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Kampf um Kasernen auf der Krim

Ukrainische Streitkräfte auf der Halbinsel in Bedrängnis / Ban Ki Moon reist nach Moskau und Kiew

Von Detlef D. Pries *

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will am Donnerstag und Freitag nach Russland und in die Ukraine reisen, »um alle Seiten zu einer friedlichen Lösung der Krise zu bewegen«.

Die Moskauer »Nowaja Gaseta« – alles andere als putinfreundlich – plädierte am Mittwoch für die Anerkennung der neuen Realität: »Die Krim ist zu einem Teil Russlands geworden.« Das bestätigte auch das russische Verfassungsgericht: Der Vertrag über die Aufnahme der Krim und der Stadt Sewastopol als neue Subjekte in die Russische Föderation sei mit der Verfassung konform, verkündete Gerichtspräsident Valeri Sorkin in Petersburg. Noch in dieser Woche sollen Staatsduma und Föderationsrat das Dokument ratifizieren, das Präsident Wladimir Putin und die Krimvertreter am Dienstag unterzeichnet hatten.

Die neue Realität, hieß es in der »Nowaja Gaseta«, berge jedoch erhebliche Risiken: Nach wie vor bestehe die Gefahr eines »heißen Krieges«, vom kalten ganz zu schweigen. In Simferopol waren am Dienstagabend an einem Stützpunkt der ukrainischen Armee ein ukrainischer Soldat und ein Angehöriger der »Selbstverteidigungskräfte« der Krim erschossen worden. Daraufhin erklärte der ukrainische Premier Arseni Jazenjuk, der Konflikt habe sich »von einem politischen in einen militärischen« verwandelt.

Am Mittwochmorgen stürmten rund 200 unbewaffnete Männer und Frauen auf das Gelände des ukrainischen Marinekommandos in der Hafenstadt Sewastopol und hissten die russische Flagge. Gegen Frauen wolle man keine Gewalt anwenden, erklärte der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums Wladislaw Selesnjow laut Nachrichtenagentur UNIAN. Nachdem mehr als 30 ukrainische Soldaten den Stützpunkt verlassen hätten, habe sich auch Marinechef Sergej Gajduk gestellt, meldete das Internetportal sevastopol.su. Später hieß es, Gajduk werde von der Sewastopoler Staatsanwaltschaft verhört.

Wie Selesnjow weiter erklärte, suchten prorussische Kräfte »überall« ukrainische Soldaten zu überreden, entweder die Seite zu wechseln oder aufs ukrainische Festland zurückzukehren. Vom Stützpunkt Perewalny berichtete UNIAN, dort warte man auf exakte Befehle aus Kiew, wo am Mittwoch der Nationale Sicherheitsrat tagte. In der Werchowna Rada wurde derweil ein Gesetz über den Austritt der Ukraine aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) eingebracht. Russlands Präsident beauftragte indessen sie Regierung, den Bau zweier Brücken über die Meerenge von Kertsch einzuleiten, um die Krim direkt mit dem russischen Festland zu verbinden.

Beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag und Freitag ist die Ukraine ein Hauptthema. Die EU-Spitzen kündigten an, man werde weitere Sanktionen gegen Russland beschließen.

Keine Einigung wurde bisher über die Entsendung einer OSZE-Beobachtermission in die Ukraine erzielt. Nach einem Telefonat mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier allerdings von Fortschritten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014


Putschisten ohne Basis

Krim-Selbstverteidigung besetzt Stab der ukrainischen Marine in Sewastopol. In Kiew überfallen Faschisten Fernsehsender. "Gemeinsame Sache" trainiert »Partisanen«

Von Reinhard Lauterbach **


Auf der Krim haben am Mittwoch die örtlichen Selbstverteidigungsgruppen begonnen, noch unter der Kontrolle Kiews stehende Militärstützpunkte zu belagern und zu besetzen. Mehrere Basen in und um Sewastopol waren am Morgen von prorussischen Einheiten umstellt. Am Vormittag schließlich gab die Besatzung des Stabs der ukrainischen Marine ihren Stützpunkt auf. Die Offiziere verließen die Gebäude, teils trugen sie Zivilkleidung. Während über dem Gebäude die ukrainische Fahne eingeholt und die russische Flagge gehißt wurde, ließ die Sewastopoler Staatsanwaltschaft den Kommandeur des Stützpunkts zum Verhör festnehmen. Mehrere Offiziere beschwerten sich gegenüber Journalisten darüber, daß aus Kiew keine eindeutigen Befehle kämen. Rußland hat die ukrainischen Militärs aufgefordert, entweder in seine Dienste überzutreten oder die Krim zu verlassen.

Am Dienstag abend hatte es bei zwei Schußwechseln in Simferopol die ersten Toten seit dem Beginn der Abspaltung der Krim von der Ukraine gegeben. Ein ukrainischer Unteroffizier und ein Mitglied der Krim-Selbstverteidigung wurden getötet, je ein weiterer Uniformierter auf beiden Seiten wurde verletzt. Das Gefecht war möglicherweise durch Provokateure ausgelöst worden, die beide Parteien beschossen, berichtete die Nachrichtenagentur Crimea Inform. Das Muster ähnele den Vorkommnissen auf dem Maidan in Kiew, wo im Februar Polizisten und Demonstranten erschossen worden waren. Die neuen ukrainischen Machthaber zeigen bislang keinen Willen, die Verantwortlichen dafür zu ermitteln. Auch die Schüsse in Simferopol kommen den Putschisten gelegen. Kiews »Ministerpräsident« Arseni Jazenjuk erklärte, damit sei der Konflikt um die Krim in die »militärische Phase« eingetreten. Das Verteidigungsministerium in Kiew erlaubte seinen Soldaten auf der Krim den Schußwaffengebrauch.

