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Die Visionen von "El Pepe"

José Mujica als neuer Präsident Uruguays ins Amt eingeschworen

Von Stefan Thimmel, Montevideo *

Der ehemalige Staatsfeind ist Präsident Uruguays. Seinem Stil getreu ohne Krawatte und im offenen weißen Hemd wurde der 74-jährige José »Pepe« Mujica ins Amt eingeschworen.

Mujica hatte in den 60er Jahren die bewaffnete Stadtguerilla Tupamaros mitbegründet und 1973 bis 1985 unter der Militärdiktatur als Geisel des Staates in Isolationshaft im Kerker gesessen. Ins Amt eingeschworen wurde er im uruguayischen Parlament von seiner Frau und jahrzehntelangen Kampfgefährtin Lucía Topolansky, die heute die linke Mehrheit im Senat des Parlaments führt.

In Anwesenheit vieler lateinamerikanischer Staatschefs, darunter Hugo Chavéz, Cristina Fernández de Kirchner, Luiz Inácio Lula da Silva, Rafael Correa, Evo Morales und Fernando Lugo skizzierte er vor dem Parlament, in dem in beiden Kammern das Mitte-Links-Bündnis Frente Amplio die Mehrheit stellt, die vier Schwerpunkte seiner fünfjährigen Amtszeit. Bildung, Energie, Umwelt und Sicherheit sind die Bereiche, denen Mujica sich hauptsächlich widmen will. Besonders Bildung und Erziehung sind Herzensangelegenheiten des ungelernten Blumenzüchters, der zuletzt als Landwirtschaftsminister in der ersten Linksregierung des Landes unter dem scheidenden Präsidenten Tabaré Vázquez diente und der in den vergangenen zwei Jahren das von den ehemaligen Tupamaros dominierte Bündnis »Bewegung für die Beteiligung des Volkes« als Senator im Parlament vertrat. »Alle Regierenden müssten jeden Morgen, wie früher in der Schule, hundertmal schreiben: Bildung, Bildung, Bildung«, appellierte der Präsident. Zudem will er den Staatsapparat reformieren. Keine leichte Aufgabe, erst recht nicht im bürokratischen Uruguay.

Über allem aber steht für Mujica die Ausrottung der Armut, unter der trotz Verbesserung der sozialen Situation in den vergangenen fünf Jahren unter der Regierung Vázquez immer noch rund 20 Prozent der 3,4 Millionen Uruguayer leiden. Integration ist dabei sowohl nach innen wie nach außen sein wichtiges Stichwort. Und schon bei der Übergabe der Präsidentschaft demonstrierte der scharfzüngige und volksnahe Mujica, dass es ihm damit ernst ist. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes fand die Zeremonie unter freiem Himmel statt. Zehntausende waren vor dem Denkmal des Nationalhelden José Artigas unmittelbare Zeugen.

Und während der neue Präsident Mujica in seiner Rede vor dem Parlament eher nüchtern und schon sehr präsidial die wichtigsten Vorhaben seiner Amtszeit beschrieben hatte, war es bei strahlendem Sonnenschein »El Pepe«, der mit klaren, einfachen Worten seine Visionen beschrieb. So die Einheit des Kontinentes: Die lateinamerikanische Integration gewinnt mit dem ehemaligen Stadtguerillero einen leidenschaftlichen Verfechter. Chávez, Morales, Lula und Co. wird das gefreut haben, die etwas überraschend ebenfalls bei der Amtseinführung anwesende US-Außenministerin Hillary Clinton womöglich etwas weniger.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2010

