FIDESZ steckt zurück – vorerst
Ungarns Regierende trösten sich nach Niederlage vor Verfassungsgericht
Von Gábor Kerényi, Budapest *
Eine erste große Niederlage musste
die allmächtige ungarische Regierungspartei
des Viktor Orbán am vergangenen
Freitag einstecken. Das Verfassungsgericht
erklärte die jüngste Modifizierung des
Wahlgesetzes für grundgesetzwidrig.
Eine Störung wie diese hatten Regierungschef
Orbán und seine
Leute im FIDESZ (Ungarischer
Bürgerbund) wohl kaum für möglich
gehalten. Am 26. November
vergangenen Jahres war als Krönung
zahlreicher manipulativer
Änderungen des Wahlrechts ein
Gesetz verabschiedet worden, das
allen Staatsbürgern eine Art
Wahlregistrierungspflicht vorschrieb.
Demnach hätten die Ungarn
bei künftigen Parlaments-,
Gemeinderats- und Europawahlen
nur dann abstimmen können,
wenn sie sich jeweils mindesten
zwei Wochen vor den nächsten
Wahlen registrieren lassen. Um
sicherzugehen, hatte FIDESZ auch
die Verfassung selbst gleich geändert,
um das neue Wahlgesetz vor
Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof
zu schützen.
In den vergangenen zwei Jahren
reagierte der Gerichtshof,
nachdem ihm die regierende
Zweidrittelmehrheit viele Befugnisse
entzogen hatte, meist wie eine
lahme Ente. Und es schien, als
wäre er auch diesmal wieder
machtlos der Arroganz der Orbán-
Leute ausgeliefert. Doch die
höchsten Richter beriefen sich in
diesem Fall auf die Rechtsprechung
einer höheren Instanz, des
Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, und befanden,
dass eine Registrierungspflicht für
Staatsbürger mit ungarischer
Wohnadresse deren Wahlrecht auf
ungerechtfertigte Weise beeinträchtigt
(während die Registrierung
für Auslandsungarn beibehalten
werden kann). Für die Einführung
einer solchen Hürde gebe
es keine verfassungsmäßige
Grundlage. Bei Aufnahme der geplanten
Änderung würden zwei
Regelungen des Grundgesetzes einander
widersprechen, von denen
das allgemeine Wahlrecht aber die
höherwertige darstelle. Außerdem
meinen die Richter, und dabei ist
die mit ein wenig Bitterkeit gemischte
böse Spitze keineswegs zu
überhören, dass dem Staat ohnedies
genug Register über die
Staatsbürger zur Verfügung stehen,
um eine Wahl organisieren
und abhalten zu können.
Das ist indes nicht alles. Die
Bestimmung, wonach in der
Wahlkampfzeit Wahlwerbung nur
in öffentlich-rechtlichen Medien
gesendet werden dürfte (die sämtlich
mit FIDESZ-Leuten besetzt
wurden), halten die Richter für eine
gravierende Verletzung der
Meinungs- und Pressefreiheit.
Auch das Verbot der Veröffentlichung
von Ergebnissen der Meinungsforschung
in der letzten Woche
vor der jeweiligen Wahl hielt
der Prüfung durch die höchsten
Richter nicht stand.
Der FIDESZ hat diese Faustschläge
überraschend souverän
weggesteckt. Vermutlich ist den
Partei- und Regierungsstrategen
klar, dass Härte in dieser Angelegenheit
nicht im eigenen Interesse
wäre. Die Registrierungspflicht
war nie populär, Meinungsforschungsinstitute
hatten eine Zustimmungsrate
von nur 17 bis 20
Prozent ermittelt. Nun hätten die
Regierungspartei und Orbán nicht
nur gegen das Volk, sondern auch
gegen den Verfassungsgerichtshof
zu Felde ziehen müssen. Dazu kämen
womöglich neue Komplikationen
im Verhältnis mit internationalen
Organisationen und der EU.
All das, so lässt sich aus FIDESZKreisen
vernehmen, wäre unnötig
viel gewesen. Außerdem hätte ein
konfrontativer Kurs viel Zeit gekostet.
Mit einem Abschluss wäre
frühestens im Herbst, also bestenfalls
ein halbes Jahr vor den
nächsten Parlamentswahlen zu
rechnen gewesen. Eine Wahlrechtsform
so kurz vor der nächsten
Wahl gab es im modernen Europa
nur ein einziges Mal, nämlich
unter Silvio Berlusconi in Italien.
Jedenfalls teilte FIDESZ-Fraktionschef
Antal Rogán gleich nach
Verkündung des Urteils mit, 2014
werde es keine Registrierungspflicht
geben. Die Wochenzeitschrift
»HVG« (Weltwirtschaftswoche)
stellte daraufhin prompt
jene Frage, die sonst Kreml-Astrologen
zu stellen pflegen: also 2018?
Trösten kann sich Orbán damit,
dass Bestimmungen, denen für den
Gewinn der nächsten Wahlen die
größte Bedeutung zukommt, in
Kraft geblieben sind. Die Wahlkreise
sind längst zum Vorteil des
FIDESZ umgestaltet und den
großteils konservativ-nationalistisch
gesinnten Auslandsungarn wurde das Stimmrecht verliehen.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Januar 2013
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