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Bürgerbegehren gegen die Straflosigkeit

Uruguay: Breites Bündnis kämpft für juristische Aufarbeitung der Diktaturverbrechen

Von Raphael Schapira *

Eine breite Initiative von Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen kämpft derzeit in Uruguay dafür, die Amnestie für Diktaturverbrecher aufzuheben. Das »Bündnis für die Annullierung des Straflosigkeitsgesetzes« sammelt Unterschriften für ein Referendum. Sprächen sich die Wähler darin gegen die Amnestie aus, könnten schon Ende 2009 die ersten Prozesse gegen Militärs geführt werden können.

Bislang sind Militärangehörige, die während der Zeit der Diktatur von 1973 bis 1985 Menschenrechtsverletzungen begingen, vor juristischer Verfolgung durch ein 1986 erlassenes Gesetz geschützt. Zwar wurde schon einmal, 1989, versucht, dieses Straflosigkeitsgesetz mittels eines Volksbegehrens zu Fall zu bringen – allerdings ohne Erfolg. Die Militärs schafften es damals, mit der Drohung einer Neuauflage der Diktatur, ein Klima der Angst zu schaffen. Bei der Abstimmung setzten sich die Befürworter des Straffreiheitsgesetzes schließlich mit 57 Prozent gegenüber den Gegner mit 43 Prozent durch.

Die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in der »Folterkammer Lateinamerikas« wurde so unmöglich gemacht. Nach Schätzungen von Amnesty International war Uruguay 1976 das Land mit den meisten politischen Gefangenen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Zwischen 1972 und 1984 wurden an die 40000 Uruguayer verhaftet und entführt, Tausende ins Exil gezwungen. Bis heute ist das Schicksal von über 200 Verschwundenen nicht aufgeklärt.

Mit dem Wahlsieg des linken Präsidenten Tabaré Vázquez von dem Mitte-links-Parteienbündnis Frente Amplio im Jahr 2005 verband sich daher die Hoffnung, endlich die Wahrheit über die Verschwundenen zu erfahren. Allerdings fällt für viele Linke die Bilanz nach drei Regierungsjahren zwiespältig aus. Einerseits hat die Regierungspartei das Gesetz nicht zu Fall gebracht, obwohl eine einfache Mehrheit im Parlament zur Annullierung ausreichen würde. Andererseits hat erst der politische Wille dieser Regierung zu Verurteilungen und neuen Untersuchungen geführt. So wurden einige Militärangehörige und Politiker für Delikte, trotz des bestehenden Amnestiegesetzes, vor Gericht zu Freiheitsstrafen verurteilt. Auch hat Präsident Tabaré Vázquez Ausgrabungen veranlaßt, die in einigen Fällen zum Auffinden von ehemaligen Verschwundenen führten. Aber trotz der Bemühungen um Aufklärung schweigen die Militärs weiterhin über die genauen Orte der anderen Gräber.

Dennoch hat der Präsident zur Versöhnung zwischen den verschiedenen Akteuren aufgerufen. Er hat den 19. Juni zum Tag des »Nie Wieder« erklärt, meint damit aber ganz allgemein nie wieder Gewalt zwischen Uruguayern. Diese Form des Schlußstrichs unter die Geschichte wird von großen Teilen der Frente Amplio und der Linken abgelehnt, die keine Perspektive für eine Aussöhnung sehen, solange das Schicksal der Verschwundenen im dunkeln bleibt und die Verantwortlichen nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Damit das Volksbegehren im Oktober 2009 stattfinden kann, müssen noch bis Ende 2008 an die 300000 Unterschriften gesammelt werden. Bisher sind erst gut ein Drittel der erforderlichen Unterschriften zusammengekommen, aber Ana Amorós vom »Bündnis für die Abschaffung des Straflosigkeitsgesetzes« ist zuversichtlich, daß das Plebiszit stattfinden wird. »Wir dürfen dieses Mal nicht scheitern«, so Amorós, »denn wie können wir sonst sicher sein, daß diese Dinge nie wieder geschehen?«

* Aus: junge Welt, 4. Juli 2008


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