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Wenn man den Sportteil separiert

In Uruguay sorgt ein Dokfilm für Wirbel. Er blickt zurück auf die Fußball-Super-WM unter der Militärdiktatur vor 30 Jahren

Von André Dahlmeyer *

Inmitten der letzten Militärdiktatur Uruguays (1973–1985) wurde zur Jahreswende 1980/81 in der Hauptstadt Montevideo eine WM der Fußballweltmeister ausgetragen, in Deutschland Mini- oder Super-WM genannt, richtig »Copa de Oro – Mundialito«. Und wie schon zwei Jahre zuvor bei der »echten« WM in Argentinien (für die sich Uruguay nicht hatte qualifizieren können) kamen alle dahergelaufen. Fünf der sechs damaligen Weltmeister standen den Militärs in ihrem so schwierigen Kampf gegen die sogenannte Subversion bei, nur England fehlte und wurde durch Vizeweltmeister Niederlande ersetzt. Auch die damaligen Superstars Karl-Heinz Rummenigge und Diego Maradona ließen sich nicht lange bitten.

30 Jahre später ist nun die 72minütige Dokumentation »Mundialito« in die uruguayischen Kinos gekommen und hat nicht nur in dem kleinen südamerikanischen Land für Wirbel gesorgt. Ausgangspunkt des Films von Sebastián Bednarik ist die Frage, wie das Mundialito mit einem »Plebiscito« verbändelt war. Exakt einen Monat vor Beginn der »Copa de Oro« sollten die Urus an den Wahlurnen über eine Verfassungs-«Reform« abstimmen, deren einziges Ziel die nachträgliche Legalisierung der Intervention der Streitkräfte war, die, weltfremd und selbstverliebt wie solche Leute sind, von einem klaren »Sí!« ausgingen und ihren Sieg gebührend abgefeiert wissen wollten.

Bednarik & Cía. verzichten in ihrem preisverdächtigen Horrorfilm über Politik, Fußball und asoziales Busineß auf eine Analyse des Ganzen. Bilder und Aussagen von Protagonisten der Epoche werden an- und gegeneinander montiert. Sie sagen auch unkommentiert mehr, als heute vielen lieb ist.

Hallo Farbfernsehen

Veranstaltet wurde das Mundialito von der Asociación Uruguaya de Fútbol (AUF), die auch aktuell nicht gerade ein Licht der Demokratie ist und damals längst von Militärs zersetzt war (mehr als siebzig Prozent der Posten in den verschiedenen Organisationskomitees hatten Abgesandte der Marine inne). Unterstützt wurde die AUF, klar, von der FIFA. Deren damaliger Präser João Havelange erklimmt die Leinwand, um schließlich am Ende eines Marmortischs so lang wie ein Fußballfeld zu landen. Er nimmt Platz unter einem Ölgemälde von João Havelange, und erklärt uns die Welt, wie wir sie seit Äonen kennen: »Ich mache keine Politik. Ich mache Sport.«

Deshalb geht die FIFA bis heute zwar mit jedem Diktatoren ins Bett, verbittet sich aber jegliche Einflußnahme von Regierungen auf Verbände. Süffisant bemerkte der zweite Mann der FIFA, Julio Grondona, damals und heute argentinischer Verbandspräser, dieser Tage: »Ich mache Sozialismus… – mit Geld!« Für den Film ließ er sich nicht interviewen, auch nicht für diesen Beitrag. Genauso bedeckt hielt sich Tabaré Vázquez, der von 2005 bis 2010 Uruguays Staatspräser war und von progressiven Kräften in Europa immer wieder gerne als »Linker« bezeichnet wird. Er wirkte entscheidend in der Kommission für Finanzen des Mundialito mit. Heute will der davon nichts mehr wissen.

Folgt man der Chronologie des Films, entstand das Turnier aus einer Schnapsidee heraus. Geld war jedenfalls keins da. Wie aus dem Nichts tauchte der griechische Zuhältertyp Ángelo Voulgaris auf (»Die Militärs hatten nichts im Kopp!«), der wahlweise als »Broker« oder schlichter Geschäftsmann bezeichnet wird. Wenn er, auf einem Gartenstuhl lümmelnd, proletarisch-lasziv sein eisverwestes Whiskeyglas über die Leinwand schiebt, ahnt man: Der Mann hat nicht mehr lange. Kurz vor der Uraufführung von »Mundialito« ist er verstorben.

