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Schläger und Mordbrenner

Hintergrund. Mit roher Gewalt wurde die Putschregierung in der Ukraine an die Macht gebracht. Mit dem Brandanschlag auf das Odessaer Gewerkschaftshaus am 2. Mai erreichte die Eskalation bisher ihren Höhepunkt. Eine Chronik der Brutalität

Von Reinhard Lauterbach *

Für den Abend des 2. Mai war in Odessa ein Fußballspiel angesetzt. Der örtliche Erstligaklub »Tschernomorez« empfing die Mannschaft des Charkiwer »Metallist«. Etwa 1500 Fans beider Teams versammelten sich vor dem Spiel zu einem gemeinsamen Marsch »für die Einheit der Ukraine«. Doch statt im Stadion endete dieser Zug im größten Massaker, das die Ukraine seit dem Beginn des »Euromaidan« erlebt hat.

Alles begann mit Auseinandersetzungen zwischen »proukrainischen« und »prorussischen« Demonstranten am Nachmittag des 2. Mai. Am Griechischen Platz fielen Schüsse. Sie trafen Vertreter beider Gruppen. Wer sie abgefeuert hat, ist unklar. Die blau-gelbe Seite beschuldigt die »Separatisten«, angefangen zu haben. Anwohner berichten, daß mehrere hundert Polizisten aus Lwiw – der Nationalistenhochburg im Westen – nach Odessa abkommandiert worden seien. Sie hätten Uniform getragen und – ebenso wie schwerbewaffnete und maskierte Männer in Tarnanzügen im Innern der »proukrainischen« Demonstration – rote Armbinden. Die Zeugen vermuten, daß dies zur gegenseitigen Erkennung der beiden getrennt voneinander auftretenden Gruppen gedient hätte. Die Leute in den Tarnanzügen sollen nach anderen Zeugnissen aus der rechten Szene von Charkiw gekommen sein. Sie hätten sich unter die Fußballfans des dortigen Klubs »Metallist« gemischt. Ihre Herkunft aus der Ostukraine habe ihre Sprache verraten. Ihr Alter, die meisten waren in den Dreißigern, habe sie von den eigentlichen Fußballfans unterschieden. Der Versuch der Linken, den proukrainischen Marsch zu stoppen, war erfolglos; angesichts der Übermacht der Gegenseite mußten sie in ein Einkaufszentrum flüchten, in das die Rechten alsbald Molotowcocktails warfen. Offenbar angesichts des drohenden Schadens für eine Geschäftsimmobilie verhinderte am Griechischen Platz noch die Polizei, daß die Angriffe größere Ausmaße annahmen.

Vorbereitetes Pogrom

Hier entstanden einige der bestürzendsten Aufnahmen dieses Tages. Internetvideos zeigen fröhlich giggelnde Teenager mit um die Schultern geschlungenen blau-gelben Fahnen, wie sie Benzin in Flaschen füllen. Es ist zumindest sehr wahrscheinlich, daß die Aufnahmen am Griechischen Platz gemacht wurden. Im Bild sind Teile der Architektur des Einkaufszentrums – eines leicht zu identifizierenden runden Baus aus dem 19. Jahrhundert – zu sehen. Das ist bisher auch von niemandem bestritten worden. Jenseits allen moralischen Entsetzens über die Verrohung, die der Nationalismus schon bei Schulmädchen zeitigt, zeigen die Aufnahmen jedenfalls, daß die blau-gelbe Seite gewaltbereit war und konkrete Absichten hatte. Denn niemand läuft weitab jeder Tankstelle mit Benzinkanistern durch die Stadt, wenn er nichts mit ihnen vorhat, und niemand hat »mal eben« Dutzende leerer Flaschen zur Hand. Hier hatten Organisatoren vorgesorgt.

Als schweren Fehler betrachten örtliche Linke inzwischen, daß sich aus dem seit Wochen unbehelligt vor dem Gewerkschaftshaus stehenden Protestcamp des »Antimaidan« am frühen Nachmittag etwa 200 bis 300 Aktivisten in die Innenstadt begeben hätten, um die etwa zwei Kilometer entfernt stattfindende Demonstration von Anhängern der Putschregierung zu stoppen. Wer diese Parole ausgegeben hat, weiß in diesen Tagen niemand zu sagen. Alexej Albu, örtlicher Chef der linken Gruppe »Borotba«, sagte gegenüber jW, im nachhinein wäre es sicher am klügsten gewesen, die Rechten unbehelligt marschieren und sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. Es bleibt die Tatsache, daß die Provokation erfolgreich war. Nach Albus Angaben gab es keine einheitliche Leitung des Antimaidan. Das Protestcamp habe aus etwa zwölf Zelten bestanden, die von unterschiedlichen Gruppen genutzt gewesen seien. Jedes Zelt habe seinen eigenen Leiter gehabt, und so ganz genau habe man nicht gewußt, wer da wofür stehe.

