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Braune "Europavisionen"

Die rechten Putschparteien in der Ukraine sind die neuen Bündnispartner der Bundesregierung. Nach Deutschland haben sie allerdings schon länger gute Kontakte – zur NPD

Von Jörg Kronauer *

Schade!« Die Jungen Nationaldemokraten (JN) sind enttäuscht. Zu ihrem »Europakongreß«, der nächsten Samstag irgendwo im »Großraum Leipzig« stattfinden soll, haben sie auch den »Prawy Sektor« (»Rechter Sektor«) aus der Ukraine eingeladen. Der aber, gerade noch als Teil der »Selbstverteidigung« des Maidan in Berlin mit Wohlwollen bedacht, hat plötzlich Streß mit der deutschen Migrationsabwehr: Die Behörden legen ihm, klagt JN-Bundesvorstandsmitglied Michael Schäfer, »mittels Visaverweigerung und Ausreiseproblemen Steine in den Weg«. Die JN werden daher am 22. März vermutlich ohne ihre ukrainischen Kameraden auskommen müssen. »Schade, daß es nicht klappt«, jammert Schäfer auf Facebook.

Teile des »Prawy Sektor«, der sich Ende November 2013 auf dem Kiewer Maidan als faschistisches Gewaltbündnis rechts von Swoboda zusammengeschlossen hat, verfügen schon seit Jahren über Kontakte nach Deutschland. Das gilt vor allem für die Partei UNA-UNSO (»Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung«), die zu den tragenden Kräften des »Prawy Sektor« gehört. UNA-UNSO, 1990 in Lwiw gegründet, machte Anfang der 1990er Jahre von sich reden, als sie Milizionäre in die Bürgerkriege in Georgien und Tschetschenien schickte, um gegen Rußland zu kämpfen. 1996 schloß sie einen »Partnerschaftsvertrag« mit der deutschen NPD, die die neue Zusammenarbeit im August 1996 mit einem hochrangigen Besuch in Kiew besiegelte. Im November 1999 und im Juni 2000 kamen Vertreter beider Parteien erneut zusammen, einmal in München, einmal in Kiew.

Lockere Kontakte gab es danach noch eine ganze Weile. Im Jahr 2007 etwa publizierten der NPD-Mann Günther Schwemmer und ein gewisser Andrij Starostin im Namen eines »Auslandsdokumentationsdienstes der UNA-UNSO« in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme einen Beitrag über »Die Ukraine und Europa«. Ihr Fazit lautete, »Europa« müsse endlich enger mit der Ukraine kooperieren, um den russischen Einfluß zurückzudrängen.

In den letzten Jahren hat sich die Ukraine-Position der NPD deutlich hin zur Partei Swoboda verschoben – parallel zu deren Erstarken. Kontakte bestehen, wie der Experte Anton Maegerle feststellte, seit 2008; 2009 erzielte Swoboda mit fast 35 Prozent bei den Regionalwahlen im westukrainischen Ternopil ihren ersten großen Durchbruch. Ende Mai 2013 besuchte eine Swoboda-Delegation die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag; von einer »Intensivierung der Zusammenarbeit« war die Rede. Die Deutsche Stimme hatte das Treffen durch ein Interview mit Sergij Nadal vorbereitet, dem Bürgermeister der Swoboda-Hochburg Ternopil. Nadal verlangte darin, die »Expansion europäischer Interessen« müsse jetzt »mit Hilfe der Ukraine bis an die Grenze Rußlands weitergehen«. Kontakt hielten NPD und Swoboda auch im Rahmen europaweiter Zusammenkünfte. So nahm etwa der Swoboda-Funktionär Taras Osaulenko im März 2013 an einer Konferenz in Stockholm teil, auf der auch der stellvertretende NPD-Parteichef Udo Pastörs sprach. Das Motto der Veranstaltung: »Vision Europa«.

Die Stockholmer Konferenz ist von der neonazistischen »Svenskarnas Parti« (»Partei der Schweden«) organisiert worden, die damals engere Bande zu Swoboda knüpfte. Mitte September 2013 traf man erneut aufeinander, diesmal im Rahmen des neofaschistischen »Boreal Festivals« im italienischen Cantù. Als die Maidan-Proteste heftiger wurden, wurden die Kontakte politisch wirksam: Die »Svenskarnas Parti« entsandte Aktivisten nach Kiew, um Swoboda bei ihren Umsturzbestrebungen zu unterstützen. Inwieweit die schwedischen Neonazis sich an paramilitärischen Gewalttaten beteiligt haben, ist bislang noch nicht geklärt. Einige von ihnen sollen auch nach dem Umsturz in der Ukraine verblieben sein, während andere, unter ihnen Parteifunktionär Andreas Carlsson, im Hochgefühl des Umsturzerfolgs nach Schweden zurückkehrten. Carlsson gehörte zu denjenigen Neonazis, die sich am späten Abend des 8. März in ein multikulturelles Viertel in Malmö wagten und dort auf Teilnehmer einer linken 8.-März-Demo einstachen. Die Opfer sind inzwischen wenigstens wieder außer Lebensgefahr.

