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Weniger Arbeit und höhere Preise in Donezk

Betriebe in der Ostukraine produzieren »fast nichts mehr« – Gespräch mit einem Aktivisten der »Volksrepublik«

Von Ulrich Heyden, Moskau *

Weniger Arbeit und steigende Preise plagen die Ostukraine, weil zwischen Russland und der Ukraine ein Handelskrieg ausgebrochen ist. Das berichtet Alexander Golubizki, Aktivist der »Donezker Republik«.

Städte und Ortschaften in der Ostukraine sind hart umkämpft. »Die Situation ändert sich jede Minute«, sagt Alexander Golubizki am Telefon. Geschäftsmann und Aktivist, lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern in Charzysk. Die Stadt mit ihren 100 000 Einwohnern liegt 20 Autominuten östlich von Donezk.

In Charzysk ist es zu Wochenbeginn noch ruhig. Es sei kein Militär in der Stadt, erzählt Golubizki. Rund um die Stadt gebe es Verkehrskontrollposten der »Selbstverteidigungskräfte«. Deren Aufgabe sei es, Militärfahrzeuge und andere »feindliche Fahrzeuge« zu melden. Golubizki betreibt am Asowschen Meer, 120 Kilometer südlich der Stadt, einen Jachtverleih. Sobald sich Militär nähere, trete im Stab ein Aktionsplan in Kraft, erzählt der Aktivist.

»Die Kinder spüren den Wandel«

Ob seine Frau und seine beiden kleinen Kinder keine Angst hätten? Der Aktivist überlegt einen Moment: »Nein, wir sind Patrioten. Wir haben keine Angst. Wir sind Soldaten.« Und die Kinder? »Sie sind natürlich noch klein. Aber sie spüren, dass es einen Wandel gibt.«

Die Erfolge der ukrainischen Streitkräfte seien nur von kurzer Dauer, ist der Gesprächspartner überzeugt. »Heute besetzen sie eine Stadt, morgen werden sie wieder vertrieben. So läuft das.« Wie er sich informiere? Über eine Satellitenantenne empfange er russische Fernsehkanäle. Außerdem gebe es das ukrainische Fernsehen. Ansonsten informiere er sich über das Internet und über den Stab, der das Referendum am 11. Mai über die Volksrepublik Donezk vorbereite. Golubizki nimmt selbst an den Vorbereitungen der Abstimmung teil. Der Stab ist im Gebäude der Gebietsverwaltung untergebracht. Das sei keine Besetzung, meint er. »Wir gehören ja zur Bevölkerung.«

Wie sich die Militäroperation auf den Alltag der Menschen auswirke? »Wissen Sie, eigentlich kaum. Das einzige ist, dass die Preise steigen.« Benzin, Lebensmittel und Wohnnebenkosten seien im Schnitt um 25 bis 30 Prozent gestiegen. Auch die Arbeitslosigkeit klettere unaufhörlich, weil die Betriebe »fast nicht mehr produzieren«. Nach Angaben ukrainischer Internetportale ist die Produktion des Maschinenbaus im letzten Monat um 40 Prozent zurückgegangen.

Wie die Bevölkerung reagiere? »Die Menschen protestieren. Sie erkennen die Macht in Kiew nicht an. Sie hoffen, dass wir unsere ökonomische Basis verbessern können, wenn wir unabhängig sind.« 75 Prozent der im Gebiet Donezk hergestellten Waren gingen bisher zu den russischen Nachbarn. Russland kaufe aber immer weniger. Kiew habe gegenüber Moskau einen Handelskrieg ausgerufen. Die Lieferung von Einzelteilen für die russische Rüstungsindustrie sei eingestellt worden.

Mehrheit ist für das Referendum

70 bis 80 Prozent der Menschen in den Städten des Donezker Gebiets unterstützten die Idee des Referendums, glaubt der Geschäftsmann. Wie die Stimmung in der Stadtverwaltung sei? Es gebe drei Gruppen. »Ein Teil unterstützt uns, ein Teil ist unentschlossen und ein Teil ist kategorisch gegen uns.« Das wichtigste sei jetzt, dass das Referendum »ohne Provokationen« durchgeführt werden könne. An der Vorbereitung beteiligten sich besonders Lehrer, Ärzte und Studenten. »Das ist eine richtige Papierarbeit.«

In den Gebieten der Ostukraine, die unter Kontrolle der Aufständischen stehen, soll am 11. Mai nur über eine einzige Frage abgestimmt werden: »Unterstützen sie den Akt über die staatliche Unabhängigkeit der Volksrepublik Donezk?« Die Republik wurde bereits am 7. April gegründet. »Wenn die Mehrheit dagegen stimmt, bleibt das Gebiet Donezk Teil der Ukraine,« sagt Alexander.

Wie bei so vielen Menschen in der Ostukraine fließt in seinen Adern das Blut verschiedener Völker. »Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter Russin.« Seine Frau sei ukrainischer Abstammung. Trotzdem fühle man sich eher zu Russland hingezogen als zu Kiew. Dort säßen Faschisten in der Regierung.

»Man will uns vergiften« Von Kiew ist Alexander Golubizki schon länger enttäuscht. Auch von dem davongelaufenen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der habe mit dem Unternehmen Shell einen Vertrag über die Förderung von Schiefergas in den Gebieten Donezk, Charkow und Lugansk abgeschlossen. Doch die Förderung von Schiefergas grenze an einen »Völkermord«, schimpft Alexander. »Als ich begonnen habe, mich mit dem Schiefergas-Projekt zu beschäftigen, habe ich verstanden, dass man uns vergiften will.« Insgesamt sollen 40 000 Bohrungen niedergebracht werden. Millionen Liter Wasser, die zur Förderung gebraucht werden, würden vergiftet. Doch russisches Gas könne man viel billiger als Schiefergas bekommen.

Die Bohrarbeiten seien aber seit Wochen unterbrochen. Das Projekt Schiefergas habe ihm den Anstoß gegeben, sich für die »Donezker Republik« zu engagieren, sagt Alexander. Es sei besser, russisches Gas zu kaufen, als die Umwelt und die Zukunft der Kinder zu zerstören, meint der Unternehmer, der auch in der Umweltbewegung aktiv ist.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. Mai 2014


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