Jedenfalls seien am späteren Nachmittag nach 17 Uhr plötzlich mehrere hundert Rechte auf das Protestcamp zugestürmt und hätten sofort Molotowcocktails in die Zelte geworfen. Vor dem ausbrechenden Feuer seien die Aktivisten in das vermeintlich sichere Gewerkschaftshaus geflohen. Abgesehen davon, daß die vor dem Haus stehenden Neofaschisten sofort Brandsätze ins Innere geworfen hätten, seien andere auch durch einen Seiteneingang in den Bau eingedrungen und hätten im Innern auf die Antifaschisten eingeprügelt. Albu sagt, er habe persönlich vor dem Seiteneingang einen Anführer der Rechten mit gezogener Pistole gesehen. In dieser Situation, berichtet Albu, der auch Abgeordneter des Gebietsparlaments ist, habe er den örtlichen Polizeichef angerufen und ihn aufgefordert, durch seine Beamten wenigstens eine Gasse bilden zu lassen, um Frauen und Ältere zu evakuieren. Der Polizeichef habe den Anruf zweimal weggedrückt. Später habe es dann tatsächlich eine Polizeigasse gegeben, allerdings im Innern durch Neofaschisten verstärkt, so daß die abziehenden Teilnehmer des Protestcamps hätten Spießruten laufen müssen und schwer mißhandelt worden seien.

Kiewer Interpretationskünste

Für die Odessaer Linken verstärkt sich der Eindruck einer mit der Staatsmacht abgekarteten Aktion dadurch, daß die Feuerwehr, deren Hauptwache unweit des Gewerkschaftshauses liege, trotz Notrufen nicht gekommen sei. Andere Zeugen berichten, die Löschmannschaften seien ausgerückt, aber von Rechten blockiert worden. Diese Darstellung bestätigte dieser Tage indirekt der Leiter des Katastrophenschutzes des Bezirks Odessa, Juri Bodelan. Nach seinen Worten hätte die Feuerwehr »wegen der Auseinandersetzungen vor dem Gebäude« nicht löschen können. Da sich die Antifaschisten nach dem Brand in ihrem Zeltlager sehr schnell ins Innere des Gewerkschaftshauses zurückgezogen hatten, muß diese Darstellung als indirektes Eingeständnis gelesen werden, daß es die Neofaschisten waren, die die Rettung der im Innern des Gebäudes Eingeschlossenen behinderten.

Viele Fragen wirft auch das Verhalten der Polizei auf. Unbestritten ist, daß sie während des Sturms auf das Gewerkschaftshaus durch Abwesenheit glänzte. Vertreter der Kiewer Machthaber warfen der Polizei vor, sie habe sich »nur um ihre eigene Bequemlichkeit« gekümmert, und wechselten nach dem Pogrom deren gesamte Führung aus. Örtliche Linke berichten, die Behörden hätten praktisch sämtliche Beamte vor dem Präsidium zusammengezogen, weit weg vom Geschehen vor dem Gewerkschaftshaus. Die Verantwortlichen räumen eine Konzentration von Polizei um das Präsidium ein, begründen sie aber mit der angeblich bestehenden Gefahr einer Besetzung des Gebäudes durch »Separatisten« nach dem Vorbild des Donbass. Jedenfalls war die Polizei nach dem Pogrom wieder auf den Straßen unterwegs, sonst hätte sie nicht knapp 70 Gegner der Kiewer Machthaber festnehmen können, die am Tag nach den blutigen Ereignissen durch wütende Demonstranten wieder aus dem Polizeigewahrsam befreit wurden.

