Ungarn im Griff der Rechten
Absolute Mehrheit für Orbáns FIDESZ / Jobbik-Extremisten auf Anhieb fast 17 Prozent
Nach dem klaren Sieg seiner FIDESZ-Partei bei der Parlamentswahl in
Ungarn hat der bisherige Oppositionsführer Viktor Orbán um die
Unterstützung aller Bürger geworben.
Die Wähler hätten für »Ungarns Einheit,
Sicherheit und Ordnung« gestimmt, sagte der rechtskonservative Politiker
in der Nacht zum Montag (12. April) in Budapest. Es sei ein Sieg »für
Ungarn und die Zukunft«. Er sei sich bewusst, dass er als
Ministerpräsident vor einer »riesigen Herausforderung« stehen und »die
Hilfe jedes ungarischen Bürgers benötigen« werde.
Der heute 46-jährige Orbán war von 1998 bis 2002 schon einmal
Regierungschef. Seiner Partei wird zugetraut, sich beim zweiten
Durchgang der Wahl von ihrer derzeitigen absoluten Mehrheit auf eine
Zwei-Drittel-Mehrheit zu steigern. Am 25. April wird in den Bezirken
abgestimmt, in denen kein Kandidat in der ersten Runde die absolute
Mehrheit erzielte.
Die FIDESZ-Partei kam in der ersten Runde auf 52,7 Prozent, die in den
vergangenen acht Jahren regierenden Sozialisten erreichten nur 19,3
Prozent. Erstmals zog die rechtsextreme Jobbik-Partei mit einem
Stimmenanteil von 16,71 Prozent ins Parlament in Budapest ein. Auch der
links-ökologischen Partei »Eine andere Politik ist möglich« (LMP) gelang
mit 7,4 Prozent erstmals der Sprung in die Volksvertretung. Sie erwies
sich als Sammelbecken für junge und kritische Wähler, die mit dem
restlichen Parteienangebot nichts mehr anzufangen wussten.
Von den 386 Sitzen im ungarischen Parlament wurden am Sonntag bereits
265 Listen- und Direktmandate vergeben. 206 davon erhielt FIDESZ, 28 die
USP, 26 Jobbik und fünf die LMP.
Von der politischen Bühne abgetreten sind hingegen zwei Parteien, die
bei der Wende vor 20 Jahren eine Schlüsselrolle gespielt hatten: das
konservativ-liberale Ungarische Demokratische Forum und der
links-liberale Bund Freier Demokraten. Beide hatten in jedem Parlament
seit der politischen Wende eine eigene Fraktion - im neuen haben sie
nicht mehr einen einzigen Abgeordneten. Die Wahlbeteiligung betrug 64,3
Prozent.
Der künftige Ministerpräsident Orbán ließ bislang nicht wirklich
erkennen, was er vorhat. Manche Kommentatoren in Ungarn befürchten, dass
er sich von jenen autoritären Instinkten wird leiten lassen, die er
schon in seiner ersten Amtszeit gezeigt hatte. Andere hoffen wiederum
darauf, dass er seine Machtfülle dazu nützen wird, um dem Land das zu
geben, was es braucht: eine modernere, wirtschaftsfreundlichere
Verwaltung und bessere Gesetze.
Befürchtungen einer rechten Radikalisierung der Politik weckt der
Wahlerfolg der rechtsextremen Jobbik, die im Jahr 2003 als Partei
gegründet wurde. Enttäuschte Jugendaktivisten der rechtsextremen
Ungarischen Gerechtigkeits- und Lebenspartei des antisemitischen
Schriftstellers Istvan Csurka und rechtslastige Funktionäre der
Hochschülerschaft träumten von einer Revolution von rechts. Die
Niederlage der rechtskonservativen FIDESZ von Orbán im Jahr zuvor hatte
sie sie in der Ansicht bestärkt, dass noch radikalere Töne nötig wären.