Nach Angaben des Chefs des ukrainischen Sicherheitsdienstes, Andrij Parubij, haben sich schon 20000 Freiwillige für die neugegründete »Nationalgarde« beworben. Gegenüber dem regierungstreuen Sender Kanal 5 beschwerten sich die neuen Rekruten allerdings bereits über schlechtes Essen und ungeheizte Zelte. Auch habe es »Mißverständnisse« mit den Offizieren gegeben. An der grünen Grenze zwischen dem Bezirk Donezk und Rußland ließ der neue Gouverneur der Region, der Oligarch Serhij Taruta, einen Panzergraben ausheben. Die faschistische Gruppe »Gemeinsame Sache« kündigte im staatlichen Rundfunk an, »Partisanen« für den Kampf gegen »russische Besatzer« auszubilden. Andere hinter der Putschregierung stehende Kräfte arbeiten derweil an der Gleichschaltung der ukrainischen Medien. Ein in Lederjacken gekleideter Stoßtrupp unter Leitung des »Swoboda«-Abgeordneten Igor Miroschnitschenko überfiel am Mittwoch den Direktor des staatlichen ukrainischen Fernsehens NTKU in seinem Büro, verprügelte ihn und zwang ihn unter unflätigen Beschimpfungen, ein Rücktrittsgesuch aufzusetzen. Anlaß für den Überfall war die Übertragung eines Konzerts aus Moskau, die das Staatsfernsehen von dem maidanfreundlichen Privatsender espreso.tv übernommen hatte. Der Fernsehsender Tonis wurde von bewaffneten Kämpfern des »Rechten Sektors« besetzt. Diese legten dem Sender eine »redaktionelle Zusammenarbeit« mit der Schlägertruppe nahe. Der Kanal gehörte bis zum Staatsstreich dem Sohn des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. März 2014


Neue Europäer

Reaktionen auf Putin-Rede

Von Arnold Schölzel ***


Am Tag nach der Rede des russischen Präsidenten zum neuen Ost-West-Konflikt gab es im Westen nichts Neues: Die deutsche Exportindustrie warnte, die Politik solle die Folgen von Sanktionen »genau bedenken«. Anschließend ließ die Bundesregierung mitteilen, sie rechne auf dem heute beginnenden EU-Gipfel nicht mit massiver Verschärfung der bisherigen Maßnahmen. Offenbar hat Putin eine Offerte zu rationalem Handeln gemacht, die kühleren Köpfen akzeptabel erscheint. Die Nachfrage nach Krisenbeendigung und kontrollierbaren, also stabilen Verhältnissen mit Moskau scheint im Bundeskanzleramt allerdings größer als das Angebot auf dem politischen Markt. Berlin will es preiswert haben, scheut aber den Bruch mit jenen, die den Konflikt unbeherrschbar machen wollen.

Ihrer wild-antirussischen Rhetorik nach gehören dazu deutsche Grüne und die meisten westlichen Medien, die US-Administration und jene osteuropäischen Staaten, denen der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld 2003 das Etikett »neues Europa« aufpappte. Das war als Auszeichnung für die Bereitschaft gedacht, sich der »Koalition der Willigen« im Irak-Krieg anzuschließen. Das »Neue« definiert sich in erster Linie durch Russophobie und geht bis zur offiziellen Weihe der einheimischen Kollaborateure des faschistischen deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und gegen die slawischen Völker als Freiheitskämpfer. Wer Faschisten liebt, zieht heute mit der vermeintlich einzigen Weltmacht in jeden Krieg. Im Irak waren Estland, Lettland, Litauen, Polen und die Ukraine dabei, es handelt sich um Regime mit z. T. direkt aus CIA-Funktionen kommenden Führungsfiguren. Man liebt den Völkerrechtsbruch und den Mord bislang an Afrikanern und Arabern.

Noch steht bei den neuen Europäern die antimoskowitische Hysterie zum tatsächlichen Handeln in einem irrationalen Verhältnis. Aber die Herrschaften spielen gern mit Feuer, an dem sich Washington wärmen kann. Am Mittwoch kündigte US-Vizepräsident Joseph Biden den baltischen US-Statthaltern, die nominell zur EU gehören, jedenfalls an, die Militärkooperation werde ausgeweitet. Zusätzliche US-Kampfflugzeuge sind bereits in der Region.

Für das Ziel, Rußland dauerhaft zu schwächen, reicht das aber nicht. Die Erfahrung vom Kosovo- bis zum Libyen- und Syrien-Krieg lehrt, daß Weltherrschaftskrieger eine einheimische Bodentruppe benötigen, um ihre jeweilige »Weiterentwicklung« des Völkerrechts realisieren zu können. In der Ukraine formiert sich eine solche Mörderbande seit dem 22. Februar, dem Tag des Kiewer Putsches, mit offener staatlicher Hilfe. Am Mittwoch verkündete die faschistische Miliz »Gemeinsame Sache«, sie werde den Maidan räumen und mit der Ausbildung für den Partisanenkrieg beginnen. Sie ist nicht die einzige. Das »neue Europa« wird die Rechnung in Berlin zu gegebener Zeit präsentieren.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. März 2014


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