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USA gewinnen in Veszprém

Bei Nachwahlen in Ungarn gewinnt oppositioneller Kandidat mit Nähe zu Washington. Regierung verliert Zweidrittelmehrheit

Von Roland Zschächner *

Rund zehn Prozent Vorsprung für Zoltán Kész in Veszprém bedeuten vorerst das Ende der Zweidrittelmehrheit der regierenden Fidesz in Ungarn. Der von sozialdemokratischen und liberalen Parteien unterstützte »unabhängige Kandidat« Kész holte bei der Nachwahlen am Sonntag 43 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Fidesz hatte den stellvertretenden Bürgermeister der 65.000 Einwohner zählenden westungarischen Stadt, Lajos Némedi, aufgestellt. Er erhielt lediglich 34 Prozent der Stimmen. Eine Stichwahl ist laut Wahlgesetz nicht vorgesehen. Notwendig geworden war der Urnengang, weil der bisherige Abgeordnete des Wahlkreises, Tibor Navracsics, als EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport 2014 nach Brüssel entsandt wurde.

Seit den Parlamentswahlen 2010 regierte Fidesz in Ungarn mit einer Zweidrittelmehrheit, die im April 2014 noch einmal knapp bestätigt wurde. Damit konnte Premierminister Viktor Orbán die Verfassung nach Belieben ändern und ein auf Fidesz und seine Person zugeschnittenes Machtsystem installieren. Nach dem Weggang Navracsics und dem Tod des Abgeordneten Jenő Lasztovicza Anfang Januar ging diese Majorität vorerst verloren.

Alle Wahlversprechen haben nichts genutzt. Das Machtsystem Fidesz mit Orbán an der Sitze beginnt zu bröckeln. Die Niederlage ist ein Denkzettel an die Regierung. Vor allem unentschlossene Wähler, die üblicherweise ihr Kreuz bei den Herrschenden gemacht hatten, gingen diesmal nicht an die Urne oder votierten sogar für die Opposition. Ursachen für den Stimmungsumschwung sind nicht zuletzt die schleppende ökonomische Entwicklung und die damit verbundene Perspektivlosigkeit junger Menschen.

Orbáns Programm für Ungarn basiert auf einer Mischung aus autoritärer Führung, nationalistischer und rassistischer Rhetorik sowie einem Wirtschaftsmodell, das sich sowohl aus neoliberalen Elementen sowie starker nationalstaatlicher Regulation besteht. Mit Hilfe von EU-Subventionen wurde überwiegend in Fidesz-Hochburgen investiert. Dadurch entstand eine bürgerliche Schicht aus Nutznießern, die die Wählerbasis von Orbán stellt. Doch auf der anderen Seite wird immer wieder auf Distanz zu Brüssel gegangen, etwa in der Frage zu den Sanktionen gegen Russland.

Zum Missfallen der EU und der USA versucht Orbán, Ungarn ein eigenständiges Entwicklungsmodell zu verordnen. Finanziert wird diese Politik durch Streichungen bei den Transferleistungen für Arme. So wird ab März die Sozialhilfe erheblich gekürzt. Vor allem Roma sind davon betroffen, sie leiden besonders unter der staatlich vorordneten Diskriminierung.

Doch es waren keine linken Kräfte, die den Wechseln in Veszprém erreichten. Vehement mischt sich Washington in Ungarn ein. Gezielt werden sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützt; US-Diplomaten nehmen an regimekritischen Demonstrationen teil. Auch wurden gegen ungarische Offizielle Sanktionen wie Einreiseverbote verhängt. Mit Kész haben die USA nun einen »ihrer« Männer im Budapester Országház.

Der umtriebige Geschäftsmann Kész ist ein überzeugter Anhänger des Neoliberalismus. In den 90er Jahren studierte er in den USA. Dort wurde er durch verschiedene Thinktanks geschult, etwa die Common Sense Society. Die ungarischen Grünen, die auch linke Inhalte vertreten, haben deswegen auf eine Unterstützung Kész verzichtet. Er sei ein Verfechter der Ideologie des freien Marktes, hatte Grünen-Sprecher András Schiffer im Dezember erklärt.

2013 zeichnete die neoliberale Atlas-Stiftung Kész als »Unternehmer des Jahres« aus; er hatte die Beraterfirmen Political Capital und Free Market Foundation mitgegründet. Letztere bewirbt auf ihrer Internetseite, die ein Zitat von Milton Friedman ziert, die Vorzüge des Kapitalismus und die »klassischen liberalen Werte«.

Bekannt ist Kész als lokaler Sprecher der ungarnweiten Proteste Ende 2014. Auch war er Direktor der vom State Department finanzierten American Corner in Veszprém. Dort wird nicht nur über die Kultur und Politik der USA informiert, sondern finden auch Schulungen für NGOs statt. Allein in Ungarn gibt es fünf solche Einrichtungen.

Dass Fidesz die komfortable Mehrheit abhanden gekommen ist, wird in Budapest vorerst hingenommen. Einen Großteil seiner Vorhaben hat Orbán bereits umgesetzt. Außerdem stehen in wenigen Wochen Nachwahlen im westungarischen Tapolca an. Dann kann Fidesz seine Mehrheit wieder zurückgewinnen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Februar 2015


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