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Wenig Spielraum

Der designierte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch sendet erste außen- und wirtschaftspolitische Signale in Richtung Moskau

Von Tomasz Konicz *

In einer ersten außenpolitischen Stellungnahme bemühte sich der neugewählte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch um leise Töne: »Ich werde mir Mühe geben, der ausgewogenen und ausgeglichenen Politik zwischen Europa und Rußland zu folgen«, zitierte ihn die nationale Hörfunkgesellschaft der Ukraine am 10. Februar. Dennoch waren schon in den ersten Stellungnahmen des aus der russischsprachigen Ostukraine stammenden designierten Präsidenten die Annäherungsversuche an Moskau unüberhörbar. Die vergangenen Konflikte zwischen Rußland und der Ukraine seien »überflüssig« gewesen, erklärte er gegenüber dem britischen Daily Telegraph. Während eines im russischen Fernsehen ausgestrahlten Interviews deutete der künftige Staatschef sogar an, die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in dem ukrainischen Hafen Sewastopol über das Jahr 2017 hinaus zu erlauben.

Diese Avancen Janukowitschs gegenüber dem Kreml müssen aber keineswegs dem »Interesse der Ukraine« zuwiderlaufen. Bereits während des Wahlkampfes hatte der Chef der ostukrainischen Partei der Regionen für eine Neuausrichtung der energiepolitischen Zusammenarbeit zwischen Rußland und der Ukraine plädiert, mittels derer die Konfrontationen der vergangenen Jahre überwunden werden sollen, die zuletzt im vergangenen Winter zu großen Lieferausfällen von Erdgas in weiten Teilen Mittelosteuropas geführt hatten. So hat Janukowitsch die Gründung eines Gastransportkonsortiums unter Beteiligung Rußlands und der Euro­päischen Union ins Gespräch gebracht, in dessen Rahmen die Modernisierung und Kapazitätserweiterung des ukrainischen Pipelinenetzes durchgeführt werden soll. Rußland solle »als Hauptlieferant des Erdgases nach Europa und als unser Hauptpartner« auch Zugang »zur Kontrolle über das Gastransportsystem« erhalten, so Janukowitsch gegenüber dem russischen Fernsehsender Rossija-24. Die europäischen Länder wiederum erhielten im Rahmen des Konsortiums »Garantien für die eigene Energiesicherheit«.

Im Gegenzug fordert Janukowitsch, daß Moskau sich zum Transit einer Mindestmenge von 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr über ukrainisches Territorium verpflichtet. Der russische Monopolist Gasprom befördert – noch – etwa 80 Prozent seines für die Europäische Union bestimmten Erdgases mittels des ukrainischen Pipelinesystem. Doch diese starke Position ist durch den Bau von Gasleitungen in der Nordsee und im Schwarzen Meer bedroht. In Kiew hofft man offensichtlich, zumindest die South-Stream-Pipeline mit dieser Initiative verhindern zu können, die in russisch-italienischer Kooperation auf dem Boden des Schwarzen Meeres verlegt werden soll.

Die ukrainische Staatskasse hat die – kürzlich um 60 Prozent erhöhten – Einnahmen aus dem Erdgastransit von Ost nach West bitter nötig. Kurz nach den Wahlen wurden Berechnungen des Rechnungshofes publik, die von einer Finanzierungslücke in Höhe von 26 Milliarden Hrywnja allein bei den laufenden Ausgaben der ukrainischen Regierung ausgehen (ein Euro entspricht ca. 11 Hrywnja). Der Haushaltsnotstand wurde bislang durch äußerst kreative Maßnahmen der Regierung abgewendet: So wurde die Mehrwertsteuer bis zu drei Monate im voraus auf Basis von Umsatzschätzungen eingetrieben, um hierdurch die laufenden Ausgaben zu decken. Ihre Gasrechnungen bei Gasprom begleicht die Ukraine inzwischen aus den Zentralbankreserven, wofür der Internationale Währungsfonds (IWF) im Dezember grünes Licht gab. Bei der Berechnung des Haushaltsdefizits, das 2009 angeblich nur bei 3,4 Prozent lag, scheint ebenfalls ein eher lockeres Verhältnis zur Realität geherrscht zu haben. Ein Volkswirt der Österreichischen Raiffeisenbank gab gegenüber Reuters an, daß er für 2009 ein Budgetdefizit von bis zu zehn Prozent erwarte.

Zudem ist die Auszahlung einer weiteren Tranche des IWF-Notkredits in Höhe von 16,5 Milliarden Dollar kurzfristig nicht in Sicht, da bis dato kein Budget für 2010 verabschiedet wurde. Ein Haushalt, der den drakonischen Sparauflagen des Währungsfonds nachkommt, gilt als Vorbedingung der Auszahlung der restlichen sechs Milliarden des IWF-Kredits. Auch die Europäische Union hat ein Darlehn in Höhe von 600 Millionen Euro eingefroren. Neben einer Erhöhung der Gaspreise für private Abnehmer in der Ukraine fordern IWF und EU die Rücknahme der in Wahlkampfzeiten erlassenen Gesetze, die eine Erhöhung der Sozialausgaben vorsehen.

Die Wirtschaftskrise in der Ukraine verlief dramatisch. Der Konjunktureinbruch soll sich im vergangenen Jahr auf 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) summiert haben. Besonders hart wurde die Baubranche getroffen, die zuvor von der spekulativen Blasensbildung auf dem ukrainischen Immobilienmarkt profitiert hatte. Die Bauwirtschaft erreichte 2009 nur 51,8 Prozent ihrer Vorjahresleistung, dabei wurden bereits 2008 nur 84,2 Prozent des Wertes von 2007 erreicht. Enorm ist auch der 2009 verzeichnete Einbruch in der Industrieproduktion um 21,9 Prozent, der mit einem Rückgang des Güterverkehrs von 43 Prozent einherging. Der Einzelhandel verbuchte ein Minus von 16 Prozent. Im Gefolge dieser Entwicklung sanken die Löhne um durchschnittlich 9,97 Prozent. Der Zusammenbruch der schuldenfinanzierten ukrainischen Defizitökonomie hinterließ dem osteuropäischen Land inzwischen 104 Milliarden US-Dollar an Auslandsschulden.

Immerhin scheint sich der Absturz der ukrainischen Ökonomie zu verlangsamen. Im vierten Quartal 2009 ging im Jahresvergleich das BIP »nur« noch um sieben Prozent zurück. Für 2010 prognostizieren etliche Ökonomen sogar ein Wachstum von bis zu drei Prozent. Doch selbst eine bescheidene ökonomische Erholung steht unter Vorbehalt: Ein eventueller Aufschwung bleibe äußerst »wackelig«, da er von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängen würde, erklärte ein Ökonom vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche gegenüber dem österreichischen Wirtschaftsblatt.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2010


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