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Janukowitsch späht zum Horizont

Präsident der Ukraine in Berlin: Perspektive des EU-Beitritts muss "aufscheinen"

Von Detlef D. Pries *

Ein halbes Jahr nach seinem Sieg bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen besuchte Viktor Janukowitsch am Montag (30. Aug.) erstmals in seinem neuen Amt die deutsche Hauptstadt. Zwar hatte er bereits der EU in Brüssel seine Aufwartung gemacht, doch in Berlin warteten einige noch auf ein »proeuropäisches Signal« des als »prorussisch« bezeichneten Präsidenten.

Vor dreieinhalb Jahren erzählte Viktor Janukowitsch - damals Regierungschef der Ukraine - in Berlin eine Episode: Vor seiner ersten Ernennung zum Ministerpräsidenten im Jahre 2002 habe ihn der damalige Präsident Leonid Kutschma angerufen und gefragt, womit er sich gerade beschäftige. Worauf er - Janukowitsch - geantwortet habe, er lerne Ukrainisch und habe daran viel Spaß. Der heute 60-Jährige aus dem ostukrainischen Gebiet Donezk hatte bis dahin, wie viele seiner Landsleute, nur Russisch gesprochen.

Am Montagabend (30. Aug.) hielt Janukowitsch, seit 25. Februar Präsident seines Landes, im Berliner Hotel »Adlon« erneut einen Vortrag - natürlich in Ukrainisch. Mindestens einmal allerdings fehlte ihm das passende ukrainische Wort, er musste es sich zurufen lassen. Fast schien er dankbar, als ihm später eine Frage auf Russisch gestellt wurde, die er ebenso beantworten konnte.

Wird der Name Janukowitsch hierzulande etwa deshalb stets und ständig mit dem Attribut »prorussisch« verbunden, was nur selten anerkennend gemeint ist? Am Montag ging der Präsident mit keinem Wort auf die Beziehungen seines Landes zum großen Nachbarn ein. Obwohl ihm Klaus Mangold, als Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft einer der Gastgeber der Veranstaltung, eine goldene Brücke gebaut hatte: Der ehemalige Daimler-Manager lobte Janukowitsch dafür, dass er das Verhältnis der Ukraine zu Russland so rasch in Ordnung gebracht habe. Und im Gleichklang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der Janukowitsch zuvor gesprochen hatte, bemerkte Mangold, man habe keinerlei Interesse daran, die Ukraine vor die Alternative »Russland oder die EU« zu stellen. Fast hätte man angesichts des Lobs die einstige Begeisterung deutscher Politiker und Medien für die »Revolution in Orange« vergessen können, in der Janukowitsch die Rolle des Bösen und seinem antirussischen Kontrahenten Viktor Juschtschenko die des Helden zugeschrieben wurden.

Aber natürlich verhehlte der Wirtschaftsvertreter nicht das Interesse seinesgleichen an engeren Beziehungen der Ukraine zur EU. Alexander Rahr, der bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Berthold-Beitz-Kompetenzzentrum für Russland, die Ukraine, Belarus und Zentralasien leitet, hatte der Nachrichtenagentur AFP gar gesagt, Janukowitsch habe in Berlin die »einzigartige Chance« zu zeigen, ob sein Land »weiterhin den Anschluss (!) an den Westen sucht oder nicht«.

Janukowitsch gab sich durchaus Mühe, diese »Chance« zu nutzen: Zunächst strich er in seinem Vortrag heraus, dass mit seiner Amtsübernahme 19 Jahre politischer Querelen beendet worden seien, in denen sich die ukrainische Wirtschaft nicht systematisch entwickeln konnte. Sein Programm werde von der Mehrheit der Gesellschaft unterstützt. Allerdings verstünden nur wenige, dass man erst einmal den Gürtel enger schnallen müsse, um später besser zu leben. Er sprach von notwendigen Reformen, nationalen Projekten und Kommissionen, vom Kampf gegen die Korruption und für die Reform des Justizsystems, das sich allmählich europäischen Standards nähern werde. Dadurch würden sich auch die Bedingungen für ausländische Investoren verbessern, die er einlud, sich an der Verarbeitung der ukrainischen Rohstoffe zu beteiligen. Die deutsche Wirtschaft habe in Russland zehnmal mehr investiert als in der Ukraine, obwohl die Ukraine näher an Deutschland liege, beklagte der Präsident, dem sollten die anwesenden Wirtschaftsvertreter Rechnung tragen. Im Gespräch mit Angela Merkel hatte er unter anderem eine Zusammenarbeit bei der dringend notwendigen Modernisierung des ukrainischen Gasleitungssystems angeboten.

Gernot Erler, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt, fragte Janukowitsch nach dessen Urteil über das EU-Programm der östlichen Partnerschaft. Der Präsident erinnerte sich an eine Kontroverse mit dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi: Der hatte 2003 erklärt, die Ukraine habe keinerlei Perspektive der Integration in die EU. Darauf habe er - Janukowitsch - Prodi entgegengehalten: »Das entscheiden nicht Sie.« Das Programm der östlichen Partnerschaft sei aber nicht so, wie es sich die Ukraine wünsche. Sehr wohl wisse er: »Wir müssen Europa erst in der Ukraine aufbauen.« Und wenn jetzt an einem Assoziierungsabkommen gearbeitet werde, gehe es nicht darum, wann die Ukraine Mitglied der EU wird, aber eine Beitrittsperspektive müsse aufscheinen. Darin ist man sich in Kiew offenbar weitgehend einig: Erwartet wird ein Signal aus der EU. Doch die erweist sich als handlungsunfähig. Auch Angela Merkel ließ es gegenüber Janukowitsch am Montag beim allgemeinen Versprechen, Deutschland wolle die Ukraine bei der engeren Anbindung an die EU unterstützen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2010


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