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Kiew: Timoschenko zu sieben Jahren Haft verurteilt

EU: Urteil "politisch motiviert" - Putin "erstaunt" - Janukowitsch bedauert *

Das Gericht in Kiew hat am Dienstag (11. Okt.) Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs bei der Unterzeichnung der Gasverträge mit Russland 2009 zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass Timoschenko für die Ukraine verlustbringende Verträge mit Russland unterzeichnet hat, um ihre Popularität im Vorfeld der Präsidentenwahlen 2010 in der Ukraine zu steigern.

Darüber hinaus entsprach das Gericht der Zivilklage des Unternehmens Naftogaz und verpflichtete Timoschenko, dem Konzern den entstandenen Schaden in Höhe von umgerechnet rund 189,5 Millionen Dollar zu ersetzen.

Nach dieser Verurteilung wird Timoschenko, die die größte Oppositionspartei Batkiwschtschina leitet, nicht in der Lage sein, an den nächsten Parlamentswahlen 2012 und an den Präsidentenwahlen 2015 teilnehmen.

„Urteil fällt Janukowitsch“

„Das Urteil wird nicht Richter Kirejew, sondern Präsident Janukowitsch fällen“, hatte Timoschenko zu Beginn der Sitzung erklärt, als sie von der Wache in den Gerichtssaal geführt wurde. „Dieses Urteil wird an meinem Schicksal und an meinem Kampf nichts ändern.“

„Was für ein Urteil gefällt wird und wie viel Jahre Haftstrafe ich bekomme - das hängt davon ab, wie unmoralisch Janukowitsch ist und wie stark gegen das Gesetz verstoßen wird“, fügte sie hinzu.

„Das heutige Urteil bewerte ich nicht nur als einen Versuch, die politische Opposition loszuwerden, sondern auch als eine absichtliche Torpedierung der Unterzeichnung eines Assoziations- und Freihandelsabkommens“ mit der EU durch Präsident Viktor Janukowitsch, sagte Timoschenko. „Mit seinen Handlungen behindert er die Bewegung der Ukraine in Richtung Europa.“

Die Ukraine will bis Ende 2011 ein Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, dessen Kernelement die Schaffung einer Freihandelszone bildet.

Entgegen der Gerichtsnormen hörte die Angeklagte der Urteilsverkündung sitzend zu und wechselte hin und wieder Bemerkungen mit ihrem Ehemann aus, während die Staatsanwälte und Timoschenkos Anwälte standen. Neben der Ex-Regierungschefin saß ihre Tochter Jewgenija.

Rüge an Kiew aus dem Westen

Vom Richter, der das Urteil verkündete, habe sie kein Wort Wahrheit gehört, betonte Timoschenko. „Alle seine Worte werden widerlegt werden, allerdings nicht in den ukrainischen Gerichten.“

Die EU betrachtet laut Maja Kosijancic, Sprecherin der Europäischen Kommission, das Urteil gegen die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko als politisch motiviert.

„Das Gericht entsprach nicht den internationalen Standards, was einen fairen, transparenten und unabhängigen juristischen Prozess betrifft, zu dem wir in den vorangegangenen Erklärungen aufgerufen hatten“, sagte sie am Dienstag zu Journalisten in Brüssel.

Kosijancic schloss „tiefgreifende Folgen für die bilateralen Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine“ nicht aus, „unter anderem für den Abschluss eines Assoziationsabkommens, für unseren politischen Dialog und unsere Zusammenarbeit im breiteren Sinne“.

Mehrere europäische Politiker sowie internationale Menschenrechtsorganisationen, wie etwa Amnesty International, schlossen sich der Bewertung an, die Verurteilung von Timoschenko sei „politisch motiviert“ gewesen.

An die tausend Anhänger von Julia Timoschenko hatten sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt und ihre Freilassung gefordert. Die Sicherheitskräfte konnten die Menschenmenge unweit vom Eingang ins Gericht stoppen. Hin und wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten.

Präsident Janukowitsch nennt Hafturteil für Timoschenko bedauerlich

Präsident Viktor Janukowitsch hat das Hafturteil gegen die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko als bedauerlich und als Hindernis für die angestrebte Einbindung der Ukraine in die europäischen Strukturen bezeichnet.

„Dies (das Urteil für Timoschenko) ist zweifelsohne ein unangenehmer Fall, der die europäische Integration der Ukraine behindert“, sagte Janukowitsch. Er betonte, dass das Urteil „im Rahmen der geltenden Strafprozessordnung“ liege, jedoch nicht endgültig sei. „Ein Berufungsverfahren steht bevor.“ Der Entscheidung der Berufungsinstanz komme eine große Bedeutung zu.

Putin erstaunt über sieben Jahre Haft für Timoschenko

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin hat sich erstaunt über den Schuldspruch für die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko geäußert.

"Ich kann nicht ganz verstehen, warum sie zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde", sagte Putin am Dienstag vor der Presse in Peking, wo er zu einem Besuch weilt. "Timoschenko selbst hatte nichts unterzeichnet, die Gasverträge wurden auf der Ebene von Wirtschaftssubjekten gemäß dem Völkerrecht sowie den Gesetzgebungen Russlands und der Ukraine geschlossen", betonte er.

* Alle Meldungen nach: Russische Nachrichenagentur RIA Novosti, 11. Oktober 2011; http://de.rian.ru/


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