Als sich im Herbst 2006 rechte Regierungsgegner nach der »Lügenrede« des
sozialistischen Regierungschefs Ferenc Gyurcsany in Budapest
Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, schweißte dies das neue
rechtsradikale Lager zusammen. Die Gründung der Ungarischen Garde und
die Hass-Rhetorik gegen die angeblich »kriminellen Zigeuner«
beschleunigten den Aufstieg der Jobbik. Die Garde wurde schließlich im
vergangenen Jahr gerichtlich verboten, tritt aber immer noch in
Erscheinung. Bei den EU-Wahlen im Juni 2009 gewann Jobbik bereits knapp
15 Prozent der Stimmen.
* Aus: Neues Deutschland, 13. April 2010
Chauvinist an der Macht
Von Arnold Schölzel **
Die aggressiv-nationalistische Partei Fidesz unter Führung von Viktor
Orbán errang bei der ersten Runde der Parlamentswahlen in Ungarn laut
vorläufigem Endergebnis 52,8 Prozent der Stimmen. Die bislang regierende
Sozialistische Partei (MSZP), die den parteilosen bisherigen
Ministerpräsidenten Gordon Bajnaj stützte, brach von 43 Prozent vor vier
Jahren auf 19,3 Prozent ein. Die unter dem Namen Jobbik angetretenen
Faschisten erhielten 16,7 Prozent und wurden damit drittstärkste
politische Kraft. Mit 7,4 Prozent und vorerst fünf Sitzen kam auch die
grüne Partei LMP ins Parlament.
Fidesz sicherte sich bereits mit 206 Sitzen die absolute Mehrheit der
386 Mandate. Auf die MSZP entfielen 28 Sitze, auf Jobbik 26. In 121
Wahlbezirken, in denen kein Kandidat mindestens 50 Prozent der Stimmen
erreicht hat, findet am 25. April eine Stichwahl statt. Fidesz hat die
Chance, dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Mandate zu erreichen. Wegen
des großen Andrangs waren einige Wahllokale am Sonntag länger geöffnet.
Die Wahlbeteiligung lag bei 64,3 Prozent, 2006 bei 67,8 Prozent.
Der zukünftige Ministerpräsident Orbán, der bereits von 1998 bis 2002
amtierte, kündigte am Montag an, der Wirtschaft des Landes durch
Steuersenkungen neue Impulse geben zu wollen. Außerdem sagte der
46jährige der Korruption den Kampf an und versprach, die
Wettbewerbsfähigkeit Ungarns zu fördern. 2008 mußte Ungarn als erstes
EU-Mitglied milliardenschwere Hilfspakete des Internationalen
Währungsfonds (IWF) und der EU in Anspruch nehmen, um einen
Staatsbankrott abzuwenden. Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft des
Landes mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern um 6,3 Prozent
geschrumpft. Als Folge einer Streich- und Kürzungsorgie im Sozialsektor
sank die Neuverschuldung des Staates auf 3,9 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes. Die Staatsverschuldung ist aber mit rund 80
Prozent eine der höchsten in Mitteleuropa.