Das Putschregime bezeichnete den Pogrom schnell als »nationale Tragödie«, um keine Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern mehr zuzulassen. Mit einer wesentlichen Ausnahme. Schon am Tag nach dem Brand präsentierte die Regierung eine Version, nach der unter den Opfern des Brandes etwa 25 Ausländer gewesen seien – Bürger Rußlands und der von Moldova abgespaltenen Republik Transnistrien. Diese Provokateure sollten nach Kiewer Darstellung auch im Innern des Gebäudes das Feuer gelegt haben. Die Version hat eine grundsätzliche und zwei relative Schwächen. Der grundsätzliche Zweifel beruht darauf, daß bis heute, fast drei Wochen nach den Ereignissen, kein einziger dieser angeblichen Provokateure tot oder lebendig präsentiert wurde. Soweit die Opfer identifiziert werden konnten, handelt es sich nach Angaben der Odessaer Justiz um ukrainische Staatsbürger mit Wohnsitz in der Stadt oder deren Umgebung. Um aber festzustellen, daß es sich um Russen oder Transnistrier gehandelt habe, hätte man ihre Leichen eben auch identifizieren müssen. Das bedeutet, auch der Umstand, daß nicht alle der Toten namentlich bekannt sind, kann die Kiewer These nicht stützen. Das zweite Argument, das die Version der Putschisten zumindest sehr in Zweifel zieht, ist die Frage, wie diese angeblichen Provokateure nach vollbrachter Tat aus dem von bewaffneten Rechten umstellten Gebäude hätten herauskommen sollen. Hätten die Kiewer Behörden einen solchen Russen wirklich in die Finger bekommen, hätten sie ihn mit Sicherheit wie eine Trophäe präsentiert, weil er ihre Hypothesen über den angeblich vom Ausland gesteuerten Charakter der Antimaidanproteste bestätigt hätte. Der dritte Zweifel an der These von den ausländischen Provokateuren beruht auf der Überlegung, daß 25 Geheimagenten Mittel und Wege kennen sollten, den Ort ihres Wirkens unerkannt zu verlassen, anstatt dort qualvoll umzukommen. Ähnlich überzeugend ist die Darstellung des erwähnten Katastrophenschützers Bodelan über ein angeblich im Innern des brennenden Gewerkschaftshauses eingesetztes spezielles Gas – die Antwort, welches es gewesen sei, blieb er ohnehin schuldig. Es sei so gewesen, beharrte er, schließlich hätten ja viele der eingeschlossenen Aktivisten den Kopf aus den Fenstern des brennenden Hauses gesteckt, um nach Luft zu schnappen.

Irreführend sind übrigens auch die offiziellen Angaben zu den Todesursachen der Opfer. Sie lauten durchgehend auf »Verbrennung«, »Rauchvergiftung« oder »Sturz« und übergehen so in einigen Fällen den durch Zeugnisse Überlebender belegten Umstand, daß etliche der Aktivisten, die nach dem Sprung aus den oberen Stockwerken verletzt am Boden lagen, von den rechten Schlägern mit Baseballkeulen und anderen Werkzeugen zu Tode geprügelt worden sind.

Vor allem aber versuchen die Kiewer Machthaber und deren Claquere, die westliche Presse, den Pogrom von Odessa systematisch aus dem Kontext zu reißen und es als ein isoliert dastehendes Ereignis darzustellen, das alle Seiten überrascht und bestürzt habe. Nichts davon ist wahr. Der sogenannte Euromaidan war von Anfang an ein Schauplatz rechter Gewalt.

