Die EU ist "überhaupt nicht soft"
Europa und USA streiten um Vorgehen in der Ukraine / Mitschnitte diplomatischer Gespräche im Internet
Von Klaus Joachim Herrmann *
Ungewohnt geriet die Ukraine am Freitag in die internationalen Schlagzeilen – wegen vertraulicher Telefongespräche zwischen Washington und dem US-Botschafter in Kiew sowie unter EU-Vertretern.
Es war so schön peinlich und laut Bundeskanzlerin Angela Merkel »absolut unakzeptabel« – das »Fuck the EU« der im US-Außenministerium für Europafragen zuständigen Abteilungsleiterin Victoria Nuland. Nun geht es per Online-Plattform Youtube um die Welt. Es stammt aus einem vierminütigen vertraulichen Telefonat mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, vor einigen Tagen.
Die Urheberin des Fluchs, die sich am Freitag entschuldigte, absolviert gerade eine weitere Mission in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Dort traf sie auch mit Präsident Viktor Janukowitsch zusammen. Öffentlich versicherten sich beide der Notwendigkeit einer friedlichen Lösung. Nur im Dialog und mit Kompromissen könne das Land aus der Krise geführt werden, betonte der Präsident. »Wir werden diejenigen unterstützen, die für eine friedliche Beilegung der Krise und die Bildung einer Übergangsregierung arbeiten«, wurde Nuland in Kiew von örtlichen Medien zitiert.
Das Treffen des ukrainischen Präsidenten mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Sotschi geriet über die Affäre etwas aus dem Blickfeld. Denn Janukowitsch versicherte, er wolle alles gegen eine weitere Eskalation des Konflikts unternehmen, und dankte ausdrücklich dem UNO-Chef für eine »ausgewogene und durchdachte Position«. Das war eine Einschätzung, die der Präsident nicht vielen seiner politischen Gesprächspartner der letzten Wochen zuteil werden lassen würde. Schon gar nicht aus den USA und der EU.
Die ungeschminkte Sicht der US-Diplomatin auf Aspekte der Krisenlösung sind nun weithin bekannt. Ein Einstieg der Vereinten Nationen in den innerukrainischen Konflikt »wäre großartig«, um »diese Sache zu Ende zu bringen«. Genau an dieser Stelle war Nuland Europa mehr als egal. Oppositionspolitiker Vitali Klitschko, kurz »Klitsch«, sollte auch besser nicht in die Regierung: »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.« Der Boxweltmeister solle »seine politischen Hausaufgaben« machen. Daran sitzt er nun wohl weisungsgemäß.
Auf EU-Seite gab es noch eine Verstimmung. In einem ebenfalls im Internet verbreiteten Telefonmitschnitt beschwert sich bislang undementiert die Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Helga Schmid, Top-Diplomatin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, »vertraulich« und sehr verärgert beim EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski. Die Amerikaner würden »erzählen, dass wir zu weich sind, während sie stärker sind und auf Sanktionen gehen«. Schmid versichert: »Wir sind überhaupt nicht soft!« Es ärgere sie, wenn die Presse berichte, »die EU ist nicht auf der Seite der Freiheit«. Jan Tombinski antwortet beruhigend: »Wir sind nicht in einem Rennen, wer stärker vorgeht. Wir haben andere Instrumente.«
Das US-Außenministerium bemühte zwar eine doppelte Verneinung, bestätigte aber die Echtheit des Mitschnitts: »Ich sage nicht, dass dies nicht authentisch ist«, so Außenamtssprecherin Jen Psaki. Sie sprach laut dpa von einem »neuen Tiefpunkt« der russischen Spionagepraxis und brachte damit eine weitere Konfliktpartei ins Rennen. Das sieht wohl auch das Weiße Haus so. Denn das mit russischen Untertiteln versehene Video sei von der Regierung in Moskau über den Onlinedienst Twitter verbreitet worden, erklärte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Jay Carney. »Das sagt etwas über Russlands Rolle aus.«
Dessen Auslandsagentur RIA/Novosti sprach verschämt von »einem sehr unanständigen Wort«, mit dem die EU bedacht worden sei, oder rettete sich in drei Pünktchen. Schimpfworte sind den russischen Medien schließlich per Gesetz und Strafe verboten. Der Regierungsmitarbeiter Dmitri Loskutow, auf dessen Twitter-Mitteilung Washington den Verdacht russischer Urheberschaft gründet, wies Anschuldigungen zurück. Er habe erst getwittert, als der Mitschnitt des Telefonats schon lange im Netz kursierte. Ohnehin sei sein Twitter-Account nicht offiziell. »Allein die Tatsache, dass ich reagiert habe, wird genutzt, um Russland die Schuld zu geben«, so Loskutow.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Februar 2014
Ukrainischer Geheimdienst bestreitet seine Verwicklung in Abhörskandal um Nuland **
Der ukrainische Geheimdienst SBU hat seine Verwicklung in den Abhörskandal um die Beraterin des US-Außenministers, Viktoria Nuland, bestritten. Das teilte SBU-Sprecherin Lada Safonowa am Samstag nach Angaben der ukrainischen Agentur UNIAN mit.
