mit ihrem Kandidaten Pedro Bordaberry die starken Verluste der vergangenen Wahlen teilweise kompensieren. Sie kommt aktuell auf 18 Prozent der Stimmen. Bordaberry gab bereits bekannt, Lacalle bei der Stichwahl zu unterstützten.

Schon nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen am Sonntag abend machte sich unter den Anhängern der FA Enttäuschung breit, während die Sympathisanten der PN und der PC feierten. Mujica erkannte noch am Wahl­abend an, daß er die erforderliche Mehrheit im ersten Anlauf verfehlt hatte und rief seine Anhänger dazu auf, den Wahlkampf entschlossen fortzusetzen. Im Anschluß kam es im Zentrum Montevideos zu einer teils müden, teils trotzigen Demonstration vor allem jüngerer Anhänger der FA. Zusätzlich vermiest wurde die Stimmung durch das unerwartete Scheitern eines Volksentscheids zur Annulierung der Straffreiheit für die Verbrechen während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985. Viele sahen in der fehlenden Unterstützung des Plebiszits durch die Führung der FA den Grund für die Niederlage. Auch ein zweiter Volksentscheid für die Einführung der Briefwahl für im Ausland lebende Staatsbürger scheiterte deutlich. Diese müssen auch zukünftig zur Abgabe ihrer Stimmen ins Land kommen. In Uruguay herrscht Wahlpflicht, die Wahlbeteiligung lag bei etwas über 90 Prozent.

Der FA war es nach einem müden und weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf erst relativ spät gelungen, ihre Basis zu mobilisieren und die Straßen Montevideos in die aus der Vergangenheit gewohnte rot-blau-weiße Farbenpracht zu hüllen. Viele im Ausland lebende Staatsbürger waren eigens aus den Nachbarländern, aber auch aus Europa und Australien angereist, um ihre Stimme abzugeben.

Obwohl es als relativ wahrscheinlich gilt, daß Mujica in der Stichwahl zum Präsidenten gewählt wird, begann innerhalb der Basis schon am Abend die Suche nach Erklärungen für das Verfehlen der absoluten Mehrheit. Cristina, eine langjährige Aktivistin, die sich dem sozialdemokratischen Lager des Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, Danilo Astori, zurechnet, machte die fehlende Vermittlung der Regierungserfolge an die Basis sowie die Entscheidung für die polarisierende Figur Mujicas als Präsidentschaftskandidaten als Gründe für das Verfehlen der absoluten Mehrheit aus. Kritischer äußerte sich Nelson, der sich selbst als Marxist-Leninist bezeichnet und der Asamblea Popular (Volksversammlung/AP), einer Linksabspaltung der FA, angehört. Für ihn war die mangelnde Radikalität der FA ausschlaggebend für den Rückgang der politischen Unterstützung.

Die AP, die eigenständig kandidiert hatte, verpaßte die für einen Einzug in das Parlament nötigen ein Prozent der Stimmen. So werden ihm neben den drei etablierten Parteien nur die Partido Independiente (Unabhängige Partei/ PI) von Pablo Mieres angehören. Angesichts einer Pattsituation zwischen der FA und den traditionellen Parteien kommt den Anhängern der PI eine entscheidende Rolle für den Ausgang der Stichwahl zu. Diese kündigte bereits an, ihren Anhängern keine Wahlempfehlung zu geben. Entscheidend für den Ausgang der Wahl am 29. November wird zudem sein, ob es der FA erneut gelingt, viele der im Ausland lebenden Staatsbürger, die in der Mehrheit für die FA stimmen, dazu zu bringen, ihre Stimme in Uruguay abzugeben. Sowohl Mujica als auch Lacalle zeigten sich am Wahlabend optimistisch, die Stichwahl zu gewinnen.

** Aus: junge Welt, 27. Oktober 2009


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