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Ein Tupamaro strebt an Uruguays Spitze

José Mujica will Präsident werden

Von Stefan Thimmel *

Die kommenden Präsidentschaftswahlen in Uruguay stellen eine klare Richtungsentscheidung dar: Gegenüber stehen sich Luis Alberto Lacalle und José Mujica – ein neoliberaler ehemaliger Staatspräsident und einer der Gründer der Stadtguerilla Tupamaros.

Gegensätze haben ihren Reiz. Das sagte sich wohl auch die knappe Hälfte der 2,5 Millionen wahlberechtigten Uruguayer am vergangenen Sonntag (28. Juni), als sie die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 25. Oktober bestimmte. Linksrutsch oder zurück in die 90er Jahre: José Mujica, »El Pepe« genannt, und Luis Alberto Lacalle sind zwei Männer mit völlig unterschiedlichen politischen Konzepten und Biografien.

Der ehemalige Tupamaro Mujica, Mitbegründer der Stadtguerilla in den 60er Jahren, verbrachte vor und während der uruguayischen Militärdiktatur (1973-85) insgesamt 14 Jahre im Kerker, die Hälfte dieser Zeit in Einzelhaft. Der inzwischen 75-jährige Anführer der Bewegung für die Beteiligung des Volkes, der seit 1995 im Parlament sitzt, ist ein ungelernter Blumenzüchter, der eine direkte, mitunter »blumige« Sprache spricht und besonders bei einfachen Leuten sehr beliebt ist.

Auf der anderen Seite tritt in der Person Lacalles ein Vertreter der Klasse an, die seit der Staatsgründung im Jahr 1828 die Politik in Uruguay bestimmt hat. Während seiner Präsidentschaft (1990-95) stand der heute 67-Jährige für eine neoliberale Privatisierungspolitik.

Beide wollen am 1. März 2010 die Nachfolge des amtierenden Mitte-Links-Präsidenten Tabaré Vázquez antreten, der nicht wiedergewählt werden kann.

Bei den Vorwahlen stimmten 42 Prozent der Wähler für die Kandidaten der seit März 2005 regierenden Frente Amplio (Breite Front). Dabei konnte sich Mujica, bis März 2008 Landwirtschaftsminister, mit 59 Prozent deutlich gegen den ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister Danilo Astori durchsetzen. Mujica wird den Unterlegenen jetzt zur Kandidatur für die Vizepräsidentschaft überreden müssen. Ohne Zugeständnisse wird das nicht gehen. Denn zwischen den Positionen des Astori-Blocks und Mujicas Bewegung, den Kommunisten und anderen Linksparteien der Frente tun sich tiefe Gräben auf. Die Linken wollen ausländische Direktinvestitionen im Land an Bedingungen knüpfen und die Abhängigkeit von internationalen Finanzinstitutionen verringern. Zudem soll wieder eine staatliche Fleischindustrie aufgebaut werden, nachdem dieser Zweig in den letzten Jahren komplett in die Hände vor allem brasilianischer und argentinischer Unternehmen gefallen ist. Astori sieht dagegen im weiteren Öffnen der Märkte und in Investitionen die Zukunft für Uruguay.

Mujica wird »Kröten schlucken müssen«, wie er es selbst nennt, um die Mittelschicht, die mehrheitlich für Astori gestimmt hat, zu gewinnen. Mit ihrer Unterstützung aber hat »Pepe« gute Chancen, Präsident zu werden. Allerdings darf er die linken Basiskomitees der Frente nicht weiter verprellen. Von denen sind viele nach der Regierungszeit des populären, aber wegen autoritärer Entscheidungen in der Frente umstrittenen Präsidenten Vázquez enttäuscht.

Bei der Nationalpartei, den Blancos, die ebenfalls 42 Prozent aller Stimmen erhielt, kam Luis Alberto Lacalle auf 55 Prozent und schlug seinen Konkurrenten Jorge Larrañaga. Das Tandem für die Präsidentschaftswahl steht schon fest: Lacalle bot dem IWF-kritischen Larrañaga die Vizepräsidentschaftskandidatur an, und der akzeptierte ohne Bedingungen.

Wie das programmatisch zusammenpasst, weiß zwar niemand so richtig, aber das ist derzeit zweitrangig. Zuerst geht es den Rechten darum, Mujica zu verhindern. Dazu könnte auch die dritte Kraft im Lande beitragen, die rechtsliberalen Colorados. Sie schnitten mit zehn Prozent bei den Vorwahlen nicht so schlecht ab wie vorausgesagt. Und das trotz oder wegen Pedro Bordaberry. Der Sohn des ehemaligen Diktators Juan María Bordaberry (1972-76) gewann die Vorwahl seiner Partei mit 71 Prozent.

Falls bei der Wahl am 25. Oktober keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent erhält, könnten die Colorados dem Duo Lacalle-Larrañaga bei der Stichwahl einen Monat später die entscheidenden Prozente verschaffen.

Bisher sagen alle Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. »Wir müssen daran denken, dass die Welt sich geändert hat, weil ein Schwarzer in den USA regiert, weil Lula in Brasilien dran ist und Evo (Morales) in Bolivien. Ich will, dass alle wissen, dass ich die vertrete, die unten sind und ich empfinde Stolz und Verpflichtung dabei«, sagte José Mujica am Sonntag.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2009


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