Wenn der »Prawy Sektor« schon nicht in den »Großraum Leipzig« kommen kann – die »Svenskarnas Parti« wird ihn beim JN-»Europakongreß« würdig zu vertreten suchen. Angekündigt sind außerdem Neonazis aus Italien, der Schweiz, Belgien, Großbritannien, Dänemark und Tschechien. Die wohl einflußreichste faschistische Partei Europas, die Regierungspartei Swoboda, darf aus taktischen Gründen zur Zeit nicht offiziell bei der NPD auftreten. Mit der griechischen Chrysi Avgi (»Goldene Morgendämmerung«) wird aber eine Partei zugegen sein, die es an Stärke fast mit ihr aufnehmen kann.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. März 2014


"Auf der Todesliste des Rechten Sektors"

Der linke Aktivist Sergej Kiritschuk ist aus Kiew ins ostukrainische Charkow geflohen **

Sergej Kiritschuk ist Koordinator der linken ukrainischen Organisation Borotba (Kampf). Der 32-Jährige, in Kiew aufgewachsen, arbeitete beim Fernsehkanal Gamma-TV und in einer Import-Export-Firma. Wegen Todesdrohungen floh er mit einigen Genossen in die ostukrainische Stadt Charkow. Dort befragte ihn für »nd« Ulrich Heyden.

Wie sind Sie zu den Linken gekommen?

Das Leben in den 90er Jahren war sehr schwer. Mein Vater hatte eine hohe Stellung in einem sowjetischen Betrieb. Mitte der 90er kam er eines Tages mit einer Kiste Haarföns nach Hause. Man hatte die Belegschaft damals statt mit Geld mit den in der Firma hergestellten Waren entlohnt. Für meine Eltern war es unvorstellbar, die Föns auf der Straße zu verkaufen. Also schickten sie mich 14-Jährigen los. Auf dem Markt lernte ich Leute aus verschiedensten Berufen und gesellschaftlichen Gruppen kennen. Und ich lernte, wie man die Ware schnell in Sicherheit bringt, wenn die Polizei zur Kontrolle kommt.

Sie haben später studiert?

An der Nationalen Polytechnischen Universität (KPI) in Kiew habe ich marxistische Lehrer kennengelernt. Die Uni hat 30 000 Studenten und sehr gute demokratische, linke Traditionen. In einer Fakultät hing ein Lenin-Porträt. Das war damals ein Affront gegen den antikommunistischen Zeitgeist.

Wo haben Sie sich politisch organisiert

Ich bin zuerst in die Allukrainische Union der Arbeiter eingetreten. Das war eine militante, stalinistische Organisation, die Arbeiterproteste organisierte. 2000 trat ich in die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) ein. Bei den Präsidentschaftswahlen 1999 war der KPU-Vorsitzende Pjotr Simonenko gegen den damaligen Präsidenten Leonid Kutschma angetreten. Alle waren damals davon überzeugt, dass eigentlich Simonenko gesiegt hatte. Aber aufgrund von Wahlfälschung gewann Kutschma. Und Simonenko gratulierte Kutschma damals zum Sieg. Das war für viele eine Enttäuschung. Trotzdem blieb ich in der KPU und trat erst 2004 aus, als die Partei Viktor Janukowitsch unterstützte. Wir gründeten zunächst die Che-Guevara-Bewegung, und 2012 bildeten meine Freunde und ich die Organisation Borotba (Kampf). Darin vereinigten sich verschiedene Gruppen und Strömungen, nicht nur Leute aus der KPU, sondern auch solche, die sich einfach als linke Aktivisten verstanden.

Süden und Osten der Ukraine gelten als Hochburgen der Russen. Worum geht es bei den derzeitigen Auseinandersetzungen in dieser Region?

Die Menschen wollen ihre kulturellen Bedürfnisse befriedigen. Dazu gehört, in russischer Sprache zu sprechen, in der Sprache, in der sie immer gesprochen haben.

Also geht es um das Recht der ethnischen Russen?

Nein, es geht um das Recht des Volkes im Südosten der Ukraine. Das sind Ukrainer und Russen, die hier seit der industriellen Entwicklung dieser Region zusammenleben. Diese Entwicklung begann schon in der Zarenzeit. In der Sowjetzeit wurden hier wegen der Bodenschätze große industrielle Unternehmen errichtet, die heute nahezu das gesamte Bruttoinlandsprodukt der Ukraine erzeugen.

Wodurch wurden die jüngsten Auseinandersetzungen hier angestoßen?

