Die NATO ankert vor Odessa
Seemanöver auch Probe für Beitrittsfähigkeit der Ukraine / Keine Mehrheit für Paktmitgliedschaft
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Diesmal, drohte Anatolij Grizenko, der Verteidigungsminister der Ukraine, würden Störversuche von
Ordnungskräften umgehend unterbunden. Adressat der Botschaft waren die Aktivisten prorussischer
Bewegungen in der Ukraine. Deren Protest hatte die Werchowna Rada – das Parlament
– im letzten Sommer zur Freude Moskaus dazu gezwungen, eine bereits erteilte Genehmigung für
Seemanöver der NATO im Schwarzen Meer wieder rückgängig zu machen.
Pannen wie im Vorjahr sollen sich in diesem Jahr nicht wiederholen. Umso mehr, da es ein Jubiläum
zu feiern gilt: Die diesjährige Übung Seabreeze 2007, die in den Gewässern zwischen Odessa und
Nikolajew stattfindet, ist bereits die zehnte im Rahmen des Programms »Partnerschaft für den
Frieden«, mit dem die NATO vor allem die ideologische und technisch-militärische Bereitschaft
potenzieller Aufnahmekandidaten für das Zusammenwirken mit Kampfverbänden des westlichen
Militärbündnisses testet.
Offiziell indes sollen bei der Übung, an der 22 Kampfschiffe und etwa 1200 Marineinfanteristen aus
elf NATO-Staaten beteiligt sind, die Vorbereitung und Durchführung von Friedensmissionen in
Drittstaaten trainiert werden. Auch weil das Übungsgebiet nicht allzu weit von Georgien entfernt ist,
wo sich dieser Tage der seit 15 Jahren schwelende Konflikt zwischen der Zentralregierung in Tbilissi
und der abtrünnigen Autonomie Südossetien erneut gefährlich zuspitzt. Für Georgien, das sich noch
dezidierter als die Ukraine um Integration in westeuropäische Strukturen bemüht, sind gegenwärtig
vor allem die ungelösten Probleme mit den Separatisten in Südossetien und Abchasien, die von
Moskau offen unterstützt werden, das größte Hindernis für einen NATO-Beitritt.
Im Falle der Ukraine schlagen in Brüssel und Washington neben Rücksichten auf Moskau auch
Bedenken zu Buche, ob und in wieweit deren Streitkräfte in überschaubaren Zeiträumen in der Lage
sind, die Standards der Allianz zu erfüllen. Fragen, auf die allerdings selbst prowestliche
Militärexperten keine eindeutigen Antworten haben.
Noch, so Valentin Badrak, Politologe vom Kiewer Zentrum für Konversion und Abrüstung, in einem
Interview für russische Radiosender, könnten Heer und Kriegsmarine der Ukraine nicht als
Streitkräfte westlichen Typs betrachtet werden. Technisch seien sie zwar in der Lage, auf alle
modernen Bedrohungen zu reagieren. Ideologie und Militärdoktrin seien jedoch nach wie vor mit
Stereotypen aus der Zeit der Blockkonfrontation überfrachtet. Diese würden erst mit dem Übergang
zu einer Berufsarmee beseitigt werden. Der aber werde frühestens 2012 in Angriff genommen.
Umfragen ergaben, dass eine NATO-Vollmitgliedschaft, die für Teile der ukrainischen Eliten, vor
allem für Anhänger von Präsident Viktor Juschtschenko, zu den absoluten Prioritäten gehört, bei den
Massen bisher keine eindeutigen Mehrheiten hat. Das gilt sogar für die Soldaten. Während das
Offizierskorps einem NATO-Beitritt allein schon wegen der Übernahme westlicher Standards eher
positiv gegenübersteht, lehnt die Mehrheit der Wehrpflichtigen ihn ab. Das gilt vor allem für Rekruten
aus dem Osten und aus dem Süden, wo ethnische Russen die Bevölkerungsmehrheit bilden.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2007
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