Die politische Programmatik der zukünftigen Regierungspartei Fidesz
wurde in den letzten Jahren zunehmend von Jobbik diktiert. Einige
Kernforderungen der offen antisemitisch und antiziganisch auftretenden
Partei wurden übernommen, z. B. die nach einer härteren Linie gegenüber
der EU und der »Zigeunerkriminalität«. Angekündigt ist auch, daß
zukünftig im Ausland lebende Ungarn - vor allem die Minderheiten in der
Slowakei, Rumänien und Serbien - Pässe des Landes erhalten. Am Montag
erklärte Jobbik-Chef Gábor Vona, seine Partei werde eine »spektakuläre
Politik« machen und »Zigeunerverbrechen ausmerzen«. Die Partei unterhält
- trotz gerichtlichen Verbots - die Schlägertruppe »Ungarische Garde«,
die sich bewußt in die Nachfolge der Pfeilkreuzler stellt, der
Faschisten des Landes in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Orbán begann seine Karriere im Sommer 1989 mit einer Rede in Budapest,
in der er die »Öffnung des Eisernen Vorhangs«, freie Wahlen und den
Abzug der sowjetischen Armee forderte. Er verkündete damals: »Wir werden
die Kommunisten zu Staub zertreten.« Das trug ihm massive Unterstützung
u. a. aus der Bundesrepublik, vor allem von der FDP und deren damaligem
Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff ein. Später trimmte er die Partei auf
einen extrem nationalistischen Kurs, was ihm zunächst vor allem die
Stimmen der neuen ungarischen Bourgeoisie und der Landbevölkerung
einbrachte. Derzeit ist Orbán Vizepräsident der Europäischen Volkspartei
(EVP), zu der auch CDU und CSU gehören. Anders als bei Bildung der
österreichischen Regierung mit dem rechten Politiker Jörg Haider vor
zehn Jahren, gab es Montag keinerlei Distanzierung vom Wahlsieger durch
die EU-Regierungen.
** Aus: junge Welt, 13. April 2010
Großes Stühlerücken im Parlament am Donau-Ufer
Die Wähler wollten alles anders haben - und haben es bekommen
Von Gábor Kerényi, Budapest ***
Die ungarischen Parlamentswahlen, deren erste Runde am Sonntag (11.
April) stattfand, bewirken die größte Umgestaltung der politischen
Landschaft seit 1989.
Es war eine Wahl der Rekorde. Die Wahlbeteiligung erreichte einen
Negativrekord mit gut 64 Prozent. Und jeder vierte Wähler entschied sich
erst unmittelbar vor der Urne, wen er wählt. Das war der größte
Prozentsatz an Unentschiedenen seit 1990.
Mit über drei Stunden Verspätung erfuhren die Ungarn die ersten
Ergebnisse ihrer Parlamentswahlen. Aufgrund einer Verschärfung des
Wahlgesetzes mussten Stimmberechtigte, die ihre Stimme nicht im
Wahlkreis ihres Wohnsitzes abgeben konnten, teilweise stundenlang vor
den Wahllokalen ausharren - und dies auch noch nach der offiziellen
Schließung der Lokale. Deshalb verschob die Wahlbehörde die Bekanntgabe
der Ergebnisse, aber erst zehn Minuten nach dem offiziellen Ende der
Abstimmung.
Daraus entstand eine komödienhafte Situation. Punkt 19 Uhr
überschütteten Fernseh- und Radiosender die Öffentlichkeit mit den
Resultaten ihrer Nachwahlbefragungen. Nach zehn Minuten verstummten sie
wieder. Die staatlichen Sender unterhielten das Publikum mit
Jazzkonzerten, die profitorientierten Privatsender mit US-amerikanischen
Kommerzfilmen. Um 22.30 Uhr, als das ganze Land schon außer sich war,
wurde die Informationssperre aufgehoben, obwohl die letzten
Wahlberechtigten ihre Stimme noch immer nicht abgegeben hatten und in
nächtlicher Kälte Schlange standen.
Für die Meinungsforscher war es dennoch ein guter Abend. Nach vielen
Jahren falscher Voraussagen haben sie diesmal richtig geraten. FIDESZ,
der Bund Junger Demokraten - Bürgerbund, hat in Symbiose mit der kleinen
Christdemokratischen Volkspartei (KDNP) die Wahlen souverän gewonnen.
