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Die EU – der nützliche Idiot?

Antikommunismus und Antisemitismus als Leitfaden – ukrainische Nationalisten arrangieren sich stets klug

Von René Heilig *

In den westlichen Landesteilen der Ukraine wehen neben den blau-gelben Landesfarben ganz selbstverständlich schwarz-rote Fahnen. Es sind die der 1929 in Wien gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Unter den Schlagwörtern EU und Bürgerrechte werden dort Träume verwirklicht, wie sie Stepan Bandera (1909-1959) schöner nicht gehabt haben kann.

Bandera? Muss man den kennen? Zumindest jene Politiker, die jetzt Unterstützung für die Neuen in Kiew fordern und gewähren, sollten den prominentesten Anführer der 1929 in Wien gegründeten OUN kennenlernen – und erschrecken. Seine national-faschistischen Ideen gelten insbesondere in der Freiheitspartei »Swoboda« und beim militanten »Rechten Rand« als Anleitung. Man sollte auch mal nachschlagen unter Namen wie Dmytro Donzow, Wolodymyr Martiynez, Stepan Lenkawskyi, Jaroslaw Stezko, Andrij Melnyk, Jaroslaw Irschan und Mykola Lebed.

Sie alle markieren bestimmte Spielarten von ukrainischem Nationalismus, wie er sich nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte, sich vor und im Zweiten Weltkrieges zunehmend Hitlerdeutschlands Völkervernichtern andiente und sich nach 1945 im antikommunistischen Kampf der Westmächte hervortat. Vielfache Aufspaltungen der Ukraine, die Verdrängung ihrer historischen und religiösen Grundlagen, die Ausbeutung durch Nachbarmächte – all das schuf nach dem Ersten Weltkrieg neuen Nährboten für nationalistische Gedanken, die alsbald Anleihen bei faschistischen Ideologien nahmen. Man schürte den Hass auf Polen und Juden. Es ging laut OUN darum, einen unabhängigen Staat in den »ethnographischen ukrainischen Gebieten« zu errichten. Gehör fand sie vor allem in der Westukraine, in Ostgalizien und in Wolhynien, also in Gegenden, die nach dem ersten Völkerschlachten an Polen »gefallen« waren.

Die OUN versuchte, den polnischen Staat zu destabilisieren. Nach Guerilla-Art. Das erzeugte staatlichen Gegendruck, Polen brannte aufständische Dörfer nieder und zerstörte über griechisch-orthodoxe Kirchen. Ergebnis: Die OUN bekam Zulauf und setze Hoffnungen auf Nazi-Deutschland. OUN-Anführer, Andrij Melnyk versicherte im Mai 1939 dem deutschen Außenminister Ribbentropp, dass seine Organisation ihrer Weltanschauung nach zur selben Art von Bewegungen gehört, wie der deutsche Nationalsozialismus und der italienische Faschismus.

Jaroslaw Irschan, ein anderer OUN-Ideologe, hatte bereits ein Jahr zuvor betont: »Der ukrainische Nationalismus operiert mit dem Termin ›Nationalismus‹ in jener Bedeutung, wie der deutsche und italienische Nationalismus die Termini ›Nationalsozialismus‹ oder ›Faschismus‹ gebraucht.«

Als Moskau und Berlin sich geheim im Hitler-Stalin-Pakt geeinigt hatten, wurden Ostgalizien und Westwolhynien sowjetisch. Folglich sah die OUN in der Sowjetunion den Hauptfeind. Entsprechend reagierte Moskau und deportierte aus den besetzten Gebieten Hunderttausende Ukrainer. Auf der anderen Seite rekrutierte die Wehrmacht-Abwehr bereits Ukrainer für den Überfall auf die Sowjetunion.

Bandera seinerseits sammelte eigene Untergrundtruppen. Noch bevor die Wehrmacht im Sommer 1941 Lemberg (Lwiw) erreichte, waren seine Bewaffneten in der Stadt und richteten ein Massaker unter der jüdischen Bevölkerung an. Er bestehe »auf dem Punkt der Vernichtung der Juden und halte es für zweckmäßig die deutschen Methoden der Ausrottung der Judenheit in die Ukraine zu bringen, dabei ihre Assimilation ausschließend«, schrieb ein Jaroslaw Stezko im Sommer 1941.

Daran hatte die deutsche Führung nichts auszusetzen, wohl aber daran, dass Stezko sich am 30. Juni 1941 zum Präsidenten eines unabhängigen ukrainischen Staates erklärte. Hitler und SS-Chef Himmler, die in den Ukrainern allenfalls fremdländische Hilfswillige à la KZ-Wächter Demjanjuk (die es zahlreich gab) sahen, reagierten scharf. Stezko und Bandera wurde bis 1943 ins KZ Sachsenhausen gebracht.

Die inzwischen aufgebaute ukrainische Aufstandsarmee UPA ging in die Wälder, metzelte Polen, Rotarmisten, sowjetischen Partisanen oder ukrainische Bauern, die sich den Abgabeforderungen entziehen wollten, nieder. Für die UPA-Leute galten die ONU-Grundsätze in besonderer Weise. Einer lautete: »Behandle die Feinde deiner Nation mit Hass und ohne Rücksicht.« Über allem stand die Forderung: »Du wirst einen ukrainischen Staat erreichen oder im Kampf dafür sterben.« Parallel dazu wurde – unter tatkräftiger Hilfe des Melnyk-Flügels der OUN – die SS-Division »Galizien« aus ukrainischen Freiwilligen aufgestellt. Die Truppe jagte u.a. in Jugoslawien Partisanen. Die Einheiten ergaben sich als Ukrainische Nationalarmee am 8. Mai 1945 und wurden von den Westalliierten nach Italien transportiert. Eine Überstellung an die Sowjetunion lehnte man ab, viele SS-Strolche entschwanden in die USA und nach Kanada.

Bereits ab 1943 war für die OUN klar, dass Deutschland den Krieg verlieren wird. Das schien für den UPA-Chef Mykola Lebed der richtige Zeitpunkt, um wieder den Endkampf um den eigenen ukrainischen Staat zu eröffnen. Er befahl, das »ganze Gebiet von den polnischen Bewohnern zu säubern«. Und das tat man dann auch extrem blutig. Noch bis Mitte der 50er Jahre kämpften Banderas Untergrundeinheiten gegen die sozialistische Ordnung aus Moskau. Ebenso attackierte man in den Karpaten oder in Polen benachbarte Volksdemokratien. Dabei wurden sie vor allem von der amerikanischen CIA aber auch von der Organisation Gehlen, dem späteren BND unterstützt. Westliche Dienste setzten Hunderte Fallschirmagenten ab, selbst der KGB ist sicher, dass viele von ihnen bis heute unentdeckt als brave Bürger leben. UPA-Anführer Lebed übrigens diente nach dem Krieg der CIA. Washingtons Geheimdienst schützte den Massenmörder in den USA bis zu dessen Tod 1998.

Der ukrainische Nationalismus, wieder aufgeschwemmt nach dem Zerfall der Sowjetunion, könnte nach dem siegreichen Aufstand auf dem Kiewer Maidan seine ungezügelte Fortsetzung finden. Die EU ist dabei aus »Swoboda«-Sicht nicht viel mehr als der nützliche Idiot, der das notwendige sicherheitspolitische und ökonomische Gegengewicht zum nicht untätigen Nachbarn Russland schaffen kann.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. März 2014


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