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Brüssel zeigt Orbán die Instrumente

EU-Kommission leitete Verfahren gegen Ungarn ein *

Als Reaktion auf umstrittene Gesetzesänderungen in Ungarn hat die EU-Kommission jetzt ein Verfahren wegen Verletzung von EU-Recht gegen das Land eingeleitet.

Das Verfahren sei nach einer »gründlichen Analyse« der Lage in Ungarn in Gang gebracht worden, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Dienstag in Straßburg. Ungarn habe keine Änderungen vorgenommen, um das EU-Recht einzuhalten.

Die Kommission sei entschlossen, die Achtung des EU-Rechts sicherzustellen - sowohl nach dem Buchstaben, als auch nach dem Geist, erklärte Barroso nach einem Treffen der EU-Kommissare.

Bei dem Verfahren geht es unter anderem um ein Gesetz, das den Einfluss der Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán auf die Zentralbank des Landes stärkt. Die rechtskonservative Regierung in Budapest muss nun innerhalb eines Monats eine Stellungnahme abgeben, wie es aus EU-Kreisen hieß.

Die Kommission fordert Aufklärung in drei Punkten: Es geht um die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank sowie der Justiz und der ungarischen Datenschutzbehörde. Die schriftliche Aufforderung zu einer Stellungnahme ist der erste Schritt eines Verfahrens wegen Vertragsverletzung, das mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und Geldstrafen enden kann.

Ungarn müsse auf den Weg der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie zurückgebracht werden, sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin. Es könne nicht angehen, dass in einem Mitgliedsland der EU die Unabhängigkeit der Gerichte in Frage gestellt und die Meinungsfreiheit durch eine Zensurbehörde eingeschränkt würden.

Am heutigen Mittwoch (18. Jan.) wollte das Europaparlament über die politische und wirtschaftliche Lage in Ungarn debattieren. Dazu wurde auch Orbán erwartet. Dessen Sprecher Peter Szijjarto erklärte in einer Mitteilung an die Presse, Orbáns Ungarn werde nicht zulassen, dass es von der »internationalen Linken auf internationaler Szene mit Lügen und Verleumdungen angegriffen« werde. Der neu gewählte Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), sagte, Orbán solle Gelegenheit erhalten, dem Parlament seine Sichtweise vorzutragen. Das Europaparlament sei der richtige Ort für eine solche kontroverse Debatte. Budapest teilte unterdessen mit, am Dienstag kommender Woche werde Orbán in Brüssel mit Barroso zusammentreffen.

Die rechtskonservative Regierung Orbáns steht international seit Monaten in der Kritik. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU hatten im Dezember wegen der umstrittenen Verfassungsänderung eine Mission in Budapest abgebrochen, bei der über die Vergabe von Hilfen in Höhe von bis zu 20 Milliarden Euro für das hoch verschuldete Land verhandelt wurde.

Beim ersten Auftritt vor dem Europaparlament im Januar 2011 hatte Orbán ungewöhnlich aggressiv auf Kritik an seinem politischen Kurs reagiert. Er verwahre sich gegen Einmischungen in die »ungarische Innenpolitik« und sei bereit, den »Kampf aufnehmen«, sagte er.

* Aus: neues deutschland, 18. Januar 2012


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