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Blick nach Westen

Ukraine strebt EU-Beitritt in nächsten zehn Jahren an. Gute Nachbarschaft zu Rußland bei "gegenseitigem Respekt"

Von Tomasz Konicz *

Anläßlich des 20. Jahrestages der Unabhängigkeit seines Landes publizierte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch einen politischen Grundsatzartikel, der insbesondere die geopolitische Neuausrichtung Kiews reflektiert und sowohl in Moskau wie auch in Brüssel aufmerksam studiert werden dürfte. »Trotz etlicher Schwierigkeiten ist der wichtigste Schritt getan worden: Wir haben uns endlich für eine Zukunft entschieden. Die europäische Orientierung bildet nun die Grundlage der außenpolitischen Identität der Ukraine. (…) In zehn Jahren wird die Ukraine in der Europäischen Union sein, sie wird dem Kreis der entwickelten Länder beitreten.«

Zugleich betonte der ukrainische Staatschef, daß der Fortschritt in der europäischen Integration »unmöglich ohne gute nachbarschaftliche Beziehungen zur Rußland« sei. Die vergangenen Jahre der Unabhängigkeit hätten aber unter Beweis gestellt, daß solche Relationen »nur bei strikter Einhaltung der bilateralen Interessenbalance und bei gegenseitigem Respekt« von Bestand wären. Mit einem kaum verhüllten Seitenhieb sowohl gegen Moskau wie auch die Vorgängerregierung betonte Janukowitsch zudem, daß Kiew nun »alles in seiner Macht stehende« tun werde, »um solch eine Balance« zu erreichen.

Mit diesen Äußerungen scheint der ukrainische Staatschef in Brüssel offene Türen einzurennen. Der europäische Kommissionspräsident José Manuel Barroso warb in einem Interview mit der auflagenstärksten ukrainischen Wochenzeitung Dzerkalo Tyzhnia im Vorfeld des ukrainischen Unabhängigkeitstages für eine enge Westanbindung Kiews: »Ich halte mich für einen Freund der Ukraine, und ich bin stolz darauf«, postulierte Barroso, der den Ukrainern nahelegte, ihr Unabhängigkeitsjubiläum zum Anlaß zu nehmen, sich als ein »moderner und erfolgreicher Staat zu konsolidieren« und in »Gespräche über eine echte Konvergenz mit der Europäischen Union einzutreten«. Zugleich forderte Barroso, daß in der Ukraine verstärkt die »europäischen Werte« Fuß fassen müßten, bevor das Land eine weitgehende Integration erfahren könne.

Derzeit ist es vor allem der Prozeß gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, der die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen behindere, erklärte der ukrainische Vizeministerpräsident Sergej Tigipko Mitte August gegenüber dem Handelsblatt. In Juni meinte Janukowitsch noch, dieses Abkommen »bis Jahresende« unterzeichnen zu können. Dennoch gehen selbst europäische Stellen davon aus, daß das Assoziierungsabkommen bis Mitte 2012 besiegelt werden könne. Kiew ist insbesondere am visafreien Personenverkehr und einer weitgehenden Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes für ukrainische Migranten interessiert.

Während Barroso sich zu einem »Freund« der Ukraine ausrief und auch die US-Außenministerin Kiew zur Unabhängigkeit beglückwünschte, befindet sich Moskau mit Kiew – mal wieder – in energiepolitischen Auseinandersetzungen. Die ukrainische Führung möchte diesmal Preisermäßigungen für Erdgas durchsetzen, das größtenteils über russische Pipelines bezogen wird. Rußlands Präsident Dmitri Medwedew erklärte jüngst, daß Kiew die langfristigen Gasverträge »bedingungslos« erfüllen müsse, die für Moskau höchst einträglich sind und die noch von Timoschenko abgeschlossen worden waren – die sich auch deswegen vor einem ukrainischen Gericht verantworten muß. Denkbar sei aber ein Integrationsrabatt, so Medwedew weiter, der der Ukraine dann gewährt werden würde, wenn diese sich zum Verkauf des ukrainischen Pipelinenetzes an den russischen Gasmonopolisten Gasprom oder zu einer Zollunion mit Rußland entschließen würde, wie es etwa Belarus getan habe: »Unsere ukrainischen Kollegen haben diese Variante sofort abgelehnt. Ich denke aber, hier sollte es keine Eile geben«, erklärte Medwedew am 24. August, dem ukrainischen Nationalfeiertag.

* Aus: junge Welt, 26. August 2011


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