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Geplantes Elend

Kiewer Finanzblockade macht den Bewohnern des Donbass das Leben schwer - und teuer

Von Reinhard Lauterbach *

Anfang dieser Woche hatte Dmytro Kuleba vom ukrainischen Außenministerium Anlass zur Freude. Das ist nicht selbstverständlich in einem Land, dem sein Ministerpräsident am Donnerstag die Hauptaufgabe gestellt hat, das kommende Jahr zu überleben. Doch Kuleba konnte im Fernsehsender 5. Kanal, der Präsident Petro Poroschenko gehört, frohlocken: Die von Kiew verhängte Finanzblockade der international nicht anerkannten »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk sei »außenpolitisch außerordentlich effizient« gewesen. Außenpolitisch deshalb, weil sie die Last des Unterhalts der verbliebenen ca. 3,5 Millionen Bewohner der Volksrepubliken auf Russland abgewälzt habe. Und das könne und wolle sich dies langfristig nicht leisten.

Ein wesentlicher Anlass für Freude in Kiew ist, dass es dank der Blockade gelungen ist, die Auszahlung von sozialen Transferleistungen an die Bevölkerung des Aufstandsgebiets wesentlich zu reduzieren. In erster Linie betrifft dies etwa 1,2 Millionen Rentner. Sie können ihre Pensionen nur erhalten, wenn sie sie im von Kiew kontrollierten Teil des Landes beantragen und persönlich abholen. Dazu müssen sie entweder den Flüchtlingsstatus beantragen oder einen Wohnsitz dort anmelden. Kiew will auf jeden Fall verhindern, dass mit den persönlich abgeholten Renten auch Kaufkraft ins Aufstandsgebiet zurückkehrt. In der Praxis lassen sich diese Bestimmungen jedoch offenbar umgehen. In Kleinanzeigen bieten Bewohner von Städten im von Kiew kontrollierten Mariupol und anderswo an, Rentnern aus dem Donbass einen Meldezettel auszustellen - was freilich kostet, beispielsweise die Übernahme der gerade im Zuge der »Reformen« um 50 Prozent gestiegenen Nebenkosten für die Wohnungen der »Vermieter«.

Die Volkswirtschaft im Aufstandsgebiet leidet derweil unter Bargeldmangel. Die ukrainischen Banken haben ihre Tätigkeit weitgehend eingestellt, damit funktionieren auch keine Kreditkarten mehr, und an den Bankautomaten kleben Zettel mit der Aufschrift »Kein Geld da«. Auch in dieser Notsituation finden sich freilich Trittbrettfahrer, die gegen Gebühren in Höhe von zehn Prozent die Leute Kreditkartenbelege unterschreiben lassen und ihnen Geld auszahlen. Beschwerlich ist für die Donbass-Bewohner, dass mit dem Ende des ukrainischen Banksystems auch die bargeldlose Zahlung für Gas, Strom und Miete unmöglich geworden ist. So müssen sich die Leute auf mehrmaliges stundenlanges Schlangestehen in Matsch und Schnee einstellen.

Kurzfristig übernimmt offenbar Russland einen Großteil der laufenden Ausgaben. Ein Sprecher der Stadtverwaltung Donezk nannte vor einiger Zeit die Zahl von 80 Prozent, die aus Moskau zugeschossen werde. Denn der industrielle Reichtum des Donbass, seine Kohle, ist derzeit unverkäuflich. Rund zwei Millionen Tonnen des schwarzen Rohstoffs liegen auf Halde. Anfang der Woche wandten sich deshalb die Führungen beider »Volksrepubliken« mit einem Solidaritätsappell an Russland. Es möge der Ukraine, die unter akutem Kohlemangel leidet und eine Stromknappheit befürchtet, die Lieferung derjenigen Kohlesorten verweigern, die im Donbass gefördert werden. Die Regierung in Kiew müsse gezwungen werden, ihren Kohlebedarf wieder im Donbass zu decken, forderten die Politiker aus einer erkennbaren Position der Schwäche heraus. Denn mit der Donbass-Kohle hat sich unterdessen offenbar ein reger Schwarzhandel entwickelt: Sie wird per LKW nach Russland gefahren, dort auf Güterwagen umgeladen und als russische in die Ukraine geschafft. Das Problem dabei ist, dass diese Waren- und Geldströme an den Behörden der »Volksrepubliken« vorbeigehen.

In dieser Situation will die liberale Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta erfahren haben, dass Russland sich vom Projekt »Noworossija« - dahinter verbirgt sich die Unterstützung des antiukrainischen Aufstands im Donbass - verabschiedet habe. Vielmehr strebe Russland jetzt wieder an, die Aufstandsgebiete unter Voraussetzung einer noch auszuhandelnden regionalen Autonomie wieder unter ukrainische Oberhoheit »zurückzuschieben«. Die Zeitung beruft sich auf mehrere Quellen sowohl im Kreml als auch in der Führung der Volksrepublik Donezk.

* Aus: junge Welt, Freitag, 12. Dezember 2014


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