Der SBU habe mit Abhören, Aufzeichnung und Veröffentlichung des betroffenen Gesprächs Nulands mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, nicht zu tun, sagte sie. Der Chef der Ermittlungsabteilung beim SBU, Maxim Lenko, teilte mit, dass der Geheimdienst im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Gesprächsaufzeichnung im Internet keine Ermittlungen einleiten wird.
Die Europa-Abteilungsleiterin im US-Außenministerium Nuland und Botschafter Pyatt hatten voraussichtlich Ende Januar über die künftige Regierung der Ukraine gesprochen. Das von Unbekannten aufgezeichnete Telefonat wurde später bei Youtube veröffentlicht. Nuland zufolge habe er (der stellvertretende UN-Generalsekretär für politische Angelegenheiten, Jeffrey Feltman) es geschafft, dass sowohl (der UN-Sondergesandte Robert) Serry als auch (UN-Generalsekretär) Ban Ki-moon zustimmten, dass Serry am Montag oder Dienstag dazukommen könnte. „Ich denke das wäre sehr gut, um zu helfen, die Sache festzumachen und auch, dass die UN dabei helfen, sie festzumachen, und Du weißt schon, scheiß auf die EU.“
Zudem sagte Nuland, sie denke nicht, dass Klitsch (Oppositionsführer Vitali Klitschko) in die Regierung gehen sollte. „Ich glaube nicht, dass es notwendig ist. Ich halte es für keine gute Idee.“
Die USA äußerten sich nicht zur Echtheit der Aufzeichnung. Dennoch entschuldigte sich Nuland bereits bei ihren EU-Kollegen.
Nach Worten von Leonid Sluzki, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für die Angelegenheiten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), Eurointegration und Angelegenheiten der Landsleute, handelt es sich um eine offene und dreiste Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines unabhängigen Staates. „Dieser Skandal untergräbt endgültig das Ansehen Amerikas als eines Verfechters der Demokratie. Das ist ein und dasselbe Schachspiel, bei dem es um das Schicksal von Ländern geht und die Ukraine nur als Bauer behandelt wird“, hatte der russische Parlamentarier am Freitag gesagt.
Die USA warfen bereits Russland vor, das Telefonat abgehört und aufgezeichnet zu haben. Dabei beriefen sich US-Amtsträger darauf, dass der Berater von Russlands Vizeregierungschef Dmitri Rogosin, Dmitri Loskutow, die Aufzeichnung als erster bei Twitter verlinkt hatte. Tatsache ist aber, dass Loskutow die Aufzeichnung am 6. Februar veröffentlichte, während das Gespräch bereits seit dem 4. Februar durch ukrainische Internetseiten geisterte.
** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Februar 2014; http://de.ria.ru
Abgelauschter Klartext
Olaf Standke über Washingtons Politik gegenüber EU und Ukraine ***
Scheiß drauf, könnte man mit der Washingtoner Spitzendiplomatin Victoria Nuland sagen, denn dass US-Politiker überaus rüde in ihrer Wortwahl sein können, weiß man von früheren Enthüllungen. Allerdings verbalisiert die abgehörte Beschimpfung der Europäischen Union in Sachen Ukraine aktuelle Politik. Nuland sprach aus, was in Washington allgemeiner Konsens ist. Diese Arroganz und Verachtung prägen auch das Vorgehen in der NSA-Affäre um die grenzenlose Überwachung selbst treuester Verbündeter durch den Auslandsgeheimdienst.
