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Friedensdemo blockiert

Faschisten attackieren Gegner des Kriegs in der Ostukraine. Erster Vermittlungsversuch im Donbass-Konflikt

Von Reinhard Lauterbach *

In Kiew haben am Sonntag mehrere hundert Jungfaschisten vom »Rechten Sektor« und Fußball-Hooligans eine Demonstration gegen den Bürgerkrieg verhindert. Eine dreistellige Zahl älterer Menschen hatte sich im berühmten Höhlenkloster unter Ikonen und Kirchenfahnen zu einer Prozession gegen den »brudermörderischen Krieg« versammelt. Die Prozession am Jahrestag des deutschen Angriffs von 1941 sollte zur Ewigen Flamme im »Park des Ruhms« gehen, wo sich auch am 9. Mai Bewohner von Kiew zum Gedenken an den Sieg von 1945 versammelt hatten. Angesichts des Faschistenaufmarschs riegelte berittene Polizei das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Klostergelände ab; die Prozession konnte nicht stattfinden. Außerhalb der Anlage verprügelten die Rechten Polizisten und forderten sie auf, lieber »an die Front« zu gehen. Bei Gelegenheit wurde auch eine Filiale der russischen Sberbank demoliert. Auffälligerweise spielten die russischen Leitmedien die Ereignisse ziemlich herunter und reduzierten sie auf den Sachschaden an der Bank. In Charkiw griffen Rechte ebenfalls die Polizei an, die sie hinderte, eine Antikriegsdemonstration zu zerschlagen.

Den Jahrestag des deutschen Angriffs nahm auch Staatspräsident Petro Poroschenko zum Anlaß für eine Botschaft an das ukrainische Volk. Wenn es genauso zusammenstehe wie einst gegen den faschistischen Aggressor, werde der Sieg auf seiner Seite sein, heißt es in der Erklärung, die man nur als verlogen bis zum letzten Komma bezeichnen kann. Denn das ukrainische Volk war 1941 durchaus nicht einig gegen den deutschen Aggressor – gerade jene Nationalisten, die in der heutigen Ukraine tonangebend sind, machten mit ihm lange Zeit gemeinsame Sache. Der von Angriffen auf die Zivilbevölkerung begleitete Einsatz faschistischer Freiwilligenbataillone im Donbass ist in historischer Perspektive die Wiederholung des Versuchs der Leute des ukrainischen Faschistenführers Stepan Bandera, mit »Marschgruppen« den Donbass für ihre Version der Ukraine zu erobern – ein Versuch, der seinerzeit trotz Unterstützung durch die deutschen Besatzer fehlschlug. Daß Poroschenko trotzdem versucht hat, aus der Erinnerung an den deutschen Angriff politisches Kapital zu schlagen, zeigt die Gratwanderung, zu der er sich innenpolitisch genötigt sieht: Die in der Sowjetunion gewachsene Erinnerungskultur ist nicht mit ein paar Erlassen aus den Köpfen zu entfernen.

Die aus Maidan-Kämpfern formierte Nationalgarde der Ukraine sieht sich unterdessen nicht nur an die Donbass-Front gerufen, sondern auch an die Informationsfront. Auf ihrer Webseite findet sich eine Mitteilung, in der allen Journalisten mit »Konsequenzen« gedroht wird, die andere als die offiziellen Zahlen über die Verluste der ukrainischen Streitkräfte veröffentlichen. Die Drohung ist nicht leer: Vor einigen Tagen kamen ein russischer Fernsehkorrespondent und sein Tontechniker bei Lugansk ums Leben, offenbar durch gezielten Beschuß der Nationalgarde.

Im Donbass-Konflikt gibt es offenbar einen ersten Vermittlungsversuch. Die Schlüsselrolle spielen dabei zwei Politveteranen: Expräsident Leonid Kutschma (1996–2004) und sein damaliger Amtschef Wiktor Medwetschuk. Letzterer gilt als Putins Vertrauensmann in der Ukraine; er wurde in Donezk von Vertretern der Volksrepubliken zumindest empfangen. Kutschma wurde von Poroschenko als Vertreter der Ukraine nominiert. Es geht zunächst um Gespräche unter dem Dach der OSZE.

* Aus: junge Welt, Dienstag 24. Juni 2014


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