Abtasten zwischen Kiew und Moskau
Gipfel der Euroasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft in Sotschi
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Abkommen wurden nicht unterzeichnet. Der Gipfel der Euroasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft,
der gestern in Sotschi zu Ende ging, lief in der Kategorie »informell«. Das Treffen war dennoch
gleich aus zwei Gründen bedeutsam.
Die 2000 gegründete Euroasiatische Wirtschaftsgemeinschaft ist eine Art »Koalition der Willigen«,
zu der sich die pro-russischen Ex-Sowjetrepubliken angesichts fortdauernder Schwäche der
Europäischen Union und der Ineffizienz der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS zusammengerauft
haben. Ihr gehören neben Russland Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und seit
Januar auch Usbekistan an, das nach dem missglückten Flirt mit den USA reumütig unter die
Fittiche Moskaus zurückkehrte. Moldawien, Armenien und die Ukraine haben Beobachterstatus.
Nahziele der Gemeinschaft sind eine Zollunion, die Anfang 2007 in Kraft treten soll, eine
gemeinsame Außenwirtschaftspolitik und eine gemeinsame Außenhandelsbank. Geplant sind auch
ein gemeinsamer Energiemarkt und ein Konsortium für die Wasserversorgung Zentralasiens.
Für Russland, das die Freihandelszone langfristig zu einem Gegenentwurf der westlich dominierten
Welthandelsorganisation WTO ausbauen will, ist die Vollmitgliedschaft der Ukraine dabei von
prinzipieller Bedeutung. Kiew indes setzt seit dem Machtwechsel Ende 2004 auf konsequente
Integration in westliche Strukturen, Präsident Viktor Juschtschenko drohte nach dem »Gas-Krieg«
mit Russland zu Jahresbeginn sogar mit dem geordnetem Rückzug aus allen GUS-Strukturen.
Doch das war vor den Parlamentswahlen am 26. März, bei denen die »Partei der Regionen« von
Gegenspieler Viktor Janukowitsch einen erdrutschartigen Sieg einfuhr. Von Juschtschenko Ende
Juli, nach dem Scheitern einer Neuauflage der orangenen Koalition zum Premier ernannt, vertrat
Janukowitsch die Ukraine auch in Sotschi und bei den bilateralen Regierungskonsultationen am
Rande des Gipfels. Er, so Janukowitsch bei der Bestätigung durch das Kiewer Parlament, werde
weder eine pro-westliche noch eine pro-russische, sondern eine pro-ukrainische Politik betreiben.
Seine ersten Amtshandlungen indes registrierte Moskau mit Befriedigung.
Schon bei Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung hatte Janukowitsch in letzter Minute ein
Referendum durchgesetzt, mit dem die Bevölkerung über den NATO-Beitritt entscheiden soll.
Beobachter sehen bisher dafür keine Mehrheiten. Auch bei der Annäherung an die EU tritt
Janukowitsch auf die Bremse, Außerdem will er die Vorlage für den WTO-Beitritt der Ukraine
zurückziehen, den der Westen Kiew aus politischen Gründen zu äußerst günstigen Bedingungen
geradezu aufgenötigt hatte. Zum Ärger Moskaus, dessen Beitritt durch immer neue Probleme bei
den Beitrittsverhandlungen mit den USA bestenfalls für Ende kommenden Jahres erwartet wird. Vor
allem dem russischen Fiskus drohen bei einem zeitlich asynchronen Beitritt wegen billiger
ukrainischer Importe Milliardenverluste.
Für einen verschobenen WTO-Beitritt verlangt Kiew allerdings von Russland die Beibehaltung der
gegenwärtigen Gaspreise – 95 US-Dollar 1000 Kubikmeter – und Moskaus Verzicht auf die
Übernahme von Teilen des ukrainischen Pipelinesystems. Das Thema steht ganz oben auf der
Agenda für das nächste Treffen Juschtschenkos mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin.
* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2006
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