Im Film sagt Voulgaris, er sei auf dem Weg nach Afrika gewesen, um dort Fleisch zu verhökern, als auf einem spanischen Flughafen diese Uru-Generäle über ihn stolperten. Die FIFA authorisierte ihn ad hoc, die Copa zu finanzieren. An dieser Stelle kam ER ins Spiel, Silvio Berlusconi. Um endlich mehr als einen Fuß in den italienischen Fernsehmarkt zu bekommen, kaufte er die Exklusivübertragungsrechte, knockte RAI an die Wand. Mindestens sechs Millionen Dollar hat Voulgaris von Berlusconi erhalten, der seitdem zu einer der gefährlichsten Personen Europas mutiert ist. »Ich war überaus zufrieden!«, bemerkt der Grieche, und faßt sich dabei zünftig in den Schritt. Der Deal brachte Uruguay und der Militärdiktatur das Farbfernsehen ein.

Im Gegensatz zu den »echten« WM hatte das Mundialto – zu dem auch Kissinger anreiste, Völkermörder, Ex-Genscher-Intimus und neuerdings FIFA-Angestellter – ein »echtes« Maskottchen. Der sechsjährige Diego Schaffer mußte mit Stirnband und Gänsefeder für die Militärs herhalten. Wie ein Outro Karl Mays.

Als Zeitzeugen treten einige Tupamaros auf, unter ihnen der aktuelle Präsi der Urus, José Mujica, heute eher ein »Ghandi Oriental«. José Pacella, ein klandestiner Kommunist der Epoche, sagt: »Wir waren zwischen zwei- und dreitausend, mehr oder weniger versteckt lebend.« Die Tuparamos machten damals Plakate: »Nein zum Faschismus! Schieß ein Tor gegen die Diktatur!!« Davon habe man dreihundert Matrizen abgezogen und »unters Volk gebracht«, berichtet Pacella stolz. Wow. Dreihundert.

Dr. Sócrates

Um Fußball geht es im Film weniger, aber ein Highlight ist das Interview mit dem großen »Elfmeterspazierer« Dr. Sócrates, den wir in den 80ern in Deutschland alle bewunderten. Der Kapitän der »Seleção« läßt im Film den Schwaben-Vorstopper Karl-Heinz Förster aussteigen und macht »Toni« Schumacher naß. Dann wird er zum politischen Bewußtsein seiner Auswahl von 1980 befragt: » Bewußtsein? Wissen? Kritik hatte uns niemand beigebracht. Ich brachte manchmal eine Zeitung in unser Gefängnis – so nannte ich unser Quartier –, separierte den Sportteil vom Rest, und dieser Rest wurde niemals angefaßt. Niemand wollte etwas wissen von Ökonomie, Politik, Kultur – von gar nichts!« Sócrates sinniert: »Man muß Fußballer in Brasilien mit einem Verfassungszusatz zu einem gewissen Maß an Bildung verpflichten. Sie sind in diesem Land meinungsbildend.«

Etwas unqualifizierter grölte Maradona, als Argentinien ungeschlagen das Endspiel verpaßt hatte, in die Mikros der jounalistischen Freischärler: »In einem Land wie Uruguay sollte man nie wieder spielen!« Die Urus hatten in den Matches der Silberländer gegen Westdeutschland und Brasilien einstimmig gegen Argentinien gesungen. Man wollte nicht, daß die Militärdiktatur so schlimm wird, wie sie beim Nachbarn auf der anderen Seite des Río de La Plata schon war.

Das »Plebiscito« vor dem Turnier hatten die Militärs klar verloren. Trotz gleichgeschalteter Presse sagten fast eine Million Uruguayos »No!« (das waren 57 Prozent der Stimmen, Uruguay hat weniger Einwohner als Berlin). Plötzlich kam den Militärs das Mundialito gar nicht mehr so gelegen – zu viele Journalisten. Die Urus feierten, wie sie konnten. Hunderte Geburtstage hielten als Ausrede zum Anstoßen her. Die europäische Presse schrieb, das sei das erste Mal gewesen, daß eine Diktaur »wählen ließ« – und verlor.

Das Mundialito-Finale gegen Brasilien konnte Uruguay am 10. Januar gewinnen. Die Partie war geschmiert und Uruguay Meister der Meister, Supermeister, Meister Propper. Die Leute sangen in den Straßen: »Sie geht zu Ende, sie geht zu Ende, die Militärdiktatur!« Doch der Staatsterrorismus – Folter, Verschwindenlassen, Mord – wütete noch, ehe er 1985 in die Annalen einging. Die Präsenz der Superstars beim »Brot-und-Spiele-Spektakel« in Montevideo hatte die Militärs gestärkt. Ein Bumerang ist dieses Mundialito nie gewesen.

* Aus: junge Welt, 9. Juli 2011


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