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Kanzler kontrollieren in Viktor Orbáns Auftrag

Der vorläufig letzte Schlag gegen die Hochschulautonomie in Ungarn

Von Gábor Kerényi, Budapest *

Ungarns Parlament beschloss dieser Tage ein Gesetz, mit dem sich die Regierung die absolute Kontrolle über Universitäten und Hochschulen sichert.

Zoltán Balog leitet das ungarische Superministerium für Humanressourcen, das ganz im Sinne des Zentralisierungswahns von Ministerpräsident Viktor Orbán für nicht weniger als das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen, für Kultur, Wissenschaft und Sport, für Religionsangelegenheiten und noch einiges mehr verantwortlich ist. Aus Balogs Haus kam die Gesetzesvorlage, die am vorigen Freitag vom ungarischen Parlament verabschiedet wurde und die Führungsstruktur ungarischer Hochschulen grundlegend verändert. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass ab kommendem Herbst der Ministerpräsident höchstpersönlich, und zwar im Alleingang, an jeder Universität oder Hochschule des Landes, die von der öffentlichen Hand auch nur ein paar Forint Unterstützung bekommt, einen sogenannten Kanzler einsetzen wird. Seine Aufgabe wird die Kontrolle der Rektoren sein.

Offiziell wird der Kanzler »nur« für den wirtschaftlichen Betrieb der Universitäten und Hochschulen verantwortlich sein. Praktisch heißt das aber, dass die jeweilige Universität ohne seine Unterschrift keinen Forint mehr umschichten darf. Ohne das Einverständnis des Kanzlers geht also nichts mehr, er selbst wird dagegen von niemandem kontrolliert.

Um die Situation noch prekärer zu machen, soll laut Gesetz für das Lehrpersonal und die Forscherinnen und Forscher weiterhin der Rektor als Arbeitgeber fungieren, für alle anderen Beschäftigten soll der Kanzler diese Funktion übernehmen. Noch schlimmer: Weil dem Kanzler in allen Finanzangelegenheiten ein Vetorecht zusteht, kann er praktisch die Gehälter der Lehrenden bestimmen, während die von ihm bestimmten Löhne von niemandem kontrolliert werden können. Eine undurchsichtige, ungerechte und dadurch spannungsgeladene Situation auch bezüglich der Bezahlung an den einzelnen Hochschulen ist also programmiert.

Obendrein sind die Kriterien, besser gesagt das Kriterium, das die Kandidaten erfüllen müssen, um sich für die Bestellung zum Kanzler zu qualifizieren, geradezu lächerlich. Es genügt lediglich eine »dreijährige Führungserfahrung« – etwa in einem Familienbetrieb im Tischlereigewerbe. Damit sind Tür und Tor geöffnet, einer weiteren Kohorte unqualifizierter Politfreunde Viktor Orbáns zu einem gut bezahlten Vertrauensjob zu verhelfen und im gleichen Streich die totale Kontrolle über die Universitäten zu erlangen.

Superminister Balog, Orbáns williger Vollstrecker, präsentiert sich stets mit für ungarische Verhältnisse sanften Worten und strebt danach, als »europatauglich« bezeichnet werden. Immer wieder betont er, wie wichtig ihm die Zusammenarbeit sei. Den Text des Gesetzes ließ er jedoch, wie im Orbán-Ungarn selbstverständlich, ohne jegliche Konsultation mit den Betroffenen ausarbeiten. Balog sieht im neuen Unigesetz »eine angemessene Balance zwischen universitärer Autonomie und effizientem Betrieb«. So dürfe der Senat weiterhin den Rektor wählen – allerdings wird er »vom Minister vorgeschlagen und vom Präsidenten des Landes bestätigt«. Auch in diesem Punkt verfügt der Staat also über eine Kontrollklausel.

Ganz nebenbei liefert das Hochschulgesetz in einer delikaten Angelegenheit eine kleine seelische Genugtuung für die Machthaber. Die Semmelweis-Universität soll, mit Hilfe der neuen Rechtsnorm, ihre Fakultät für Körpererziehung und Sportwissenschaften verlieren, die zu einer neuen hoch dotierten Hochschule umgewandelt wird. Diese Fakultät war es, die vor zwei Jahren Pál Schmitt, dem damaligen Staatspräsidenten von Orbáns Gnaden, den Doktortitel aberkannte, weil er den Großteil seiner Dissertation wörtlich von einem bulgarischen Aufsatz abgeschrieben hatte. Orbán lässt sich so etwas nicht gefallen. Orbán vergisst nicht.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Juli 2014


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