Die Wahlergebnisse

Ehemaliger Widerstandskämpfer wird Präsident

José "Pepe" Mujica gewinnt die Stichwahl in Uruguay. Linkstrend fortgesetzt

Von Steffen Lehnert, Montevideo **


Montevideo. Der 74jährige Politiker José "Pepe" Mujica vom Linksbündnis Frente Amplio (FA) ist neuer Präsident Uruguays. Nach Auszählung von 75 Prozent der Stimmen lag der ehemalige Widerstandskämpfer gegen die Diktatur mit rund 52 Prozent der Stimmen deutlich vor seinem konservativen Kontrahenten Luis Alberto Lacalle, auf den zu diesem Zeitpunkt 43 Prozent entfielen. Etwa vier Prozent enthielten sich der Stimme. Wenig später wurde der Sieg von Mujica bestätigt. Er wird demnach dem Amtsinhaber Tabaré Vázquez, der ebenfalls der FA angehört, am 1. März kommenden Jahres ablösen. Vizepräsident wird der bisherige Wirtschaftsminister Danilo Astori, der eher zum konservativen Flügel innerhalb der FA gehört. Im ersten Wahlgang vor einem Monat hatte das Linksbündnis bereits die absolute Mehrheit in beiden Kammern erreicht.

Vor hunderttausenden feiernden Anhängern sprach Mujica seinen Dank aus und gelobte: "Das Herz der Macht ist in den großen Massen. Ich habe ein Leben gebraucht, um das zu lernen und dafür danke ich."

Mujica verfügt nicht über die typische Biografie eines Präsidenten: So war er ab den 1960er Jahren Mitglied der Tupamaros, der uruguayischen Stadtguerilla. Er überlebte - getroffen von sechs Kugeln - ein Feuergefecht und verbrachte 15 Jahre im Gefängnis, davon elf Jahre in Isolationshaft. Nach der Diktatur (1973-1985) war er Gründungsmitglied des politischen Arms der Guerilla, der Partei MPP, die sich der Frente Amplio anschloss. Seit 1994 war er Abgeordneter und seit der letzten Regierung 2004 war er Landwirtschaftsminister. Im politischen Alltag fällt er zudem durch seine rustikale Art auf, so lebt er immer noch auf einem kleinen Bauernhof zusammen mit seiner Lebensgefährtin Lucía Topolansky, ebenfalls Abgeordnete der FA.

Die Wahlbeteiligung war mit 90 Prozent wider Erwarten hoch. Zuvor war es zu Überschwemmungen im Norden des Landes gekommen, Tausende mussten evakuiert werden. In Uruguay herrscht Wahlpflicht, Nichtwähler werden mit einer Geldstrafe belegt.

** Aus: www.amerika.de, 30.11.2009


Wahlresultate in Uruguay

Frente Amplio konnte Ergebnis letztlich leicht verbessert und hat Mehrheit in beiden Parlamentskammern

Von Steffen Lehnert, Montevideo ***


Montevideo. Am heutigen Morgen wurde das amtliche Endergebnis der Wahlen vom Sonntag bekannt gegeben. Demnach konnte die Frente Amplio (FA) mit 48,16 Prozent doch noch mehr Stimmen auf sich vereinen als bisher angenommen wurde. Die konservative Partei der Blancos (PB) erhielt 28,94 Prozent und die Colorados (PC) 16,9 Prozent. Die Partido Independiente (Pi) kam auf 2,47 Prozent der gültigen Stimmen.

Damit steht fest, was schon am Wahlabend proklamiert wurde: Es wird in rund einem Monat eine Stickwahl zwischen dem Linkskandidaten der regierenden Frente Amplio, José "Pepe" Mujica, und seinem konservativen Herausforderer Luis Alberto Lacalle von den Blancos geben.

Auch in Bezug auf die Legislative besteht nun Klarheit: In beiden Kammer erhielt die regierende FA eine knappe absolute Mehrheit der Sitze. So wurden im Abgeordnetenhaus 50 von 99 Mandaten errungen, im Senat 16 von 30. Den 31. Senatorensitz hat der Vizepräsident inne, der zusammen mit dem Präsidenten am 29. November gewählt wird.

Anders als in den vergangen Jahren hat sich die Frente Amplio auch in den Verwaltungsbezirken (Departamentos) außerhalb von Montevideo, wo die Hälfte aller Uruguayer lebt, durchsetzen können. Sie ist damit die stärkste Partei in zehn von 18 Departamentos.

*** Aus: www.amerika.de, 27.10.2009




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