So gesehen bietet der neue Skandal noch eine besondere Ironie, wurde hier doch offensichtlich die Privatsphäre dort verletzt, wo man sich ansonsten wenig um die Privatsphäre anderer schert. Ob nun der russische Geheimdienst, der ukrainische oder wer immer hinter der Veröffentlichung steckt, sie lässt auch ansonsten tief blicken: Der nicht zuletzt von Bundesregierung und Adenauer-Stiftung aufgebaute Oppositionsheld Vitali Klitschko ist nicht Washingtons erste Wahl in Kiew. Kein Wunder, dass er via »Bild«-Zeitung jetzt vor einer fiesen Falle warnt. Die USA, die in den vergangenen Jahren mit Milliarden Dollar versuchten, die Ukraine ins westliche Lager zu holen, setzen lieber auf Arseni Jazenjuk, wenn es um die eigenen geostrategischen Interessen geht.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Februar 2014 (Kommentar)
Was brachte die Verfassung von 2004?
Die ukrainische Opposition – inspiriert und unterstützt vom Westen – fordert nun die Rückkehr zur Verfassung von 2004 und vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.
Von Manfred Schünemann ****
Bereits Ende Januar hatte USA-Botschafter Geoffrey R. Pyatt dem einflussreichen Donezker Oligarchen Rinat Achmetow in einem Gespräch die Forderungen der Obama-Regierung übermittelt: Amnestiegesetz, Rücknahme der Demonstrationsgesetze vom 16. Januar, Bildung einer Koalitionsregierung und Verfassungsänderung. Nach einem Bericht der Zeitung »Zerkalo Nedeli« hatte Pyatt damit gedroht, im Falle der Nichterfüllung dieser Forderungen alle Konten des Oligarchen in den USA und Europa zu sperren sowie eine Einreiseverbot zu verhängen. Es ist offensichtlich, dass das Regierungslager unter diesem massiven Druck entsprechenden Gesetzen in der Werchowna Rada zustimmte und Bereitschaft signalisiert, mit der Opposition über Verfassungsänderungen und Wahlen zu verhandeln. Noch ist offen, zu welchen Ergebnissen die Gespräche der Fraktionsvorsitzenden aller Parteien im Parlament führen, Kompromisslösungen wären möglich.
Allerdings warnen Verfassungsrechtler und Politiker, darunter Altpräsident Viktor Juschtschenko, vor einer »Rückkehr« zur Verfassung von 2004. Ein Blick auf die verfassungsrechtliche Entwicklung der Ukraine seit Erlangung der Unabhängigkeit verdeutlicht, dass die Stabilität des politischen Systems tatsächlich nicht so sehr von der Verfassung und dem Wahlrecht abhängt, sondern vom jeweiligen Kräfteverhältnis zwischen den politischen Gruppierungen.
Auch als die Verfassung von 2004 galt, tobte ein unerbittlicher Machtkampf zwischen Präsident, Regierung und Parlament. Er blockierte über Monate das politische Leben, führte zum völligen Zerwürfnis zwischen Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko und schließlich zur Abwahl der einstigen »Hoffnungsträger« bei der Wahl 2010.
Juschtschenko kritisierte an der Verfassung von 2004 vor allem die ungenügende Abgrenzung der Machtbefugnisse zwischen den Verfassungsorganen und forderte eine Rückkehr zur Verfassung von 1996. Dafür fand er für seine Forderungen auch Unterstützung bei der Venedig-Kommission des Europarates, die ebenfalls eine Überarbeitung forderte. Es ist zumindest zweifelhaft, ob die Rückkehr zur Verfassung von 2004 angesichts der jetzigen offenen Konfrontation zwischen Regierung und Opposition zur Stabilisierung der innenpolitischen Lage führen würde.
Nicht auszuschließen wäre stattdessen, dass die Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern zu einer noch stärkeren territorialen Abgrenzung führen. Das Parlament der Autonomen Krim hat bereits entsprechende Beschlüsse in Vorbereitung. Eine tatsächliche Stabilisierung der innenpolitischen Lage setzt mehr als Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen bei allen politischen Kräften die Bereitschaft voraus, die unterschiedlichen Interessen der Bevölkerung aller Landesteile zu akzeptieren und auf dieser Basis tragfähige Kompromisse hinsichtlich der gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Orientierung des Landes zu erarbeiten. Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen sollten nicht am Anfang, sondern am Ende eines Prozesses zur Erneuerung des politischen Systems stehen.
*** Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Februar 2014
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