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Ende der russisch-ukrainischen Eiszeit

Medwedjew und Janukowitsch schlossen in Charkow "strategischen Handel"

Von Irina Wolkowa , Moskau *

Meldungen aus Charkow, die Mittwochabend nach der Pressekonferenz der Präsidenten Dmitri Medwedjew und Viktor Janukowitsch eintrafen, wurden von russischen Agenturen als Sensation angekündigt. Noch euphorischer äußerten sich am Donnerstag (22. April) die großen russischen Zeitungen.

Janukowitsch habe bereits in den ersten Wochen seiner Amtszeit mehr erreicht als Vorgänger Viktor Juschtschenko in fünf Jahren, heißt es in Russland. Die Opposition in Kiew spricht dagegen von Hochverrat und will die Ratifizierung der Abkommen in der Werchowna Rada – dem Parlament – verhindern. So jedenfalls ließ sich die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko zitieren, die zwar nicht Abgeordnete ist, sich aber Oppositionsführerin nennt.

In Wahrheit einigten sich die Präsidenten in Charkow auf einen Kompromiss. Zwar ist die Verlängerung des Vertrags über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol ein klarer Sieg für Moskau. Janukowitsch-Vorgänger Juschtschenko hatte nicht nur eine solche Fristverlängerung ausgeschlossen, sondern mehrfach sogar mit vorzeitiger Kündigung des 2017 auslaufenden Abkommens gedroht. Der Vertrag, den Medwedjew und Janukowitsch am Mittwoch unterzeichneten, räumt Moskau dagegen die Nutzung der Marinebasis auf der Krim für weitere 25 Jahre und nach deren Ablauf die Möglichkeit einer neuerlichen Verlängerung ein. Damit spart Russland nicht nur Milliarden für den Bau eines neuen Kriegshafens an der kaukasischen Schwarzmeerküste. Moskaus militärische Präsenz schränkt auch den politischen Spielraum Kiews ein. Der Weg in die NATO ist der Ukraine damit auf längere Sicht verschlossen.

Da Derartiges nicht unentgeltlich zu haben ist, hat Moskau das Kriegsbeil im Gasstreit mit der Ukraine begraben. Differenzen zu Preisen für Lieferungen an Kiew und Durchleitungsgebühren – derzeit pumpt Gasprom rund 80 Prozent seiner Exporte in die EU durch ukrainische Pipelines – führten vor allem Zu Jahresbeginn 2009 zum Stopp der Lieferungen an Westeuropa und dort zu Versorgungsengpässen.

Mit dem neuen Abkommen dagegen gewährt Russland der Ukraine einen Preisnachlass, der sich Janukowitsch zufolge für die nächsten zehn Jahren auf insgesamt 30 Milliarden Euro beläuft. Statt 330 Dollar für 1000 Kubikmeter zahlt die Ukraine laut Medwedjew etwa 230 Dollar. Derartig weit kommt Moskau derzeit keiner anderen ehemaligen Republik der UdSSR entgegen. Mehr noch: Moskau will künftig sogar auf Lieferstopp bei Zahlungsverzug durch Kiew und auf die Strafzölle verzichten, die bisher dabei anfielen.

Damit ging Moskau in praktische Vorleistungen bei der »Enteisung der bilateralen Beziehungen« und der Wiederherstellung von »Freundschaft und Brüderlichkeit«, wie sie Medwedjew auf der gemeinsamen Pressekonferenz beschwor. Erinnert wird hier wie dort daran, dass die Präsenz der Schwarzmeerflotte auf der Krim viele Arbeitsplätze sichert und dass Kiew dank dem neuen Gaspreis sein Haushaltsdefizit senken kann, wie das auch der Internationale Währungsfonds gefordert hat.

Vorleistungen erbrachte aber auch Gastgeber Janukowitsch. Russisch hat in der Ukraine zumindest wieder den Status einer Verkehrssprache. Auch hat Janukowitsch seine Teilnahme an einem informellen Treffen der GUS-Staatschefs am 8. Mai in Moskau zugesagt. Der Gipfel ist Teil der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges.

* Neues Deutschland, 23. April 2010


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