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Flug MH17 "von Objekten durchbohrt"

Erster Zwischenbericht zur Absturzursache über der Ostukraine vorgelegt

Von René Heilig *

Der Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine vor knapp sieben Wochen ist nach Auffassung niederländischer Ermittler durch Einwirkung von außen verursacht worden.

Am Dienstag wurde ein erster Zwischenbericht des zuständigen Onderzoeksraad voor Veiligheid (OVV) über Absturzursachen der Malaysia-Airline-Boeing am 17. Juli veröffentlicht. Die 34 Seiten können niemanden zufriedenstellen. Schon gar nicht die Ermittler selbst. Sie stellen fest, dass es keinerlei Hinweise auf technisches Versagen oder fehlerhafte Handlungen der Besatzung gebe. Auch das Wetter kann keine Probleme bereitet haben.

Was die Experten zur Absturzursache mitteilen, ist dürftig. Die Boeing 777-200 mit 298 Menschen an Bord sei von »Objekten durchbohrt« worden und zerbarst »während des Fluges in mehrere Teile«. Indirekt wird damit die These gestützt, laut der die zivile Linienmaschine mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde.

Die Ermittlergruppe habe bislang keine Wrackteile der abgestürzten Boeing untersuchen können, betonen die Autoren des Berichts. Das weiträumige Gebiet, in dem Trümmer verstreut liegen, ist zwischen ukrainischen Truppen und den Rebellen des Donezker Gebietes weiter umkämpft. Mehrfach ausgerufene territoriale Waffenstillstände wurden nicht eingehalten. OVV weist jedoch darauf hin, dass Fotos von Trümmerteilen zeigen, dass die Maschine an mehreren Stellen durchsiebt wurde und auseinanderbrach.

Die Gefahr muss schlagartig über die Maschine gekommen sein. Auswertungen der Gespräche im Cockpit, die gespeicherten Daten des Flugrekorders sowie die Aufzeichnungen der Flugsicherung hätten keinerlei Hinweise auf eine Notsituation an Bord ergeben. Die Crew habe keinen Notruf an die ukrainische Flugsicherung abgesetzt. Dagegen seien Ansprachen der Flugsicherung ab 15.20 Uhr von der Besatzung der Boeing schon nicht mehr beantwortet worden.

»Der Absturz von Flug MH17 hat die Welt schockiert und viele Fragen aufgeworfen«, sagte OVV-Chef Tjibbe Joustra in einer auch per Video verbreiteten Einleitung zum Bericht. »Es werden weitere Ermittlungen nötig sein, um diese genauer zu benennen.« Seine Behörde glaube, dass dazu bald zusätzliche Beweismittel verfügbar sein werden. Immerhin hatten die USA, die Ukraine, aber auch die Bundesregierung angedeutet, dass es weitere Hinweise auf den Abschuss und die Täter gebe.

Die OVV-Experten hatten nicht die Aufgabe, eine Anklage zu formulieren. Sie konnten nur in den Bericht schreiben, was alle an der internationalen Untersuchung beteiligten Behörden gebilligt haben. Das erklärt manche diplomatische oder unscharfe Formulierung.

Kurz vor der Vorstellung des Berichts hatte der malaysische Premierminister Najib Razak getwittert: »Heute bringen wir zwei weitere Opfer von Flug MH17 nach Hause.« Damit sind nach offiziellen Angaben nun die sterblichen Überreste von 34 der 43 malaysischen MH17-Passagiere in die Heimat überführt worden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 10. September 2014


Wer schoß MH17 ab?

Kaum neue Erkenntnisse: Bericht des niederländischen Untersuchungsrates für Sicherheit zum Abschuß der malaysischen Verkehrsmaschine über dem Donbass

Von Gerrit Hoekman **


Wer schoß Flug MH 17 über dem Donbass ab? Die Aufständischen, wie vom Westen behauptet, oder doch die ukrainische Armee? Auf diese Frage gibt auch der Zwischenbericht erwartungsgemäß keine Antwort, den der niederländische »Onderzoeksraad voor Veiligheid« (Untersuchungsrat für Sicherheit) am Dienstag auf seiner Internetseite veröffentlichte. Die Ermittler präsentieren vor allem Tatsachen, die bereits lange bekannt sind. Die Außenwand der Maschine weise hauptsächlich im Bereich des Cockpits zahlreiche Löcher auf, die einen Abschuß wahrscheinlich machten. Die Geschosse seien mit hoher Geschwindigkeit oberhalb des Bodens der Pilotenkanzel eingeschlagen.