Es begann mit dem Kampf um das Lenin-Denkmal. Anhänger des Maidan wollten es stürzen. Aber es ist so groß und fest verankert, dass man es selbst mit zwei Autos nicht zum Einsturz bringt. Die meisten Menschen, die für das Denkmal kämpfen, kennen die Ideen Lenins gar nicht. Sie regen sich einfach darüber auf, dass Leute aus der Westukraine kommen und hier Denkmäler von Soldaten des Zweiten Weltkriegs zerstören. Jeder fünfte Ukrainer starb in der Zeit der faschistischen Okkupation.

Und was hat es mit dem Sprachengesetz auf sich?

Der Beschluss der Rada, das Gesetz abzuschaffen, das Russisch und andere Sprachen zur zweiten Amtssprache in Regionen erklärte, in denen diese Sprache von mehr als zehn Prozent der Einwohner gesprochen wird, provozierte eine große Bewegung vor allem auf der Krim. Hätte die Junta in Kiew gesagt, dass man der Krim einen Autonomiestatus garantiert und die Entwicklung der russischen und der krimtatarischen Sprache erlaubt, hätte es nicht die Situation wie jetzt gegeben. Stattdessen haben sie in Kiew gesagt: Ihr müsst euch der Macht unterordnen, sonst schicken wir »Züge der Freundschaft«. Das sind Eisenbahnzüge mit Nationalisten. Das war für die Krim-Bewohner nicht hinnehmbar.

Übergangspräsident Turtschinow hat die Parlamentsentscheidung aber auf Eis gelegt.

Die Regierung kündigte an, ein neues Sprachengesetz auszuarbeiten. Aber in die entsprechende Arbeitsgruppe des Parlaments gingen vor allem Nationalisten. Das wäre in etwa so, als wenn in Deutschland in einem Parlamentsausschuss über die Rechte der türkischen Minderheit Abgeordnete der NPD säßen.

Was halten Sie von der Aktion »einen Tag Russisch sprechen« in Lwow?

Niemand glaubt an die Ehrlichkeit der Initiatoren. In Lwow sagt man: Sie können bei uns Russisch sprechen, niemand wird sie schlagen und diskriminieren. Aber auf Denkmäler für Stepan Bandera wollen sie nicht verzichten. Für sie war der Große Vaterländische Krieg kein Krieg zur Befreiung vom Faschismus, sondern ein Krieg zwischen Stalin und Hitler. Die Menschen in der Ostukraine werden diese Ansichten niemals teilen.

Gibt es Ihre Organisation auch in Lwow?

Wird müssen dort im Untergrund arbeiten. Vor dem Machtwechsel in Kiew konnte man noch mit sozialen Forderungen in Lwow demonstrieren.

Warum sind Sie und Ihre Freunde aus Kiew geflüchtet?

Ende Februar, unmittelbar nach dem Umsturz, wurde unser Büro in Kiew von 50 Leuten mit Knüppeln verwüstet. Wir wussten, dass es einen Überfall geben würde. Wenige Stunden vorher, hatten wir die Leute und alle wertvollen Gegenstände aus dem Büro evakuiert.

Waren Sie gewarnt worden?

Der Rechte Sektor hat uns gewarnt. Obwohl wir auch so wussten, dass es für uns gefährlich wird. Im Büro suchten sie nach Dokumenten und Mitgliederlisten. Sie haben jetzt die Aufgabe gestellt, »Feinde der Nation« zu vernichten. Und sie erstellen Listen. Manche unserer Genossen stehen auf der Todesliste.

Gewinnt Ihre Organisation neue Mitglieder?

Wir haben 1000 Mitglieder. Wir haben lange von der Gefahr gesprochen, die von Leuten wie Swoboda-Chef Oleg Tjagnibok ausgeht. Man hat uns nicht geglaubt. »Wo ist der Faschismus?«, haben die Leute gefragt. Jetzt, wo die Leute den Faschismus auf der Straße sehen, kommen sie zu uns.

Und was können Sie tun?

Wir sagen den Leuten, dass man einen Selbstschutz aufbauen muss. Wir sagen den Leuten, dass sie zu den Demonstrationen keine russischen Flaggen mitbringen sollen. Aber sie halten sich nicht daran. Das ist ein Problem. Denn die Propaganda aus Kiew tönt von morgens bis abends: »Während wir gegen Putins Intervention kämpfen, gibt es diese Verräter unserer Nation. Solange es diese Verräter gibt, ist die Nation in Gefahr.« Ich bekomme übers Internet Todesdrohungen. Natürlich stimmt es nicht, dass wir das Vaterland verraten. Viele Leute, die zu unseren Demonstrationen in Charkow kommen, lieben die Ukraine. Hier werden Ukrainer auch nicht beleidigt. Aber in Kiew auf dem Maidan springen sie und rufen: »Wer nicht springt, ist ein Moskal (Moskauer).« Auch im Ostteil der Ukraine gibt es chauvinistische Strömungen, die eine Vereinigung mit Russland fordern. Aber wir bemühen uns, dass das nicht zum Problem wird. Der Großteil der Menschen im Osten tritt jetzt für eine Föderalisierung der Ukraine ein.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. März 2014


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