Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Polnisch-ukrainische Fußballdiplomatie

Die außenpolitischen Rechnungen Warschaus sind nach der Niederlage des "orangefarbenen" Lagers in der Ukraine nüchterner geworden

Von Krzysztof Pilawski, Warschau *

Die gemeinsame Austragung der Fußball- EM 2012 durch Polen und die Ukraine hat eine lange politische Vorgeschichte. Polen betrachtete sich als eine Art politischer Pate des größeren Nachbarlandes.

Ursprünglich sollte es die Fußball- Weltmeisterschaft sein. Bereits im Jahre 2003 sprachen sich die damaligen Staatspräsidenten Polens und der Ukraine, Aleksander Kwasniewski und Leonid Kutschma, für ein gemeinsam ausgerichtetes großes Sportfest aus. Schließlich wurde 2007 beiden Ländern die Fußball-Europameisterschaft 2012 anvertraut.

Neben allen sportpolitischen Motiven gab es dafür auch handfeste politische Gründe, die vor allem auf der polnischen Seite entscheidendes Gewicht hatten und haben. Das Land versteht sich nach wie vor als wichtiger Anwalt für die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine. Die soll aufrechterhalten bleiben, auch wenn eine NATOMitgliedschaft der Ukraine mittlerweile in weite Ferne gerückt ist. Nachdem das ukrainische Parlament am 24. August 1991 noch innerhalb der Sowjetunion die Unabhängigkeit der Ukraine verkündet hatte, war Polen der erste Staat, der Kiew diplomatisch anerkannte. Im Oktober 1991 besuchte Polens damaliger Außenminister Krzysztof Skubiszewski die Sowjetunion. Nach seiner Rückkehr sprach er von einer Reise in vier Länder: in die Sowjetunion, nach Russland, in die Ukraine und nach Belarus. Kein führender Außenpolitiker eines anderen Staates hätte zu jener Zeit diese Aussage getroffen.

Als der Staatssozialismus in Polen und wenig später die Sowjetunion zusammenbrachen, traten in der Ostpolitik des Landes Traditionen hervor, die im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs untergegangen waren. Zwar stellte niemand die Grenzen zu den östlichen Nachbarländern infrage, doch erhielten die Beziehungen zu Kiew und Minsk im diplomatischen und politischen Kräftespiel mit Moskau strategische Bedeutung. Eine geopolitische Situation kehrte zurück, die viele an die Zeiten Józef Pilsudskis erinnerte, der nach dem Ersten Weltkrieg eine Föderation aus Polen, Belarus und der Ukraine als Bollwerk gegen Sowjetrussland zu schmieden suchte. Auch wenn das ein Traum blieb und Pilsudskis Polen sich mit bitteren Konsequenzen anschickte, ohne selbstständige Ukraine Teil des Cordon sanitaire zu werden, war die Vision eines möglichen Gegengewichtes zum übermächtigen Russland geboren.

Neue Kraft erhielt dieser alte politische Gedanke durch Polens Beitritt zur EU. Einstimmig erklärten Spitzenpolitiker aller politischen Lager, die Osterweiterung der EU könne erst nach einem künftigen Beitritt von Belarus und der Ukraine als abgeschlossen gelten. Dabei störte wenig, dass andere EU-Partner – vor allem aus Gründen des sensiblen Verhältnisses zu Moskau – in dieser Frage sehr viel vorsichtiger agierten. Die Außenminister der polnischen Linksdemokraten (SLD), allen voran Wlodzimierz Cimoszewicz, stellten dabei stärker die tatsächliche politische Gewichtung im Osten Europas in Rechnung, nach den Wahlerfolgen der Kaczynski- Brüder kehrte im Herbst 2005 allerdings Pilsudskis Föderationsidee in neuer Gestalt zurück. Polens Außenpolitik sah sich insbesondere nach dem Erfolg der »orangefarbenen« Revolution für viele Jahre gefordert, die Westintegration der Ukraine nach besten Kräften zu fördern. Ab sofort gab es aus Sicht Warschaus am Dnepr nur noch »prowestliche« oder »prorussische« Politiker.

Daran hat sich im Prinzip gar nicht so viel geändert, allerdings wurden die außenpolitischen Rechnungen Polens spätestens mit der Niederlage des mittlerweile tief zerstrittenen »orangefarbenen« Lagers in der Ukraine nüchterner. Am Prinzip der Vertiefung und Verbesserung der Beziehungen zur Ukraine gibt es keine Abstriche, doch soll das nicht mehr zu Lasten der ohnehin nicht einfachen Beziehungen zu Moskau gehen. Warschaus Außenpolitik ist in dieser Frage in die Reihen der EUDiplomatie zurückgekehrt, nimmt den eigenen Anspruch, in der EUNachbarschaftspolitik gegenüber dem Osten Vorreiter zu sein, ausgewogener wahr.

Die Europameisterschaft wird in den polnischen Medien vor allem als großes Sportereignis gesehen, das zugleich die gegenseitigen Beziehungen zwischen den beiden Ausrichterländern befruchten wird. Anders als zwischen den Niederlanden und Belgien oder zuletzt zwischen Österreich und der Schweiz bestehen zwischen Polen und der Ukraine auffallende politische Unterschiede. Polen versteht sich dabei als ein Partner, dessen Weg auch dem östlichen Nachbarn offen stehen sollte.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. Juni 2012


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Polen-Seite

Zurück zur Homepage