Die malaysische Boeing 777 mit 298 Menschen an Bord sei daraufhin bereits in der Luft auseinandergebrochen und zwar in der Nähe der Pilotenkanzel, die deutlich früher auf dem Boden aufgeschlagen ist. Für die These des Auseinanderbrechens in der Luft sprechen auch die weiträumige Lage der Wrackteile und der Umstand, daß die Crew keinen Notruf abschickte. Die Maschine verschwand einfach vom Radar.

Wodurch die Zerstörung des Flugzeugs verursacht wurde, sagen die Ermittler nicht. »Die ersten Resultate der Untersuchung weisen auf eine externe Ursache des Crashs von MH17 hin. Um genauer festzustellen, was die Ursache war, muß noch mehr untersucht werden«, erklärt der Vorsitzende Tjibbe Joustra in der niederländischen Presse. Mit einer abschließenden Beurteilung sei deshalb nicht vor nächsten Sommer zu rechnen. Die Wrackteile liegen immer noch in der Ostukraine, und dort ist der Rat bis heute nicht gewesen. Deshalb mußte er seine Einschätzung anhand von Fotos und nach Anhören des Stimmenrecorders abgeben.

»Es sind keine Beweise oder Indi­zien gefunden worden, daß die Rekorder manipuliert worden sind«, stellt der Rat außerdem fest. Westliche Medien und die ukrainische Regierung hatten die Rebellen und Rußland kurz nach der Tragödie beschuldigt, die Geräte beiseite geschafft zu haben, um deren Inhalt zu verändern. Ein Propagandareflex, wie der Onderzoeksraad nun nebenbei offenlegt.

Interessanter als das Geschriebene ist das, was nicht im Bericht steht. Zum Beispiel geben die Ermittler keine Erklärung dafür, warum einige der Einschußlöcher von außen nach innen gebogen, andere aber von innen nach außen, also Austrittslöcher sind. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß sie vom Maschinengewehr eines Kampfjets herrühren. Andererseits könnte die unterschiedliche Größe der Einschläge auf die Splitter eines Flugkörpers hindeuten. Laut dem Untersuchungsrat seien aber nur zivile Maschinen zu dieser Zeit im Luftraum gewesen.

»Es gibt eine hohe Zahl von Widersprüchen in der ukrainischen Version, und der Report bestätigt dies nur«, reagierte Rebellenführer Miroslaw Rudenko auf den Bericht aus Den Haag. »Es ist offensichtlich, daß es eine Provokation der ukrainischen Armee war, um Rußland und die Volkswehr zu diskreditieren.« Das meldet dpa unter Berufung auf Interfax.

In den Niederlanden, die bei dem Absturz die meisten Opfer zu beklagen haben, übt unterdessen die Sozialistische Partei Kritik am Bericht des Onderzoeksraad. »Es sind keine militärischen Quellen herangezogen worden, die sehr wohl verfügbar sein müssen«, sagt ihr Parlamentsabgeordneter Harry van Bommel. Immerhin werde die Region doch von AWACS-Flugzeugen überwacht, die natürlich auch den zivilen Luftraum abdecken.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 10. September 2014


Viele offene Fragen

Zwischenbericht zum MH-17-Abschuß

Von Rainer Rupp ***


Der Zwischenbericht des niederländischen Sicherheitsrats zum Absturz des Flugs MH17 ist nichtssagend. Je nach Interessenlage bietet er Nahrung für alle möglichen Interpretationen. So ist zu erklären, daß russische Medien wie zum Beispiel RT sich erst einmal zufrieden zeigen. Und auch die russische Luftfahrtbehörde stellt fest, der Bericht markiere »den Beginn einer gründlichen Untersuchung des Absturzes«. Laut den Ermittlungen ist die malaysische Boing 777 in der Luft auseinandergebrochen, »nachdem die Maschine von außen durch zahlreiche schnell fliegende Objekte durchlöchert« wurde. Folgerichtig geht auch der malaysische Ministerpräsident Najib Razak in einer ersten Kommentierung des Reports davon aus, daß »MH17 von einer Boden-Luftrakete heruntergeholt wurde«.

