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Jahrgang 1917

Zum Tod des deutsch-uruguayischen Antifaschisten Ernesto Kroch

Von Karlen Vesper *

Ein Jahrhundertleben hat sich vollendet. Mit Ernesto Kroch ist am Sonntag in Frankfurt am Main einer der letzten Zeugen der faschistischen Barbarei und des antifaschistischen Widerstands verstorben.

Er war nicht der Überzeugung, dass die Verhinderung des Kriegsentfesselers und Massenmörders Hitler von vorn herein chancenlos gewesen wäre. Der am 11. Februar 1917 in Breslau geborene deutsch-uruguayische Kommunist und Gewerkschaftsführer Ernesto Kroch hat erlebt, dass eine geeinte Arbeiterschaft erfolgreich sein kann. Er war Lehrling in einem Metallbetrieb, als bei den Wahlen für betriebliche Vertrauenleute im März 1933 reichsweit die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) eine empfindliche Niederlage einstecken musste. Also hätte, so Krochs Schlussfolgerung, ein Generalstreik, zu dem die KPD am 30. Januar 1933 aufgerufen hatte und der von der Kommunistischen Partei Opposition (KPD/O) unterstützt wurde, bei engagiertem Mittun seitens des SPD und des Gewerkschaftsbundes ADGB durchaus erfolgreich sein können. Doch die Gewerkschaftsführer zauderten, warnten vor Abenteuern, während die Sozialdemokraten - verständlicherweise - den Kommunisten deren schändliche »Sozialfaschismusthese« in den Jahren zuvor noch nachtrugen. Die KPD selbst hatte - ebenfalls nachtragend, wegen »Abtrünnigkeit« - zu lange die Einheitsangebote der KPD/O unter Heinrich Brandler und August Thalheimer abgelehnt. Die fatalen Folgen der Uneinigkeit bekam Kroch leibhaftig zu spüren.

Der junge Antifaschist klebte Zettel in Breslau an Hauswänden, verteilte Flugblätter, war im illegalen Widerstand für die KPD/O tätig. Im November 1934 fiel er der Gestapo in die Hände und wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Anschließend kam er ins KZ Lichtenburg, eines der ersten Konzentrationslager der Nazis. 70 Jahre später betrat er die Stätte einstigen Leidens erstmals wieder, fand »seine« Zelle und erinnerte sich an Diskriminierung und Misshandlung im ehemaligen, zur Folterhöhle umgewandelten Schloss im sächsischen Prettin.

1937 konnte er ausreisen. Über die Tschechoslowakei verschlug es ihn nach Jugoslawien, wo ihn Zionisten für die Auswanderung nach Palästina werben wollten. Doch danach stand ihm nicht der Sinn. Während sein Bruder und seine Schwester ins Gelobte Land aufbrachen, machte er sich auf einen noch viel weiteren Weg, in eine gänzlich andere Hemisphäre. 1938 erreichte sein Schiff den Hafen von Montevideo. Uruguay sollte seine zweite Heimat werden.

Aus Ernst wurde Ernesto. Er arbeitete wieder in einem Metallbetrieb, organisierte sich in der Gewerkschaft und engagierte sich in den antifaschistischen Komitees der Emigranten. In eine Kommunistische Partei trat er nicht wieder ein, blieb aber Kommunist.

Nach der Niederschlagung des Faschismus in Europa und Asien konzentrierte sich Ernesto Kroch auf den sozialen und politischen Kampf in seinem Zufluchtsland, das ihm ans Herz gewachsen war. Die bewaffneten Aktionen der Tupamaros lehnt er als verzweifelte, letztlich aussichtslose Gewalt ab. Ernesto Kroch war stets da zu finden, wo Arbeiter um Lohnerhöhungen streikten, Bürger gegen Wohnungsnot und Mietpreiserhöhungen protestierten und die Ärmsten der Armen für ein menschenwürdiges Leben demonstrierten. Er unterstützte Stadtteilkomitees mit Rat und Tat und erfüllte die Casa Brecht mit geistvollem Leben. Zwischenzeitlich war er erneut in den Untergrund und ins Exil gezwungen. Im Juni 1973 hatte das Militär in Uruguay, unterstützt durch die USA, geputscht. 1982 floh Ernesto Kroch in die Bundesrepublik, drei Jahre später erst konnte er in seine lateinamerikanische Wahlheimat zurückkehren.

»Exil in der Heimat - Heim ins Exil« überschrieb er seine Autobiografie, die im Berliner Verlag Assoziation A erschien. »Ernesto alias Ernst - Der Langstreckenkämpfer« heißt ein Dokumentarfilm von Martin Keßler, der ihn vor einigen Jahren gemeinsam mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Eva Weil bei einer Reise in die Vergangenheit begleitete.

Ernesto Kroch war in der globalisierungskritischen Bewegung Attac aktiv. Und er glaubte, wie er in einem nd-Interview im vergangenen Jahr bekundete, an den Sozialismus im 21. Jahrhundert - der freilich ein anderer sein müsste und würde als jener, der mit der russischen Revolution in seinem Geburtsjahr auf die Welt kam.