Weil der Bund im ersten Wahlgang mit 52,8 Prozent der Stimmen die
absolute Mehrheit erhalten hat, kann er unbesorgt in die Stichwahlen
gehen und sich als Sieger Nummer Eins der Wahlen fühlen. Rasch wird sich
nun herausstellen, was hinter dem dezenten Schweigen steckt, in das sich
die sichere Siegerpartei vor den Wahlen hüllte. Schon die Vorbereitung
auf die Persönlichkeitsstichwahl in zwei Wochen wird es zeigen: FIDESZ
könnte nun, angesichts der ungefährdeten Spitzenposition, neue und
radikale Töne anschlagen, unter anderem um Wähler der rechtsextremen
Partei Jobbik zurückzugewinnen.
Was will FIDESZ wirklich?
Über die weitergehenden politischen Absichten der Partei weiß man wenig.
FIDESZ will, wie alle anderen auch, das Gesundheitssystem reformieren
und die Steuern senken, und FIDESZ will wie alle Rechtsparteien
verhindern, dass Ausländer landwirtschaftlichen Boden in Ungarn erwerben
können, und zwar - so Viktor Orbán im Wahlkampf - egal, was Brüssel dazu
sagt. Die historische Bedeutung des Sieges seiner Partei verglich der
Partei- und künftige Regierungschef mit der Revolution von 1956. Und
seine Rede endete mit dem Gruß: »Hajrá Magyarország», was wörtlich
Berlusconis einstigem »Forza Italia« entspricht.
Die Ungarische Sozialistische Partei (USP), die acht Jahre lang
regierte, kann zumindest aufatmen. Sie hat mit Müh' und Not mit 19,3
Prozent den zweiten Platz ergattert und den rechtsextremen Jobbik hinter
sich gelassen. Ihre Abgeordnetenzahl schrumpft jedoch voraussichtlich
auf ein Viertel dessen, was sie bis jetzt hatte.
Auch als Sieger der ersten Wahlrunde sieht sich die offen rassistische,
roma- und judenfeindliche, homophobe und - so wörtlich - kompromisslos
antikommunistische Partei Jobbik (Die Rechteren oder Besseren), die 16,7
Prozent der Stimmen bekommen hat. Jobbik hat nicht unbedingt in jenen
Gebieten besonders gut abgeschnitten, wo es viele Roma gibt oder wo die
Situation zwischen Nicht-Roma und Roma besonders zugespitzt ist.
Überdurchschnittlich viele Stimmen, bis zu 23 Prozent, bekam die Partei
in jenen Regionen, wo die gesellschaftliche Situation am
aussichtslosesten, der Lebensstandard besonders niedrig und die
Arbeitslosigkeit besonders hoch sind. Dort glauben die Leute nicht mehr
an die immer wieder beschworene Formel, dass noch einmal Opfer gebracht
werden müssten, bevor die Wende zum Besseren komme. Jobbik verdankt den
Erfolg hauptsächlich einer knappen Gegenformel: Das ganze System gehöre
in den Mistkübel.
Hoffnung auf LMP - »eine andere Politik«
Als größter Sieger neben FIDESZ kann die LMP (Eine andere Politik ist
möglich!) betrachtet werden. Die vor einem Jahr noch so gut wie
unbekannte Formation vollbrachte das in Ungarn noch nie da gewesene
Bravourstück, aus dem Stand mit einem Ergebnis von 7,4 Prozent ins
Parlament zu gelangen. Damit zieht eine umweltpolitische Partei ins
Abgeordnetenhaus, über die man zur Zeit noch wenig weiß, außer dass ihre
Anhängerschaft aus allen demokratischen Ecken des Landes kommt und, wie
der Name suggeriert, eine andere politische Kultur vertritt. Neben
typischen grünen Themen will die LMP gegen die allgegenwärtige
Korruption und für eine strengere Regulierung der globalen
Marktwirtschaft und der EU eintreten.
Die größte parteipolitische Umstrukturierung der dritten Republik in
Ungarn ist perfekt. Zwei von vier Parlamentsparteien sind neu. Die
Schlüsselparteien des Systemwechsels vor 20 Jahren - das Ungarische
Demokratische Forum (MDF) und der Bund Freier Demokraten (SZDSZ) -
verabschieden sich mit ihrem Gesamtergebnis von knappen drei Prozent
wahrscheinlich endgültig aus der Legislative. Das alles zeugt von einer
überwältigenden Unzufriedenheit der Gesellschaft, was die vergangenen
zwei Jahrzehnte betrifft.
