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Geld für Failed State

Wer soll das zurückzahlen? IWF will Kiew rund zwölf Milliarden Euro Kredit geben. EU, USA und "private Investoren" sollen nachziehen

Von Klaus Fischer *

Als Bank hat sich der Internationale Währungsfonds (IWF) bislang stets ausgesprochen knauserig und asozial gezeigt. Geld gab es – falls überhaupt – nur gegen politisches Wohlverhalten. Im Falle der Ukraine zeigt sich der globale finanzpolitische Wachhund Washingtons plötzlich generös und warmherzig: Dem Land werde man mit »Kredithilfen« im Volumen von 17 Milliarden US-Dollar (12,3 Milliarden Euro) beispringen, ließ der IWF am Mittwoch in Washington wissen. Nur, an wen soll das Geld gehen?

Banken geben nur gegen Sicherheiten. Welche bietet das zerfallende Staatsgebilde im Osten Europas? Faktisch stützt sich der IWF lediglich auf die unausgesprochene Garantie der politischen Strippenzieher USA und EU. Die hatten laut US-Botschafterin Nuland (»Fuck the EU«) fünf Milliarden Dollar »investiert«, um die Ukraine ins Lager von »Freiheit« und »Demokratie« zu überführen. Herausgekommen ist wie üblich ein gescheiterter Staat. Die in Kiew als Regierung auftretenden Politiker sind zumeist Handlanger einschlägig bekannter Kleptokraten. Nicht einmal die Wall-Street-Versteher des IWF sind so blöd, denen die Milliarden einfach zu überweisen. Die Kreditgewährung läuft also auf eine Übernahme der Macht durch die Beauftragten des Fonds in der Ukraine hinaus, obwohl zu den konkreten Modalitäten noch nichts bekannt wurde. Statt »grüner Männchen« mit AK-74-Sturmgewehren (unsere Qualitätsmedien wollen wissen, daß dies Putins Fünfte Kolonne in der Ostukraine ist), landen in Kiew graue Herren mit Note­book und Aktenköfferchen. Sie werden vermutlich ähnlich agieren wie die Abgesandten der »Troika« in Griechenland, wo der IWF, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank als »Geldgeber« auftreten.

Apropos blöd: IWF-Exekutivdirektorin Christine Lagarde meldete sich unmittelbar nach Absegnung der »Hilfen« im Exekutivrat der Organisation mit der Warnung zu Wort, Rußland könnte die Krise weiter eskalieren lassen. Das nennt man vorsorglich, den »Schwarzen Peter« weiterreichen. Und die frühere französische Ministerin setzte noch eins drauf; sie lobte die Übergangsregierung in Kiew für ihren beispielhaften Reformwillen.

Es wäre interessant zu wissen, wie sich die Diskussion bis zur Beschlußfindung im Leitungsgremium des Währungsfonds abgespielt hat. Gewichtige Mitglieder der Organisation sind neben den nach Kapitalanteil und Stimmrecht dominierenden USA auch China, Indien und Rußland (die Russische Föderation hält 2,5 Prozent der Kapitalanteile des IWF). Immerhin tat Madame Lagarde nicht so, als wäre das ganze Programm ein Selbstläufer: Die Risiken seien »groß«, schrieb die Direktorin in einer Erklärung. Entscheidend für den Erfolg sei es jetzt, daß weitere internationale Hilfsgelder sowie private Investitionen fließen. Es handele sich um ein »mutiges Wirtschaftsprogramm«, das starke Unterstützung verdiene.

Die Hilfen sind laut IWF für eine Dauer von zwei Jahren vorgesehen. Umgerechnet 3,2 Milliarden Dollar wurden sofort in Aussicht gestellt, darunter zwei Milliarden Dollar Haushaltshilfen. Den Fondsmanagern ist klar, daß ein gewichtiger Teil ihrer bereitgestellten Kreditsumme nach Rußland fließen wird. Die Bedienung der Schulden aus Gaslieferungen ist für das Regime in Kiew eine Nagelprobe ihrer Kreditwürdigkeit. Diese zu beurteilen, ist Geschäft der US-Ratingagenturen. Die drei »Großen«, Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch befinden nach wie vor maßgeblich über die Bonitätseinstufung von Staaten als Kreditnehmer. Die Ukraine wurde zuletzt von S&P mit der zweitschlechtesten Note »CCC« eingestuft. Zugleich hatte sich S&P als williger Helfer der Obama-Administration gezeigt und Rußlands Kreditwürdigkeitsnote ebenfalls herabgesenkt. Dabei ist das Land weltgrößter Erdölförderer und verfügt über mehr als ausreichende Devisenguthaben.

Für die Ukraine bedeutet die Freigabe der IWF-Gelder ein Signal an andere Länder, ihrerseits Geld bereitzustellen. Nur mit den IWF-Milliarden kommt Kiew nämlich nicht weit. Doch auch die Anführer EU-Europas wollen sich nicht lumpen lassen: Ein entsprechendes »Hilfspaket« unter der Regie aus Brüssel soll sich auf elf Milliarden Euro belaufen. Der US-Kongreß gab bislang eine Milliarde Dollar frei. Laut Angaben aus Kiew bestehe ein Gesamtbedarf des Staates in Höhe von mehr als 27 Milliarden Dollar. Vermutlich wird es auch »professionellen Anlegern« als gutes Geschäft erscheinen, Geld an die Ukraine zu verleihen. IWF und EU sind ja mit im Boot.

* Aus: junge Welt, Samstag 3. Mai 2014


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