Frühzeitiges Training

Bereits am 26. November 2013, fünf Tage nach dem Beginn der Proteste, schlossen sich mehrere kleinere rechte Gruppen wie »Dreizack«, »Ukrainische Nationalversammlung« und »Weißer Hammer« sowie Organisationen von Fußballhooligans zum »Rechten Sektor« zusammen. Noch am Tag der Gründung ließen Mitglieder der neuen Organisation keinen Zweifel an deren Absichten, als sie drei Aktivisten der »Konföderation unabhängiger Gewerkschaften« zusammenschlugen, ihnen mehrere Knochen brachen. Der Infostand, an dem die Gewerkschafter auf dem Maidan eine linke Kritik am Janukowitsch-Regime vortragen wollten, wurde zerstört. Im Mai 2014 traf der Autor auf dem Maidan in Kiew einen US-Bürger ukrainischer Abstammung namens Wasyl, der dem Journalisten aus »Freundesland« ganz unbefangen erzählte, er sei schon seit Frühjahr 2013 im Lande und habe eine Kampagne zum Sturz von Janukowitsch mitorganisiert, die dann, im November, im dritten Anlauf zur Massenbewegung geworden sei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Ab dem 30. November begannen Aktivisten der Swoboda-Partei und des Rechten Sektors im Stadtzentrum von Kiew, vollkommen unbehelligt von offiziellen »Ordnungshütern«, paramilitärisches Training für die Demonstranten anzubieten. Zu diesem Zeitpunkt hatte es noch keinen Polizeieinsatz gegen die Kundgebungsteilnehmer gegeben. Ab Anfang Dezember 2013 begannen die Versuche dieser Kräfte, Verwaltungs- und Polizeigebäude in ihre Gewalt zu bekommen. In der Woche vom 19. bis 25. Januar entfesselten Rechter Sektor und Swoboda-Partei einen bis dahin unbekannten Furor der Gewalt. Erstmals wurden Molotowcocktails auf Polizisten geworfen. Analysen des Brennstoffs ergaben, daß er durch den Zusatz weiterer Substanzen zu den traditionellen Bestandteilen Benzin und Dieselöl napalmähnliche Eigenschaften hatte. Gleichzeitig kam es zu einer neuen Welle von Besetzungen öffentlicher Gebäude in der faktisch von Nationalisten kontrollierten Westukraine. Vorrangig wurden Polizeiwachen und Kasernen angegriffen, um Waffen zu erbeuten. Polizisten und Soldaten leisteten nur in Einzelfällen Widerstand.

Am 14. Februar brannten rechte Aktivisten das Wohnhaus eines Abgeordneten der Partei der Regionen in Lwiw nieder. Am 18. Februar attackierten rechte Schläger die Zentrale dieser Partei in Kiew. Dabei wurden zwei Mitarbeiter ermordet: der eine in einem Kellerraum, in den die Täter einen Molotowcocktail warfen, den anderen stießen die Angreifer mehrere Stockwerke tief das Innere des Treppenhauses hinunter. Die Mitarbeiterinnen, die die Angreifer antrafen, wurden ihrer Kleidung beraubt, bekamen nationalistische Parolen in die Haut geritzt und wurden – bei strengem Frost – auf die Straße getrieben. Einen Tag später nahmen Aktivisten der »Maidan-Selbstverteidigung« in der westukrainischen Stadt Luzk den Gouverneur gefangen und fesselten ihn mit Handschellen an das Gestänge ihrer Bühne. Da er sich weigerte, »freiwillig« seinen Rücktritt zu erklären, übergossen ihn die Täter mit mehreren Litern Wasser und mißhandelten ihn. Anschließend wurde der Beamte entführt und seine Familie durch ein vor seinem Privathaus aufgezogenes Kommando junger Männer bedroht.

Ebenfalls am 19. Februar stoppten in der Nähe der südukrainischen Stadt Korsun im Gebiet Tscherkassy Demonstranten mit Fahnen der Swoboda-Partei und der Klitschko-Partei UDAR mit Schüssen eine Buskolonne, die Janukowitsch-Anhänger von einer Kundgebung in Kiew zurück auf die Krim transportierte. Die Insassen mußten die Busse verlassen und durch einen Korridor von Neofaschisten Spießruten laufen. Anschließend wurden sie mit Benzin übergossen und bedroht, man werde sie anzünden. Dabei erklärten die Rechten, auf die Krim würden sie auch noch kommen und mit ihren Gegnern »aufräumen« und sie »abstechen«. Schließlich raubten die Angreifer den Sympathisanten Janukowitschs deren Schuhe »für die Kämpfer des Maidan« und zwangen sie, barfuß oder auf Socken die um die Busse herumliegenden Glasscherben aufzusammeln. Die von den Bedrohten alarmierte Polizei zog es vor, nicht einzugreifen.

Am 22. Februar überfielen Anhänger des »Euromaidan« den Vorsitzenden der Stadtorganisation der KPU in Lwiw, Piotr Wasilko. Nach Augenzeugenberichten trieben sie ihm Nadeln unter die Fingernägel, brachen ihm drei Rippen und mehrere Knochen im Gesicht und durchstachen seinen rechten Lungenflügel. Am selben Tag attackierten Maidan-Aktivisten in Kiew mehrere Büros der Leitung der KPU und verwüsteten diese. Ähnliche Angriffe gab es in den darauffolgenden Tagen in mehreren Städten der Ost- und Zentralukraine.