Wie werden die Wähler in zwei Wochen auf die Ergebnisse der ersten
Wahlrunde reagieren? Die bisherigen Erfahrungen lassen eine weitere
Verstärkung des Siegers erwarten. Die Angst vor einer
Zweidrittelmehrheit des FIDESZ könnte aber auch eine Gegenreaktion
auslösen. Wenn FIDESZ jetzt geschickt zwischen unkontrollierter Euphorie
und scheinheiliger Bescheidenheit balanciert, könnte er leicht eine
Mehrheit erreichen, die Verfassungsänderungen im Alleingang ermöglicht.
Ungarn wollte in seiner Verzweiflung einfach alles anders haben, und das
hat es bekommen.
*** Aus: Neues Deutschland, 13. April 2010
Das Wahlsystem
Ungarns Wahlsystem - eine Mischung aus Verhältnis- und
Mehrheitswahlrecht - gehört zu den kompliziertesten Europas. Von 386
Parlamentssitzen werden 176 in Einzelwahlkreisen, 152 über
Territoriallisten und 58 über Landeslisten vergeben.
Im ersten Wahlgang hat jeder Berechtigte zwei Stimmen: eine für die
Partei seiner Wahl, die zweite für einen Kandidaten in seinem Wahlkreis.
Um in dieser ersten Runde zu siegen, benötigt eine Wahlkreiskandidat die
absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Außerdem muss die
Wahlbeteiligung bei mehr als 50 Prozent liegen. Meist gelingt dies nur
wenigen Kandidaten, so dass erst die Stichwahl zwei Wochen später
entscheidet. Dazu treten nur die drei bestplatzierten Kandidaten der
ersten Runde an. Für den Sieg reicht jedoch die relative Stimmenmehrheit.
Die Mandate der Listenwahl werden - über die Territoriallisten - an
Parteien vergeben, die mindestens fünf Prozent der Stimmen erhalten
haben. Damit keine Stimme unter den Tisch fällt, werden zur Ermittlung
der Landeslistenmandate die Prozentanteile der unterlegenen Kandidaten
aus den Einzelwahlkreisen und die Reststimmen der Parteien von den
Territoriallisten herangezogen.
Dieses System bewirkt, dass die stimmenstärksten Parteien leicht
überproportional im Parlament vertreten sind, was die Regierungsbildung
erleichtern soll.
Zur Person: Viktor Orbán
Von einem Sieg »für Ungarn und die Zukunft« schwärmte FIDESZ-Chef Viktor
Orbán am Wahlabend. Für ihn ist es jedoch auch eine persönliche Revanche
gegen die Sozialisten, denen er vor acht Jahren die Regierung überlassen
musste. Zwischen 1998 und 2002 war Orbán nämlich schon einmal
Regierungschef. Damals hatte er sein Amt mit nur 35 Jahren angetreten.
