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Besorgnis im Kreml

Ukraine: Timoschenko-Prozeß führt zu weiteren Spannungen zwischen Moskau und Kiew

Von Tomasz Konicz *

Die seit vergangenen Freitag (5. Aug.) in Untersuchungshaft einsitzende ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko kommt bis auf weiteres nicht frei. Am Montag (8. Aug.) hat ein Bezirksgericht in Kiew die Umwandlung der Untersuchungshaft Timoschenkos in einen Hausarrest abgelehnt, die von der Verteidigung der einstmaligen Ikone der »Orangen Revolution« beantragt wurde. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit »systematischen Verstößen« gegen die Prozeßordnung, bei denen die Oppositionspolitikerin den Gerichtspräsidenten als eine »Marionette« des derzeitigen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch titulierte. Timoschenko, die bei den Präsidentschaftswahlen 2015 gegen Janukowitsch antreten wollte, sieht sich als Opfer eines »politischen Prozesses«, bei dem Oppositionskräfte kaltgestellt werden sollen.

Die Gerichtsentscheidung löste am Freitag tumultartige Szenen vor dem Gerichtsgebäude aus, wo Hunderte von Gefolgsleuten Timoschenkos ihre Überstellung in das Untersuchungsgefängnis durch ein enormes Aufgebot von Sicherheitskräften zu verhindern versuchten. Am Wochenende bauten ihre Anhänger in der Innenstadt von Kiew ein Zeltlager auf, das zu einem Brennpunkt weiterer Proteste avancieren soll. Obwohl mehrere kleinere Oppositionsparteien – wie etwa der Wahlblock des Boxers Witali Klitschko – sich mit dem Protestcamp solidarisierten, konnten dafür bislang nur wenige tausend Menschen mobilisiert werden. Am Wochenende verbot zudem ein Gericht bis Ende August alle Demonstrationen in der Kiewer Innenstadt, nachdem es zu ersten Zusammenstößen zwischen Timoschenko-Anhängern und Gegendemonstranten aus den Reihen der »Partei der Regionen« von Präsident Janukowitsch gekommen war. Polizeikräfte schirmten das Zeltlager am Wochenbeginn ab, ohne es jedoch bislang zu räumen.

Auch international löste die Inhaftierung Timoschenkos nahezu einhellig Kritik aus. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und etliche westliche Staaten wie etwa Großbritannien äußerten ihre Besorgnis und appellierten an die ukrainische Führung, einen rechtsstaatlichen Prozeßablauf zu gewährleisten. Das Verfahren biete »Grund zur Sorge über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine«, erklärte etwa die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Washington wiederum forderte eine Überprüfung der Inhaftierung Timoschenkos. Doch auch im Kreml ist man besorgt: Das Gerichtsverfahren gegen Julia Timoschenko sollte »fair und unparteiisch« sowie »frei von Emotionen« geführt werden, hieß in einer Erklärung des russisches Außenministeriums, die kurz nach der Verhaftung Timoschenkos am Freitag publiziert wurde.

Die Führungsriege in Moskau ist beunruhigt, daß ausgerechnet der von Timoschenko mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin 2009 ausgehandelte Gasdeal den Gegenstand der Anklage bildet. Auf 187,5 Milliarden US-Dollar soll sich nach Angaben des klageführenden staatlichen Gasversorgers Naftogas Ukrainy der Schaden summieren, der für die Ukraine durch die Unterzeichnung der ukrainisch-russischen Gasverträge entstanden sei. »Die Abkommen vom 19. Januar (2009) sind für die Ukraine völlig unvorteilhaft gewesen«, sagte der ukrainische Ministerpräsident Nikolai Asarow am vergangenen Freitag vor Gericht aus. Die damit einhergehenden Preiserhöhungen hätten die Ukraine beinahe in den »Bankrott« getrieben. »Ich betrachte diese Abkommen als verräterisch gegenüber den Menschen und dem Land«, so Asarow.

Mittels dieses Prozesses gegen Timoschenko bemüht sich die derzeitige ukrainische Führung, die langfristigen Gasverträge mit Rußland zu illegalisieren, um so den Kreml erneut an den Verhandlungstisch zwingen zu können. Rußlands Außenministerium hat am Montag vorsorglich erklärt, daß »alle Gasvereinbarungen von 2009 unter strikter Einhaltung der nationalen Gesetzgebung beider Staaten« erfolgt seien.

Die jüngsten Spannungen bilden einen weiteren Markstein in der zunehmenden Entfremdung zwischen Moskau und Kiew, die zuvor durch die Weigerung der ukrainischen Führung, das Pipelinenetz des Landes zu veräußern, vertieft wurde. Nachdem Kiew eine Fusion des Versorgers Naftogas Ukrainy mit dem russischen Staatsmonopolisten Gasprom Ende Juli abgelehnt habe, hat Rußlands Präsident Dmitri Medwedew sogar eine geplante Staatsvisite in der Ukraine abgesagt. Präsident Janukowitsch lehnt auch die vom Kreml favorisierte Errichtung einer gemeinsamen Wirtschaftszone ab.

* Aus: junge Welt, 10. August 2011


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