Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die NATO ankert vor Odessa

Seemanöver auch Probe für Beitrittsfähigkeit der Ukraine / Keine Mehrheit für Paktmitgliedschaft

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Diesmal, drohte Anatolij Grizenko, der Verteidigungsminister der Ukraine, würden Störversuche von Ordnungskräften umgehend unterbunden. Adressat der Botschaft waren die Aktivisten prorussischer Bewegungen in der Ukraine. Deren Protest hatte die Werchowna Rada – das Parlament – im letzten Sommer zur Freude Moskaus dazu gezwungen, eine bereits erteilte Genehmigung für Seemanöver der NATO im Schwarzen Meer wieder rückgängig zu machen. Pannen wie im Vorjahr sollen sich in diesem Jahr nicht wiederholen. Umso mehr, da es ein Jubiläum zu feiern gilt: Die diesjährige Übung Seabreeze 2007, die in den Gewässern zwischen Odessa und Nikolajew stattfindet, ist bereits die zehnte im Rahmen des Programms »Partnerschaft für den Frieden«, mit dem die NATO vor allem die ideologische und technisch-militärische Bereitschaft potenzieller Aufnahmekandidaten für das Zusammenwirken mit Kampfverbänden des westlichen Militärbündnisses testet.

Offiziell indes sollen bei der Übung, an der 22 Kampfschiffe und etwa 1200 Marineinfanteristen aus elf NATO-Staaten beteiligt sind, die Vorbereitung und Durchführung von Friedensmissionen in Drittstaaten trainiert werden. Auch weil das Übungsgebiet nicht allzu weit von Georgien entfernt ist, wo sich dieser Tage der seit 15 Jahren schwelende Konflikt zwischen der Zentralregierung in Tbilissi und der abtrünnigen Autonomie Südossetien erneut gefährlich zuspitzt. Für Georgien, das sich noch dezidierter als die Ukraine um Integration in westeuropäische Strukturen bemüht, sind gegenwärtig vor allem die ungelösten Probleme mit den Separatisten in Südossetien und Abchasien, die von Moskau offen unterstützt werden, das größte Hindernis für einen NATO-Beitritt.

Im Falle der Ukraine schlagen in Brüssel und Washington neben Rücksichten auf Moskau auch Bedenken zu Buche, ob und in wieweit deren Streitkräfte in überschaubaren Zeiträumen in der Lage sind, die Standards der Allianz zu erfüllen. Fragen, auf die allerdings selbst prowestliche Militärexperten keine eindeutigen Antworten haben. Noch, so Valentin Badrak, Politologe vom Kiewer Zentrum für Konversion und Abrüstung, in einem Interview für russische Radiosender, könnten Heer und Kriegsmarine der Ukraine nicht als Streitkräfte westlichen Typs betrachtet werden. Technisch seien sie zwar in der Lage, auf alle modernen Bedrohungen zu reagieren. Ideologie und Militärdoktrin seien jedoch nach wie vor mit Stereotypen aus der Zeit der Blockkonfrontation überfrachtet. Diese würden erst mit dem Übergang zu einer Berufsarmee beseitigt werden. Der aber werde frühestens 2012 in Angriff genommen.

Umfragen ergaben, dass eine NATO-Vollmitgliedschaft, die für Teile der ukrainischen Eliten, vor allem für Anhänger von Präsident Viktor Juschtschenko, zu den absoluten Prioritäten gehört, bei den Massen bisher keine eindeutigen Mehrheiten hat. Das gilt sogar für die Soldaten. Während das Offizierskorps einem NATO-Beitritt allein schon wegen der Übernahme westlicher Standards eher positiv gegenübersteht, lehnt die Mehrheit der Wehrpflichtigen ihn ab. Das gilt vor allem für Rekruten aus dem Osten und aus dem Süden, wo ethnische Russen die Bevölkerungsmehrheit bilden.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2007


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur NATO-Seite

Zurück zur Homepage