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Obamas Welt

Knappe Mehrheit der UN-Vollversammlung gegen Krim-Beitritt zur Russischen Föderation

Von Knut Mellenthin *

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat am Donnerstag erklärt, das Referendum der Bevölkerung der Krim sei »ungültig«. Alle Staaten – Rußland kommt im Text der Entschließung nicht namentlich vor – wurden aufgerufen, die »Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine« zu respektieren und deren Grenzen nicht zu verändern. Eingebracht worden war der Antrag von der Ukraine, Deutschland, Polen, Litauen – also drei Staaten, die im Lauf der Geschichte große Teile der Ukraine gewaltsam unterworfen und beherrscht hatten –, Kanada und, warum auch immer, Costa Rica.

Mit 100 Für-Stimmen überschritt die Resolution nur knapp die absolute Mehrheit der 193 UNO-Mitglieder. Es gab elf Gegenstimmen und 58 Enthaltungen. Zu letzteren hinzuzurechnen sind die 25 Staaten, die an der Abstimmung nicht teilnahmen. Dazu gehörten der Iran, der Libanon, die früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgistan, darüber hinaus auch Serbien, die Vereinigten Arabischen Emirate und überraschend sogar Is­rael. Der ansonsten fast immer gemeinsam mit den USA abstimmende und agierende zionistische Staat hat in der ganzen Ukraine-Angelegenheit bisher äußerste Zurückhaltung gewahrt – vermutlich, um seine insgesamt durchaus kooperativen Beziehungen zu Rußland nicht zu gefährden.

Von den fünfzehn früheren Teilrepubliken der Sowjetunion votierte neben den drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland nur noch Aserbaidschan für die Resolution. Die Gegenstimmen kamen von Rußland, Armenien, Belarus, Bolivien, Kuba, Nordkorea, Nikaragua, Sudan, Syrien, Venezuela und Simbabwe. Auffallend ist das Stimmverhalten Armeniens, das zwar gute Beziehungen zu Rußland, gleichzeitig jedoch auch zum Westen pflegt. Die Kaukasusrepublik hat selbst einen Grenzkonflikt mit Aserbaidschan. Das auf dessen international anerkanntem Territorium liegende Bergkarabach ist de facto schon seit 1991 ein eigener Staat und strebt seine Vereinigung mit Armenien an.

Sachlich falsch, aber trotzdem erwartungsgemäß verkündete US-Präsident Barack Obama nach dem eher mäßigen Abstimmungssieg, das Ergebnis sei »ein konkretes Signal, wie vereint die Welt mit der Ukraine ist«, und zeige, »daß Rußland in der Welt allein steht«. Der geistige Rückschritt gegenüber den kältesten Zeiten des kalten Krieges ist offensichtlich: Damals, in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, bezeichnete der Westen sich selbst als »die freie Welt«. Der Begriff schloß zwar zahlreiche üble Diktaturen ein, die sich nur durch ihren Antikommunismus auszeichneten, erkannte jedoch immerhin im Prinzip die Realität einer alles andere als monolithischen Welt an. Inzwischen setzt der Westen sich aber schon seit Jahren mit der »internationalen Gemeinschaft« einfach gleich, als gäbe es nur eine Handvoll schwarzer Schafe, die immer noch aus der Reihe tanzen.

Wie isoliert und allein die Führungsmacht des Westens aber selbst in manchen Fragen dasteht, demonstrieren zum Beispiel die alljährlichen Abstimmungen der UN-Vollversammlung über die US-amerikanischen Sanktionen gegen Kuba. Beim letzten Mal, am 29. Oktober 2013, stimmten 188 Mitglieder für die kubanische Resolution, die die Abschaffung der Strafmaßnahmen fordert. Es gab nur zwei Gegenstimmen – die USA und Israel – und drei Enthaltungen von winzigen Inselstaaten in der Südsee.

Ähnliche Ergebnisse gibt es, wenn die UN-Vollversammlung über Israels Praktiken in den seit 1967 besetzten arabischen Gebieten abstimmt. So gab es beispielsweise am 14. November 2013 für eine Resolution, die Israel aufforderte, die Ausbeutung der Bodenschätze und Wasservorräte in den besetzten Gebieten zu beenden, 162 Für-Stimmen, neun Enthaltungen und nur fünf Gegenstimmen: die USA, Israel, Kanada und zwei Südsee-Republiken.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. März 2014


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