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Poroschenkos Südwestfront

Kiew erhöht die Spannungen rund um Transnistrien

Von Reinhard Lauterbach *

Zwanzig Jahre lang hat die Existenz der »Pridnestrowischen Moldawischen Republik«, im Westen bekannter unter dem rumänischen Namen Transnistrien, niemanden wirklich gestört. 1991/92 aus einem Bürgerkrieg im damals nach dem Anschluss an Rumänien strebenden Moldawien hervorgegangen und militärisch stabilisiert durch eine russische Friedenstruppe, führte der 250 Kilometer lange und im Durchschnitt 20 Kilometer breite Geländestreifen zwischen dem Fluss Dnjestr und der Ukraine seitdem ein Dasein als von niemandem offiziell anerkanntes und trotzdem faktisch respektiertes Kuriosum. Die Republik beruht wirtschaftlich darauf, dass in dieser Region die Industrie der ehemaligen moldauischen Sowjetrepublik konzentriert ist, und politisch darauf, dass die Bevölkerung mehrheitlich russisch und ukrainisch ist und mit der nach Westen strebenden Republik Moldau nichts zu tun haben will.

Derzeit sieht es so aus, als stünde dieser Existenz als Überbleibsel eines »eingefrorenen Konflikts« ein unfreiwilliges Ende bevor. Kiew hat seit dem Frühjahr den Kurs gegenüber Transnistrien erheblich verschärft. Erst ordnete Präsident Petro Poroschenko im April an, alle offiziellen Straßenübergänge Transnistriens in die Ukraine zu sperren und die zahlreichen Schmugglerpfade über die grüne Grenze unpassierbar zu machen. Das Ziel war, eine Wirtschaftskrise in Transnistrien hervorzurufen und die auf den Export nach Russland, aber auch nach Westeuropa – so kommen viele Textilien, die der deutsche Discounter Aldi anbietet, von dort – angewiesene Industrie der Republik ihres Marktzugangs zu berauben. In gewissem Umfang ist das auch gelungen. Das Parlament von Transnistrien musste kürzlich einen Nothaushalt verabschieden, um die Renten auszahlen zu können.

Ende Mai kam der nächste Schlag. Das ukrainische Parlament kündigte eine Reihe militärischer Vereinbarungen mit Russland auf, darunter auch das Abkommen, nach dem Russland bisher den Nachschub für seine etwa 1.500 Soldaten in der Region über den Hafen Odessa und den etwa 100 Kilometer kurzen Landweg abwickeln konnte. Gleichzeitig sperrten die Ukraine und Moldau ihre Lufträume, auf die jedes Transportflugzeug nach Transnistrien angewiesen ist. Moldau verlangt seitdem von Russland die vorherige Anmeldung jedes Flugs, der russische Militärs an Bord hat, und hält immer wieder aus dem Urlaub zurückkehrende Soldaten auf dem Flughafen von Chisinau auf.

Auf die faktische Belagerung Transnistriens hat die Führung der Republik mit markigen Worten reagiert. Das von insgesamt etwa 300.000 Menschen bewohnte Land verfüge über 50.000 gut ausgebildete Reservisten, und Waffenvorräte seien genug vorhanden. Russland ließ seine Truppen im Land gleichzeitig die Abwehr von Angriffen auf die großen, aus sowjetischer Zeit zurückgebliebenen Waffen- und Munitionsdepots trainieren.

In dieser Situation wachsender Spannungen konnte die Berufung des georgischen Expräsidenten Michael Saakaschwili auf den Posten des Gouverneurs von Odessa nur Beunruhigung hervorrufen. Saakaschwili hat Erfahrung im Anzetteln von Grenzkonflikten mit Russland, auch wenn sie 2008 für sein Land schlecht ausgegangen sind. Zu Hause seit 2013 abgewählt, hat dieser antirussische Desperado politisch nichts zu verlieren. Seine Berufung ist mit Sicherheit nicht ohne den Rückhalt der USA erfolgt, wo er sich das erste Jahr nach seiner Wahlniederlage auf- und für neue Verwendungen bereitgehalten hat.

Jetzt haben Vertreter der »Neurussen« der Ukraine vorgeworfen, eine bewaffnete Provokation im Grenzgebiet zu Transnistrien zu planen. Der Kiewer Geheimdienst SBU rekrutiere junge Arbeitslose, die in dem Städtchen Kotowsk unweit der Grenze zu Transnistrien einen Aufstand gegen die ukrainische Regierung nebst Ausrufung einer »Volksrepublik Odessa« inszenieren sollten. Verkleidet als »transnistrische Aktivisten« sollten sie den Vorwand für eine gemeinsame ukrainisch-moldauische Militäraktion zur Liquidierung Transnistriens liefern. In einen solchen Konflikt würden die in Transnistrien stehenden russischen Soldaten zwangsläufig hineingezogen. Würden sie zurückschießen, hätte Kiew die Bilder, auf die es nur wartet, um eine angebliche neuerliche »russische Aggression« zu belegen. Hielten sie sich heraus, bliebe ihnen nur ein Rückzug zu ukrainischen Konditionen. Kiew hätte das Hinterland der für die Ukraine strategisch wichtigen Hafenstadt Odessa befriedet, und die NATO könnte eine kleine Frontbegradigung in Südosteuropa verzeichnen. Noch knallen nur die Platzpatronen der Propaganda.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. Juni 2015


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