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Gratis fahren für Orbán

Wahlkampfendspurt in Ungarn: Marsch für rechte Fidesz-Regierung

Von Ben Mendelson *

In Budapest haben am Wochenende die Regierungspartei und das Oppositionsbündnis den Endspurt vor den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag eingeleitet. Hunderttausende Anhänger der regierenden Fidesz-Partei nahmen an einem »Friedensmarsch« teil,– rund 40000 Menschen waren bei der Abschlußkundgebung der links-liberalen Oppositionsallianz »Kormányváltás«, zu deutsch: »Regierungswechsel«. Nach einem »Wechsel« sieht es allerdings nicht aus: Laut Umfragen steht Fidesz bei 50 Prozent, die Allianz käme auf 20 bis 30 Prozent der Stimmen.

Bereits am Freitag hatte Ministerpräsident Viktor Orbán in der ungarischen Hauptstadt die vierte Metrolinie eröffnet. Budapest werde eine stolze Hauptstadt sein, wenn es weiter solche ehrgeizigen Projekte gebe, sagte Orbán.

Wie ehrgeizig das Projekt betrieben wurde, resümiert die ungarische Onlinezeitung Pester Lloyd (PL): »Der Eröffnungstermin wurde achtmal verlegt, der erste war 2003.« Die Baukosten betrugen bis 2009 bereits rund zwei Milliarden Euro, am Freitag schrieb das Amt des Ministerpräsidenten aber, die Gesamtkosten betrügen 452,5 Milliarden Forint (1,5 Milliarden Euro), von denen mehr als die Hälfte (über 800 Millionen Euro) aus EU-Mitteln stammten.

Laut PL werden die offiziellen Gesamtkosten von Experten als »Phantasieprodukt« bezeichnet, aufgrund der vielen Bauverzögerungen grenze es zudem »an ein Wunder, daß die Fertigstellung überhaupt und auch noch vor den Wahlen gelang«. Man rechne mit einigen technischen Korrekturen und Fahrunterbrechungen – »nach der Wahl«. Freie Fahrt gab es hingegen vor der Wahl: Am vergangenen Wochenende war das Fahren auf der neuen Linie, auf Geheiß des Ministerpräsidenten, für alle gratis.

Das »Bürgereinheitsforum« CÖF, dem der PL »treue Freunde und Gefolgsleute Orbáns vom rechten Rand der Fidesz« zuordnet, organisierte am Samstag den »Friedensmarsch« zum zentralen Heldenplatz in Budapest. Dort versammelten sich laut Innenministerium 460000 Menschen, der PL geht von 250 000 aus.

Hauptredner Viktor Orbán blickte zurück auf die vier Jahre seiner Amtszeit und sagte, man habe die »halbe Welt gegen sich« gehabt, dennoch »standgehalten« und eine »Nation geeint, die zerstreut und zersplittert« gewesen sei. Ähnlich klang dann auch sein Wahlaufruf, die Erst- und die Zweitstimme auf keinen Fall unterschiedlichen Parteien zu geben: Wer seine »Stimme teilt, bricht die Einigkeit«, so Orbán.

Ungleich kleiner war die Einigkeit beim Oppositionsbüdnis »Regierungswechsel«, das rund 40000 Menschen vor der Budapester Staatsoper versammeln konnte. Zu dem Bündnis gehören neben der sozialdemokratischen MSZP eine Abspaltung derselben um den früheren Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, »Dialog für Ungarn« (eine Abspaltung der grün-liberalen LMP) und »Gemeinsam 2014«, eine Bewegung um Gyurcsánys Nachfolger Gordon Bajnai.

Der Spitzenkandidat des Bündnisses und Chef der MSZP, Attilla Mesterházy, sagte mit Blick auf die Reform des Wahlrechts, daß Fidesz auch bei gesunkener Wahlzustimmung weiterhin eine Zweidrittelmehrheit sichern könnte: Orbán »will ein neues Ein-Parteien-System, einen Ein-Parteien-Staat«. Das Bündnis erinnerte an Millionen Ungarn, die unterhalb der Armutsgrenze lebten, an 500000 junge Menschen, die Orbán durch unzählige Gesetzesreformen aus dem Land getrieben habe, um »bald eine Million neue Arbeitsplätze in London, Berlin und Wien« zu schaffen.

Die Zustimmung für das Bündnis ist in der Bevölkerung jedoch, wie die Zahl der Unterstützer vor Ort bereits erahnen läßt, nicht mehrheitsfähig: Die Umfragen sagen dem »Regierungswechsel« zwischen 20 und 30 Prozent der Stimmen voraus. Fidesz-Chef Orbán hingegen darf sich den Meinungsforschern zufolge 50 Prozent der Stimmen sicher sein. Die rechtsextreme Partei Jobbik (»Wahre Ungarn«) käme demnach auf bis zu 20 Prozent.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014


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