Mit dieser Vorgabe des Zwischenberichts wird praktisch bereits festgeschrieben, daß nur ein Raketenabwehrsystem vom Typ BUK bzw. SA-11 für den Abschuß von MH17 in Frage kommt. Das hat natürlich sofort wieder die antirussischen Vorurteile vieler westlicher, insbesondere US-amerikanischer Medien bestärkt, wonach nur die Russen oder die »prorussischen Separatisten« in der Ostukraine als Schuldige für den Massenmord in Frage kommen, am besten beide. Allerdings gehen die westlichen Medien inzwischen kaum noch von einem absichtlichen Abschuß aus, was bereits ein kleiner Fortschritt ist. Daß womöglich kriminelle Elemente, von denen es in der von Faschisten mit gebildeten Regierung in Kiew keinen Mangel gibt, mit einer Operation unter falscher Flagge vor der Weltöffentlichkeit Rußland und den Volksmilizen in der Ostukraine die Schuld für den Tod von 298 Menschen in die Schuhe schieben wollten, diese Frage wird nach wie vor im Westen nicht gestellt – obwohl doch die ukrainischen Faschisten von dieser Tragödie am meisten profitiert haben.

Nachzuhaken gilt es bei all dem, was nicht im holländischen Bericht steht: Was ist mit dem kleinen Flugzeug (wahrscheinlich ein Jäger), das sich laut russischen Radaraufzeichnungen zum Zeitpunkt des Abschusses in der Nähe von Flug MH17 aufgehalten hat? Warum hat die ukrainische Flugkontrolle den Flug MH17 um 200 Kilometer von der Routineroute nach Norden verlegt, direkt über die umkämpfte Krisenregion? Auch die Tatsache, daß am Tag der Tragödie die ukrainische Armee nachweislich BUK-Raketen in der Nähe des Absturzortes ins Feld geführt hatte, wie russische Luftaufnahmen belegen, bleibt unerwähnt. Damit wurde MH17 den ukrainischen BUK-Raketen praktisch vors Visier geführt. Auch über den Verbleib der Tonbänder mit den Gesprächsprotokollen zwischen der Flugsicherung in Kiew und den MH-17-Piloten verliert der Bericht kein Wort. Der Geheimdienst der Ukraine hatte die Bänder unmittelbar nach dem Absturz beschlagnahmt. Aber warum waren die so wichtig, wenn laut Zwischenbericht die Black Box der MH17 nur nichtssagende Kontakte zwischen den Piloten und der Flugleitstation Dnipropetrowsk aufgezeichnet hat?

*** Aus: junge Welt, Mittwoch 10. September 2014 (Kommentar)


MH17-Bericht ist kaum mehr als nichts

Auch Deutschland mauert

Von René Heilig ****


Wohl kaum jemand hatte von dem am Dienstag vorgelegten ersten Zwischenbericht zum Absturz der malaysischen Boeing Antworten auf die Schuldfrage erwartet. Doch die nach dem Abschuss am 17. Juli erfolgten blitzartigen Schuldzuweisungen aus den USA und anderen NATO-Staaten an die sogenannten Separatisten sowie die »Retourkutschen« Moskaus Richtung Kiew ließen weitaus bessere Aufklärungsbefunde erwarten.