Der Soziologe und Jurist wurde am 31. Mai 1963 im zentralungarischen
Székesfehérvár geboren. 1988 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der
Protestorganisation Bund Junger Demokraten (FIDESZ) und kündigte an:
»Wir werden die Kommunisten zu Staub zertreten.« Nach einem Wahlergebnis
von 8,9 Prozent bei den Parlamentswahlen 1990 begann Orbán, seine Partei
von ihrer radikal-liberalen Orientierung auf einen rechtskonservativen
Kurs zu steuern. Folgerichtig war deren Übertritt von der Liberalen
Internationale zur konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), deren
Vizepräsident Orbán inzwischen ist. Der fünffache Familienvater, ein
Freizeitfußballer (Foto: dpa), spricht in Ermangelung eines
detaillierten Programms gern in allgemeinen Wendungen von »Volk« und
»Nation«. Dabei wird er nicht müde, Kritik an der Globalisierung sowie
an Privatisierungen und »spekulativem Kapitalismus« zu üben. AFP/ND
Postdemokratie
Starker Rechtsruck in Ungarn
Von Werner Pirker ****
Der Sieg des rechten Lagers in Ungarn ist ein totaler. Es wird künftig
nicht nur die mit einer absoluten Mehrheit ausgestattete
Regierungspartei stellen, sondern auch die lautstärkste Opposition. Es
steht zu befürchten, daß die rechtskonservative Fidesz nach dem zweiten
Wahlgang sogar eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht, was sie zur
Verabschiedung verfassungsändernder Gesetze ermächtigen würde.
Widerstand von links braucht sie nicht zu befürchten. Umso auffälliger
wird die rechtsextreme Jobbik-Partei Opposition simulieren und dem
sozialen Unmut der Gesellschaft ein rassistisches Ventil schaffen.
Fidesz-Vorsitzender Viktor Orbán kommentierte seinen Wahlsieg mit dem
ihm eigenen Geschichtspathos als »Ende einer Ära«, als Ereignis, das mit
dem Aufstand von 1956 und dem Systemwechsel von 1989 vergleichbar wäre.
Als die gewissermaßen finale Abrechnung mit dem »Kommunismus«, da die
»Wende« ja nicht vom antikommunistischen Widerstand, sondern von den
Systemträgern selbst herbeigeführt wurde. Orbán versteht den Wahltriumph
seiner Partei deshalb auch nicht bloß als Auftrag, von einer Wahl zur
anderen zu regieren, sondern als Ermächtigung, das bisherige »duale
politische Kraftfeld« durch ein von seinen Leuten beherrschtes
»zentrales politisches Kraftfeld« zu ersetzen.
Bereits in seiner ersten Regierungszeit (1998-2002) hatten Orbán und die
Seinen eine deutliche Neigung erkennen lassen, die Machtbefugnisse des
Parlaments einzuschränken. Als Fidesz dann die Regierungsmacht wieder an
die Sozialisten (MSZP) abtreten mußte, war sie bemüht, in Form von
»Bürgerkomitees« parallele Strukturen zu den offiziellen
Volksvertretungen zu schaffen. Die im Ergebnis der Wahlen entstandene
erdrückende Übermacht der Rechten und Rechtsextremen läßt erahnen, wie
die postdemokratischen Zeiten - nicht nur in Ungarn - aussehen werden.
Zum Ansehensverlust der Demokratie wesentlich beigetragen hat die
postkommunistische MSZP, die in zynischer Offenheit (Stichwort:
Lügenrede) ihre Wahlversprechen den »Sachzwängen« neoliberalen
Wirtschaftens untergeordnet hat. Die MSZP ist von den Wählern lange Zeit
als die Partei mit der größten sozialen Kompetenz betrachtet worden.
Sogar gewisse nostalgische Sehnsüchte verbanden sich mit der Partei, die
aus dem Realsozialismus hervorgegangen war. Die von ihr in der
vergangenen Legislaturperiode forcierte Belastungspolitik aber hat sie
als soziale Alternative für immer unglaubwürdig gemacht.
In der gegenwärtigen Konstellation taugt die MSZP bestenfalls noch als
liberales Korrektiv zum rechten Autoritarismus. Es ist sogar denkbar,
daß die Orbán-Partei die postkommunistischen Liberalen in gewisser Weise
in ihr »Reformprojekt« einbezieht - auch um sich den Rücken gegen die
Angriffe von ganz rechts freizuhalten. Diese, auf die Festigung der
neoliberalen Hegemonie gerichtete Variante wäre sicher die von Brüssel
am meisten gewünschte.
**** Aus: junge Welt, 13. April 2010
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