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Kanonen statt Butter

Höhere Steuern, vermeintliche Abgaben für Oligarchen: In der Ukraine wird die Finanzpolitik der Kriegführung untergeordnet

Von Reinhard Lauterbach *

Der Widerstand eines Teils der Kiewer Koalition war nur von kurzer Dauer. Wenige Tage nachdem Premierminister Arseni Jazenjuk seinen Rücktritt erklärt hatte, weil die faschistische Swoboda-Partei und die UDAR von Witali Klitschko eine Reihe von »Sparmaßnahmen« hatten durchfallen lassen, wurde das Paket in den letzten Julitagen doch verabschiedet: Die einstigen Gegner nahmen an der Abstimmung nicht teil. Mit einem Wort, ein abgekartetes parlamentarisches Spiel mit Wahlkampfcharakter.

Damit sind zum Beginn dieser Woche eine Reihe von Sondersteuern in Kraft getreten: Ein Zuschlag von 1,5 Prozent auf alle persönlichen Einkünfte der Bürger, erhöhte Verbrauchssteuern auf Tabak, Benzin und Alkohol, außerdem eine Reihe von Konzes­sionsabgaben auf die Förderung von Rohstoffen und ihre Nutzung zu gewerblichen Zwecken. Sie werden in der ukrainischen Presse als »Beitrag der Oligarchen« dargestellt, was aber nur die halbe Wahrheit ist. Denn beispielsweise eine Abgabe auf die Produktion von Benzin wird mit großer Sicherheit an die Verbraucher weitergegeben werden. Gleichzeitig werden medienwirksam Sparmaßnahmen im Staatsapparat angekündigt. Keine neuen Dienstwagen, Laptops und Diensthandys mehr, versprach etwa Kiews Oberbürgermeister Klitschko für seine Verwaltung.

Die Sondersteuern sind offiziell bis zum Jahresende befristet. Bis dahin hofft das Regime, das Donbass zurückerobert zu haben. Die Kriegführung kostet den Staatshaushalt nach Kiewer Eigenangaben etwa 100 Millionen Euro pro Monat. Hinzu kommen freilich die Steuerausfälle, weil die Industriebetriebe des Donbass wegen der Kämpfe und auch wegen fehlender Rohstofflieferungen und des Verbots von Lieferungen an Rußland zum überwiegenden Teil stillgelegt worden sind. Diese Verluste liegen nach Kiewer Berechnungen etwa in derselben Größenordnung wie die direkten Kosten des Krieges und verdoppeln diese somit unter dem Strich. Die erwähnten 100 Millionen Euro pro Monat dürften ohnehin deutlich schöngerechnet worden sein, denn ein Großteil der Munition, die die ukrainischen Streitkräfte im Donbass verballert, stammt noch aus alten sowjetischen Beständen. Das Land verballert also im buchstäblichen Sinne sein sowjetisches Erbteil. Ohne großes Aufsehen fließt unterdessen vor allem US-Militärhilfe in Millionenhöhe ins Land, einstweilen »nichttödliche« Waffen wie Nachtsichtgeräte oder Splitterschutzwesten.

Eine überhaupt noch nicht durchkalkulierte Position sind die Kosten für den Wiederaufbau des Donbass. Auf den Vorschlag Jazenjuks, die Oligarchen sollten ihr Geld »zusammenschmeißen«, um diese Aufgabe zu finanzieren, war die Antwort vernehmliches Schweigen. Hauptgeschädigter des Krieges auf Oligarchenseite ist Rinat Achmetow, dem bisher ein Großteil der Schwerindustrie des Donbass gehört. Seine Konkurrenten –, allen voran Präsident Petro Poroschenko – die mit ihrer Unterstützung für die Kiewer Regierung auch gleichzeitig Achmetows Einfluß zurückgedrängt haben, werden sich Beiträge zum Wiederaufbau nicht ohne eine Umverteilung des produktiven Eigentums im Donbass entlocken lassen. Jazenjuks Regierung aber ist für den Verlauf der Kriegführung viel zu sehr von der Unterstützung dieser Oligarchen abhängig, als daß sie sich leisten könnte, sie im Interesse des Wiederaufbaus zu irgendwelchen Schritten zu zwingen, die nicht in derem eigenem Interesse sind.

Zur Ungewißheit über die wirtschaftliche Zukunft des Donbass tritt hinzu, daß die Kiewer Machthaber derzeit offenbar unentschlossen sind, was sie mit diesem Gebiet überhaupt anstellen sollen, wenn es denn einmal zurückerobert werden würde. Das Finanzministerium hat schon vor einigen Wochen angekündigt, daß die Subventionen für den Kohlebergbau in der Region drastisch zusammengestrichen werden. Das mit den internationalen Kreditgebern abgesprochene Kürzungsprogramm dient der »Entlastung des Staatshaushalts« und wird nach Schätzungen seiner Urheber dazu führen, daß etwa 40000 Bergleute ihre Jobs verlieren. Die mittelfristige Folge wäre höchstwahrscheinlich, daß diese Leute nach Rußland auswandern müßten, da es in der Ukraine kein mit dem Donbass vergleichbaren Industriegebiet gibt, wo sie Arbeit finden könnten. Politischer Nebeneffekt: Die aus Kiewer Sicht politisch unzuverlässige Bevölkerung der umkämpften Region würde sich selbst reduzieren.

Manchen Kiewer Propagandisten geht dieser Prozeß allerdings noch zu langsam. In dem mit Geld der Kiewer Botschaften der USA und der Niederlande, der »Renaissance«-Stiftung von George Soros und durch Crowdfunding finanzierten Internetfernsehen »Hormadske TV« (Bürgerfernsehen) trat unlängst ein »Analytiker« mit der Einsicht auf, von den vier Millionen Bewohnern des Donbass seien 1,5 Millionen »überflüssig« und müßten »getötet« werden. Die Ukraine solle aufhören, die Region mit ihren prorussischen Stimmungen »verstehen« zu wollen. Verstehen müsse sie ihr nationales Interesse, und dieses liege einzig darin, das Donbass mit den verbliebenen 60 Prozent seiner Bevölkerung als Ressource auszubeuten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 6. August 2014


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