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Klitschko k.o.

Parlamentswahl in der Ukraine: Regierungskoalition behauptet Mehrheit. Oppositionsbündnis mit Neofaschisten

Von Tomasz Konicz *

Witali Klitschko konnte noch am Abend der Parlamentswahlen in der Ukraine seine Enttäuschung über das mäßige Abscheiden seiner Partei nicht verhehlen: »Wir haben ein enormes Potential«, bemerkte der Boxweltmeister, als die Nachwahlbefragungen seiner Gruppierung Udar (Schlag) nur 15 Prozent prognostizierten, »wir müssen nun analysieren, wieso wir nicht mehr Stimmen erhielten«. Inzwischen ging es für die von Klitschko in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaute Neupartei noch weiter in den Keller: Nach Auszählung von rund einem Fünftel der Stimmen verzeichnete Udar sogar nur noch einen Wählerzuspruch von zwölf Prozent. Damit wäre der als proeuropäischer Hoffnungsträger und Korruptionsbekämpfer aufgebaute Profisportler weit von seinem Wahlziel entfernt, Udar zur stärksten Oppositionskraft aufzubauen.

Den Teilergebnissen von Montag mittag zufolge hat die regierende Partei der Regionen von Ministerpräsident Viktor Janukowitsch mit 37,5 Prozent den Urnengang für sich entscheiden können. Die Sammelbewegung Batkiwschina (Vaterland) der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko erreichte mit 20,6 Prozent den zweiten Platz, während die ukrainischen Kommunisten rund 15,5 Prozent der Wählerstimmen erringen konnten. Hinter Udar landeten die ukrainischen Rechtsextremisten mit ihrer Partei Swoboda (Freiheit) – die vor allem in der Westukraine viel Unterstützung erhält – mit circa sieben Prozent. Die ukrainischen Faschisten würden somit erstmals im Parlament vertreten sein. Die Opposition schließt eine parlamentarische Zusammenarbeit mit dieser Gruppierung, die für ihre antisemitischen Ausfälle und Übergriffe berüchtigt ist, nicht aus. Klitschko etwa kündigte gleich nach Schließung der Wahllokale an, sowohl mit Timoschenkos Batkiwschina als auch mit Swoboda kooperieren zu wollen.

Im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, wird die Hälfte der Mandate nach dem Verhältniswahlrecht über Parteilisten vergeben, während die restlichen 50 Prozent über das Mehrheitswahlrecht an einzelne Kandidaten verteilt werden. Vertreter der Partei der Regionen, die hauptsächlich von der ostukrainischen Oligarchie finanziert wird, erklärten kurz nach Bekanntwerden der Ergebnisse, daß der Vorsprung ihrer Partei noch weiter anwachsen werde, da sie in »rund zwei Dritteln« dieser Direktwahlkreise in Führung läge. Anders als beim deutschen Wahlrecht kennen die ukrainischen Wahlmodalitäten keine Überhangmandate. »Es ist klar, daß die Partei der Regionen gewonnen hat«, erklärte Ministerpräsident Mykola Asarow gegenüber der Presse, »die Wahlen signalisieren Vertrauen in die Politik des Präsidenten.« Die Partei der Regionen wird aller Voraussicht nach ihr Parlamentsbündnis mit den ukrainischen Kommunisten fortsetzen und somit über eine komfortable Mehrheit verfügen.

Die Abstimmung war von Manipulationsvorwürfen etlicher Nichtregierungsorganisationen und einzelner OSZE-Wahlbeobachter überschattet. Am Wahlabend verbreitete das Europäische Netz der Wahlbeobachtungsorganisationen (Enemo) eine Stellungnahme, in der mehr Manipulationen und Wahlrechtsverstöße beklagt wurden als bei der Präsidentschaftswahl 2010 und bei der Parlamentswahl 2007. Deutsche Politiker hatten die Ukraine bereits im Wahlvorfeld massiv unter Druck gesetzt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle etwa erklärte den Wahlgang zu einer »wichtigen Bewährungsprobe für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit«, die von Deutschland »genau beobachtet« werde. Die deutsche OSZE-Wahlbeobachterin Viola von Cramon (Grüne) erklärte gegenüber dem Deutschlandfunk, daß es im Vorfeld der Wahlen »Unregelmäßigkeiten« gegeben habe. Eine offizielle Stellungnahme der Organisation, die mit rund 3700 Wahlbeobachtern vor Ort war, lag bis jW-Redaktionsschluß nicht vor.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Oktober 2012


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