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24 oder 48 Stunden?

Ukraine verzögert Abzug weiter. "Nützliches" Ministertreffen in Paris. Polnischer Politiker erhofft "Durchbruch" bei Waffenlieferungen an Kiew

Von Reinhard Lauterbach *

Im Donbass ist weiterhin unklar, ob der vereinbarte Abzug der schweren Waffen von der Front vonstatten geht oder nicht. Während die Aufständischen erklärten, der Rückzug sei im Gange, verneinte dies der ukrainische Armeesprecher Andrej Lissenko für seine Seite. Davon könne erst die Rede sein, wenn die Waffen 48 Stunden lang geschwiegen hätten, sagte Lissenko.

Zuvor hatte Kiew eine Waffenruhe von 24 Stunden verlangt. Lissenko bestätigte indirekt die gegnerischen Angaben, behauptete allerdings, es handle sich nicht um einen »planmäßigen Abzug«, sondern um eine Umgruppierung. Er warf den Aufständischen vor, ihre schweren Waffen in »gut getarnten Stellungen« im »Privatsektor« unterzustellen, d. h. zwischen Einfamilienhäusern ostukrainischer Ortschaften. Wie es dort möglich sein soll, getarnte Stellungen für Panzer und anderes schwere Gerät anzulegen, erläuterte Lissenko nicht. Die Behauptung von den schweren Waffen mitten in Wohnsiedlungen ist dagegen geeignet, schon jetzt erneuten Artilleriebeschuss derselben zu rechtfertigen.

Auch der für den gestrigen Dienstag vereinbarte Abtransport gefallener ukrainischer Soldaten vom Gelände des ehemaligen Donezker Flughafens kam nicht zustande. Die regionale Vertretung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz teilte mit, die ukrainische Seite habe sich geweigert, Sicherheitsgarantien für das Rettungspersonal und Beobachter von OSZE und Rotem Kreuz abzugeben.

In Paris trafen sich die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine zu einer dreistündigen Konferenz über die Umsetzung des Waffenstillstands. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte anschließend, das Treffen sei »nützlich« gewesen, und rief die Ukraine auf, den Abzug ihrer schweren Waffen nicht weiter zu verzögern. In Polen erklärte der frühere Außenminister und jetzige Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski, im Fall einer Eroberung der Stadt Mariupol durch die Aufständischen müsse der Westen seine »psychologischen Barrieren« gegen Waffenlieferungen an die Ukraine überwinden.

In der Ukraine verläuft die Mobilisierung neuer Soldaten für den Krieg im Donbass weiter schleppend. Nach Berichten regionaler Medien sind allein im westukrainischen Bezirk Iwano-Frankiwsk 8.000 Männer im wehrpflichtigen Alter untergetaucht oder ins Ausland geflohen. In Cherson in der Südukraine ordnete der regionale Gouverneur an, die Namen derjenigen Männer, die sich der Einberufung entzögen, in der Lokalpresse zu veröffentlichen. Der Geheimdienst SBU drohte Internetnutzern für kritische Äußerungen über die Mobilisierungskampagne bis zu acht Jahre Gefängnis an. Das ist mehr als das Strafmaß für Kriegsdienstverweigerung selbst, dieses liegt bei zwei bis fünf Jahren Haft.

Die britische Zeitung Sunday Times berichtete am Wochenende, die Kampfmoral der ukrainischen Armee sei miserabel. Ein Brite ukrainischer Herkunft, der Einheiten der Nationalgarde trainiert hatte, wurde mit der Aussage zitiert, den Soldaten fehle es an allem. 60 Prozent der Verluste entstünden durch Beschuss von eigener Seite (»Friendly fire«), und die Führung sei inkompetent oder gelähmt. Den geringsten Kampfwert hätten jene Einheiten, die sich aus Maidan-Aktivisten zusammensetzten. Sie glaubten, durch das Werfen von Molotowcocktails auf dem Maidan für einen modernen Krieg qualifiziert zu sein, so der offenbar über die neuen Bündnispartner zutiefst verärgerte ehemalige Angehörige einer Eliteeinheit des britischen Militärs.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. Februar 2015


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