Einige Fehlstellen im Bericht sind eklatant. Es gibt keinerlei Daten der Satellitenaufklärung. Wo sind die Aufzeichnungen der militärischen und zivilen Primärradaranlagen? Nur so kann man feststellen, ob zur Absturzzeit andere, nicht-zivile Maschinen im Luftraum waren. Nicht vom Tisch ist so die Behauptung der russischen Seite, eine ukrainische Buk-Raketen-Batterie habe mit einem ukrainischen Suchoj-Jagdbomber geübt. Der scharfe Start einer Rakete könnte somit ein tragischer Unfall gewesen sein.

Es gibt keinerlei relevante Vor-Ort-Ermittlungen. Man hat das Absturzgebiet nie von unabhängigen Experten absuchen lassen können. Die wären womöglich auf Reste der vermuteten Abschusswaffe, einer Boden-Luft-Rakete, gestoßen. Es fehlen Materialanalysen, niemand hat mögliche Sprengstoffreste gesucht. Das Gepäck wurde nicht nach Fremdmaterialien wie Splittern durchforscht. Auch sind Obduktionsergebnisse, die auf Todesart und -ursache der 298 Passagiere schließen lassen könnten, ausgeblendet.

Die Liste der unbeantworteten Fragen bleibt lang. Sie wächst durch die bruchstückhafte Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion. Darin wird erwähnt, dass AWACS-Aufklärer der NATO ein nicht zuzuordnendes Radarsignal aufgefangen hätten, das automatisch als ein SA-3-Raketensystem identifiziert wurde. Offenkundig verfügt Deutschland über weitere bislang geheime Erkenntnisse. Doch deren Weitergabe verweigert die Regierung, weil das »nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten« hätte. Sachbezogene Aufklärungsarbeit geht anders.



* Aus: neues deutschland, Mittwoch 10. September 2014

Beschwerdeausschuß 2 des Deutschen Presserats: Opferfotos instrumentalisiert

Der Deutsche Presserat hat 30 Beschwerden zur Berichterstattung über den Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine behandelt. In einer Stellungnahme vom 9. September stellt er fest, daß der Opferschutz verletzt wurde:

Der Beschwerdeausschuß 2 des Deutschen Presserats hat sich in seiner heutigen Sitzung mit 30 Beschwerden zur Berichterstattung über den Absturz des Fluges MH 17 beschäftigt.

Das Gremium stellte klar, daß identifizierende Abbildungen von Opfern in der Regel nicht mit dem Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 vereinbar sind. »Die Argumentation einiger Medien, den Opfern ein Gesicht zu geben, ist nachvollziehbar, dennoch: Nur weil jemand zufällig Opfer eines schrecklichen Ereignisses wird, darf er nicht automatisch mit Foto in der Presse gezeigt werden«, sagte Ursula Ernst, Vorsitzende des Ausschusses.

So erhielt Bild online eine Mißbilligung für die Berichterstattung »Ruhet in Frieden!«, erschienen am 23. Juli 2014. Darin wurden Opfer gezeigt, deren Fotos mit zahlreichen Details aus ihrem Privatleben angereichert wurden. Ein öffentliches Interesse am Abdruck dieser Bilder bestand nicht. Ebenfalls sanktioniert wurden Veröffentlichungen im Stern (»Angriff auf uns«) und auf Bunte online (»Diese Familie wurde ausgelöscht«). Auch hier waren identifizierende Fotos von Opfern bzw. einer Opferfamilie ohne Genehmigung erschienen. Mit Blick auf die weniger detaillierte Darstellung wurde hier jeweils ein Hinweis erteilt.

Eine Mißbilligung erhielt zudem Der Spiegel für die Veröffentlichung der Titelseite »Stoppt Putin jetzt!«, erschienen am 27. Juli 2014. Aus Sicht des Ausschusses wurden die Opferfotos auf der Titelseite für eine politische Aussage instrumentalisiert. Damit wurde auch hier der Opferschutz verletzt. 18 Leser hatten sich über die Veröffentlichung beschwert.

In weiteren Beschwerden ging es um die Abbildung von Leichenteilen im Trümmerfeld. Diese Fotos sind nicht unangemessen sensationell, urteilte der Ausschuß. (...)

(Dokumentiert in jW, 10.09.2014)




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