Gewöhnliche Kriminelle

Neben physischem Terror gegen politische Gegner versuchen die rechten Aktivisten des »Euromaidan« auch, von der nicht politisch engagierten Bevölkerung Unterwerfungsgesten zu erzwingen. Ein Muster wiederholt sich seit Februar immer wieder: eine Gruppe Rechter ruft an Orten wie Busbahnhöfen, wo sich viele Menschen aufhalten, demonstrativ ihre Parole »Ruhm der Ukraine«. Wer den rituellen Gegengruß »Den Helden Ruhm« verweigert, wird verprügelt. Solche Vorfälle häuften sich im Februar und März in Dnjepropetrowsk, wo der Oligarch Igor Kolomojskij die Polizei offenbar angewiesen hat, bei solchen Vorfällen wegzuschauen. Bezeugt sind sie auch aus Charkiw und Poltawa. In Donezk wurde am 13. März bei einem Überfall auf Einwohner, die von einer Demonstration gegen die Kiewer Machthaber zurückkehrten, ein Mann mit Knüppeln totgeschlagen, viele weitere wurden verletzt.

Kaum hatte die neue Staatsmacht in Kiew das Ruder übernommen, verlegte sich der Rechte Sektor auch auf gewöhnliche Kriminalität. So fordert er seit Ende Februar von Geschäftsleuten Schutzgeld. Für einen Aufkleber »Bewacht vom Rechten Sektor« verlangen die Erpresser zwischen 10000 und 25000 Dollar. In Kiew besetzten Bewaffnete Ende Februar das Filmproduktionszentrum und verlangten die Herausgabe der in der Requisite gelagerten Kriegswaffen. In Winniza überfielen mehrere hundert Mitglieder der Gruppierung die örtliche Schnapsfabrik und taten sich an ihren Vorräten gütlich. Bei einem ähnlichen Vorfall im März in der Nähe von Kiew zog es die herbeigerufene Polizei vor, mit den Destilleriebesetzern ein nächtliches Gelage zu veranstalten und sie ansonsten in Ruhe zu lassen. Am 9. März erschossen Kämpfer des »Rechten Sektors« in einem Café in Charkiw einen örtlichen Geschäftsmann; ein anderer Besucher kam ebenfalls ums Leben. Am 21. März überfielen Aktivisten in Uniformen der »Ukrainischen Aufstandsarmee« – des bewaffneten Arms der Organisation Ukrainischer Nationalisten während des Zweiten Weltkriegs – auf dem Bahnhof von Winniza den regulär dort haltenden Schnellzug von Moskau in die moldawische Hauptstadt Chisinau. Sie verlangten von den Reisenden ihre Ausweise und beraubten alle russischen Staatsbürger, die sie antrafen, ihrer Habseligkeiten. Die Polizei weigerte sich, Strafanzeigen der Beraubten entgegenzunehmen. Die Liste läßt sich fortsetzen.

Manche antifaschistisch gesinnten Kommentatoren in BRD haben eine Parallele zwischen dem Datum des Pogroms von Odessa am 2. Mai und der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die SA am 2. Mai 1933 sehen wollen. Das ist sehr unwahrscheinlich. Denn der 2. Mai 1933 in Deutschland ist im Geschichtsbewußtsein der Ukrainer kein mit irgend etwas assoziiertes Datum. Wenn die Eskalation der Gewalt seitens der offiziellen und inoffiziellen Truppen des Kiewer Regimes eine symbolische Dimension haben sollte, dann eher die, den Gegnern des Maidan vor dem für sie wichtigen »Tag des Sieges« am 9. Mai eine demonstrative Niederlage beizubringen. Als die Nationalgarde ausgerechnet am 9. Mai in Mariupol einfiel, hatte das mit Sicherheit auch diesen Aspekt. Geschichte wiederholt sich nie im buchstäblichen Sinn. Aber Stadien vergleichen darf man. Wäre die Ukraine von 2014 Deutschland, dann am ehesten das des Jahres 1932.

Die hier aufgelisteten Gewalttaten finden sich ausführlich dokumentiert in einem vom russischen Außenministerium herausgegebenen »Weißbuch der Menschenrechtsverletzungen und der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine (November 2013 – März 2014)«. Online unter: kurzlink.de/JklZCB1HR



* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Mai 2014


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