* Aus: neues deutschland, 13. März 2012


Neues Exil

Ein Nachruf auf den Gewerkschafter, Kommunisten und Schriftsteller Ernesto Kroch

Von Johannes Schulten **


Auch beim schönsten Schauspiel gilt: Einmal muß der Vorhang fallen. Auch für mich«. Für den jüdischen Kommunisten oder kommunistischen Juden Ernesto Kroch ist der Vorhang in der Nacht zum Sonntag gefallen, beinahe acht Jahre nachdem er diese Zeilen auf die letzte Seite seiner Autobiographie setzte. Kroch starb im Alter von 95 Jahren in Frankfurt am Main.

Ein Schauspiel war das Leben des Antifaschisten und Gewerkschafters wahrhaftig. Und trotz KZ-Haft und zweimaligem Exil war es wahrscheinlich sogar ein schönes, vor allem eines, das für viele Leben gereicht hätte.

Geboren 1917 in Breslau, war Kroch gleich zweimal im Abstand von 45 Jahren gezwungen, wegen seiner politischen Überzeugung und des Einsatzes dafür sein »Heimatland« zu verlassen: Als aktiver Antifaschist wird der gerade 17jährige 1934 von der Gestapo verhaftet. Es folgen Folter, eine knapp zweijährige Gefängnishaft und die Einweisung ins Konzentrationslager Lichtenburg. Kroch hat Glück, er kommt nach drei Jahren frei. Palästina, wo die Mutter ihm einen Studienplatz verschafft hat, kam für ihn als Fluchtort nicht in Frage – »ich hatte nicht die geringste Lust mit ihnen (den Palästinensern) in Konflikt zu kommen für einen Judenstaat, für den ich nichts übrig hatte«, schreibt er später.

Mit gefälschtem Visum für Paraguay verschlägt es Kroch schließlich eher zufällig in das kleine südamerikanische Uruguay, um ein halbes Menschenleben später erneut flüchten zu müssen. Im Juni 1973, drei Monate vor dem Putsch gegen Allende in Chile, schossen sich die Militärs in der La-Plata-Republik an die Macht. Anders als in Deutschland macht es die Arbeiterbewegung dem neuen Regime jedoch nicht so leicht und empfängt die Generäle mit einem 15tägigen Generalstreik. Und wieder ist Kroch dabei: Mit seinen Compañeros der Metallergewerkschaft und dem gerade gegründeten Linksbündnis Frente Amplio (Breite Front). 1982 flieht er zurück nach Deutschland – ein Land, in dem einen 65jährigen »Experten für veraltete Dampfkesseltechnik made in Uruguay« bei zwei Millionen Arbeitslosen alles andere als eine sichere Zukunft erwartet.

Verbitterung war Krochs Sache nie. Ob bei unzähligen Vorträgen, in seinen Büchern oder in dem von Mario Keßler gedrehten Dokumentarfilm: »Ernesto alias Ernst – Der Langstreckenkämpfer« – Kroch spricht lieber über die Möglichkeiten der Linken, besonders in Lateinamerika, als die verlorenen Kämpfe zu betrauern. Noch bis ins hohe Alter empfing er jeden Interessierten, der einmal zufällig in Montevideo Station machte, in seinem kleinen Häuschen am Stadtrand, wo er mit seiner Frau, die ebenfalls als jüdische Emigrantin nach Uruguay kam, seit 1985 wieder lebte. Immer neugierig auf Neuigkeiten aus Deutschland.

So abgedroschen Vergleiche mit Brechts »lesendem Arbeiter« sind, bei wenigen sind sie so angebracht wie bei Kroch. In Breslau als Maschinenschlosser ausgebildet, übt er den Beruf in Montevideo bis zur Rente aus. Kroch las nicht nur, er schrieb: Als Korrespondent berichtete er regelmäßig für die Lasteinamerikazeitschrift ILA über Uruguays, Anfang der 90er Jahre verfaßte er eine Geschichte Uruguay. Hinzu kommen unzählige Artikel für eine Gewerkschaftszeitung und leider nur in Teilen übersetzte Erzählungen sowie die beeindruckende Autobiographie »Heimat im Exil – Exil in der Heimat«.

Mit 17 Jahren kämpfe er mit der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) im antifaschistischen Widerstand. In Uruguay schloß er sich zeitweilig der Kommunistischen Partei Uruguays (PCU) an, die er allerdings aus Kritik am Hitler-Stalin-Pakt verließ.

Kroch blieb in der Gewerkschaftsbewegung, kämpfte im Armenviertel »Barrio Sur« gegen die unsoziale Wohnungspolitik der Stadt Montevideo und engagierte sich im Kulturinstitut DDR–Uruguay. Nach 1989 war er an dessen »Neugründung« als Casa Bertolt Brecht beteiligt. Auch mit der PCU versöhnte er sich, als diese 1955 ihren »Mini-Stalin« Eugenio Gómez absetzte.

»Das Welttheater« höre auch mit seinem Tod nicht auf, schreibt Kroch am Ende seiner Autobiographie. »Das ist beruhigend, aber zugleich spüre ich dabei doch so etwas wie einen wehmütigen Neid: Es geht auch ohne mich weiter«. Es muß.

** Aus: junge Welt, 15. März 2012


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