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Klatsche für das FBI

Wiener Gericht lehnt Auslieferungsantrag gegen ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch ab: "Vorwürfe politisch motiviert"

Von Reinhard Lauterbach *

Das Wiener Straflandesgericht hat am vergangenen Donnerstag den Auslieferungsantrag der amerikanischen Bundespolizei FBI gegen den ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch zurückgewiesen. Die Richter erklärten die Vorwürfe gegen den Geschäftsmann für »teilweise politisch begründet«. Sie folgten damit der Argumentation der Verteidigung. Sie hatte vorgetragen, die US-Anklagepunkte seien in keinem Punkt durch Dokumente belegt. Hinter dem Auslieferungsbegehren stehe in Wahrheit der amerikanische Wunsch, einen wesentlichen Sponsor von Präsident Petro Poroschenko und dem Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko aus dem Verkehr zu ziehen.

Außerdem sei es Washington darum gegangen, Firtaschs Aufstieg zu einem der größten Anbieter von Titanerz weltweit zu verhindern. Titan gilt wegen seiner Bedeutung für die Flugzeugindustrie als strategisches Metall. Firtasch stand nach Angaben seiner Verteidigung kurz davor, einen lukrativen Liefervertrag mit der US-Luftfahrtfirma Boeing abzuschließen. Die US-Seite hatte vorgetragen, Firtasch habe sich durch Schmiergelder für Beamte des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh eine Konzession für Abbau und Verhüttung von Titan aus einem dortigen Vorkommen verschaffen wollen. Was an den Vorwürfen der US-Gerichtsbarkeit unterliege – die unterstellte Tat fand weder in den USA statt, noch waren die Beteiligten US-Bürger –, führte der Antrag des FBI nicht näher aus.

In seiner Aussage vor Gericht hatte Firtasch die Schmiergeldvorwürfe zurückgewiesen, aber zugegeben, vor dem Machtwechsel in der Ukraine sowohl Expräsident Wiktor Janukowitsch als auch den damaligen Oppositionspolitiker Witali Klitschko finanziell unterstützt zu haben. Dagegen habe er die von den USA favorisierten Politiker Arseni Jazenjuk und Julia Timoschenko nicht unterstützt, weil er ihren Konfrontationskurs gegenüber Russland als gefährlich für die ukrainische Volkswirtschaft betrachte.

Firtasch, der damals den ukrainischen Arbeitgeberverband leitete, sagte dem Gericht, er sei für einen Kompromisskurs der Ukraine zwischen der EU und Russland eingetreten. Dass das österreichische Gericht in erster Instanz diesen Argumenten folgte, lässt sich als kleiner Akt des Widerstands eines im Osthandel stark engagierten EU-Landes gegenüber der US-Linie lesen. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft angekündigt hat, in Berufung zu gehen.

In der Ukraine fanden am Wochenende mehrere Mai- und Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Pogroms von Odessa statt. Die Beteiligung hielt sich in Grenzen, war jedoch angesichts der vorherigen amtlichen Drohungen gegen Teilnehmer an »Provokationen« beachtlich. So hatte das Innenministerium alle Demonstranten aufgefordert, ihre Ausweise mitzunehmen, damit die Polizei ihre Personalien feststellen könne.

Das Zeigen der als Symbole des »Separatismus« geltenden schwarz-orangefarbenen Georgsbändchen war verboten. Die größte Kundgebung des Wochenendes fand in Odessa auf dem Platz vor dem Ort des Massakers, dem ehemaligen Gewerkschaftshaus, statt. Dort versammelten sich am Samstag bis zu 5.000 Menschen, entzündeten Kerzen und skandierten Parolen wie »Nicht vergessen, nicht vergeben« und »Der Faschismus kommt nicht durch«. Ein starkes Polizeiaufgebot beobachtete die Kundgebung, griff aber nicht ein.

Einige hundert Kiewer demonstrierten unter ähnlichen Parolen am Samstag in der ukrainischen Hauptstadt. Bereits am Freitag waren dort etwa 1.000 Anhänger der vom Verbot bedrohten Kommunistischen Partei zu einer Maikundgebung am außerhalb des Stadtzentrums liegenden Museum des Großen Vaterländischen Krieges zusammengekommen. Die Polizei nahm einige vermummte Rechte vorübergehend fest, die die Veranstaltung sprengen wollten.

In Charkiw trotzten einige hundert meist ältere Menschen einem Demonstrationsverbot und marschierten unter der Parole »Frieden – Arbeit – Mai« durchs Stadtzentrum. Eine eher gewerkschaftlich orientierte Kundgebung gegen den Preisanstieg fand in der Industriestadt Kirowograd statt. In Donezk und Lugansk trugen die Maikundgebungen den Charakter von Volksfesten mit Auftritten von Bands und Attraktionen für Kinder.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 5. Mai 2015


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