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Probevotum im Parlament

Ukraine: Überraschender Sieg für Janukowitsch vor den Stichwahlen am Sonntag

Von Anita Müller *

Vor zweieinhalb Wochen waren die Ukrainer zur Präsidentschaftswahl aufgerufen. Bei der Abstimmung erhielt keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit. Am kommenden Sonntag (7. Feb.) nun fällt die Entscheidung zwischen den beiden Bestplazierten Viktor Janukowitsch, der es am 17. Januar auf 35,5 Prozent brachte, sowie der amtierenden Premierministerin Julia Timoschenko, die bei für sie enttäuschenden 25,5 Prozent landete. Nicht mehr im Rennen ist Viktor Juschtschenko, derzeitiger Präsident und ehemaliger Held des Westens in der sogenannten orange Revolution. Der hatte mit 5,5 Prozent der Wählerstimmen eine vernichtende Niederlage erlitten.

Laut jüngsten Meinungsumfragen des ukrainischen Instituts Research&Branding Group liegt derzeit Janukowitsch bei knapp 45 Prozent, Timoschenko erhielte demnach bis zu 32 Prozent. In den vergangenen Tagen buhlten deren Parteien PR (Partei der Regionen) und BJUT (Block Julia Timoschenko) insbesondere um Unterstützung der Verlierer aus Runde eins. Dabei deutete sich in einer Parlamentsentscheidung vom vergangenen Freitag an, daß sich die PR auf Unterstützung nicht nur der ukrainischen Linkskräfte stützen kann.

Die PR hatte wegen angeblicher Manipulationen bei der Vorbereitung der Stichwahl die Absetzung von Innenminister Juri Luzenko gefordert. In der Abstimmung, bei der 398 der insgesamt 450 Abgeordneten anwesend waren, entschieden sich - neben 172 PR-Parlamentariern unter anderem 27 Vertreter der Kommunistischen Partei (KPU) und 19 des Litwin-Blocks für die Ablösung des Timoschenko-Sympathisanten Luzenko. Allgemein wird davon ausgegangen, daß die beiden letztgenannten Gruppierungen auch bei der Stichwahl für Janukowitsch werben werden - die KP hat dazu bereits aufgerufen.

Wie sich andere Kräfte - beispielsweise schlossen sich sogar elf Abgeordnete des Juschtschenko-Bündnisses »Unsere Ukraine - Selbstverteidigung des Volkes« der PR-Forderung an - verhalten werden, blieb bisher weitgehend offen. Tatsache ist indes, daß die PR für ihr Mißtrauensvotum gegen Luzenko eine Mehrheit von 231 Stimmen erhielt. Daraufhin ernannte das Kabinett unter Leitung von Timoschenko ihren abgewählten Mann umgehend zum Ersten Stellvertreter des Innenministers. In solcher Funktion bereitet Luzenko nun weiter die Abstimmung am kommenden Sonntag vor. Der PR-Vorwurf, gegen das Wahlgesetz zu verstoßen, könnte also neue Aktualität gewinnen.

Als wichtigstes Argument gegen Timoschenko führt Janukowitsch derweil deren Verantwortung für den ökonomischen Einbruch 2009 ins Feld. Damals ging die Industrieproduktion um fast ein Viertel zurück, die Bauwirtschaft schrumpfte um 51 Prozent. Die Premierministerin habe damals gezeigt, was sie vom Wirtschaften verstehe, so Janukowitsch. Zwar fehlt dem Kandidaten die schillernde Popularität seiner mode- wie selbstbewußten Konkurrentin, dafür punktet er tatsächlich mit seinem Programm, das eher als glaubwürdig empfunden wird. Dazu gehört vor allem seine Orientierung auf enge Beziehungen zu Moskau. Auch das Gewicht seiner einflußreichen und gutbetuchten Unterstützer spielt eine Rolle: Es läßt auf jene Stabilität hoffen, nach der sich viele Ukrainer so sehnen.

Janukowitsch lehnt zudem den von Timoschenko befürworteten NATO-Beitritt ab und fordert die Einführung von Russisch als zweite Amtssprache. Hinter ihm stehen bedeutende Teile der Wirtschaft. Einer seiner wichtigen Förderer ist der Schwiegersohn von Expräsident Leonid Kutschma (1994-2005), Viktor Pinchuk. Dieser besitzt fünf TV-Kanäle und hat zudem mehrere humanitäre und kunstfördernde Projekte ins Leben gerufen.

Timoschenko kann dagegen weiterhin auf Stimmen aus dem Lager von Juschtschenko und des ehemaligen Außenministers Arsenij Jatsenjuk hoffen. Programmatisch hat sie bereits einen Richtungswechsel vollzogen - weg von der Rußlandkritikerin hin zur Freundin Moskaus. Ob sie damit noch bei Janukowitsch-Anhängern punkten kann, bleibt abzuwarten. Für ihr Abschneiden hängt viel von Sergej Tigipko ab. Der Geschäftsmann und Chef der Partei »Starke Ukraine« landete im ersten Wahlgang mit 13 Prozent auf Rang drei. Timoschenko hat ihm im Falle ihres Wahlsiegs den Posten als Premierminister versprochen, falls er sie unterstütze.

Lange lehnte Tigipko eine Stellungnahme grundsätzlich ab. Dann äußerte er, daß er eine Wahlempfehlung nur geben könne, wenn einer der beiden Kandidaten »ein glaubhaftes Konzept zur Bewältigung der Wirtschaftskrise« vorlege - was immer das heißen mag für einen ehemals hochrangigen Funktionär des sowjetischen Jugendverbands Komsomol und heute einer der reichsten Männer des Landes. Sein Vermögen wird auf über 350 Millionen Dollar geschätzt. Am vergangenen Wochenende nun äußerte er, daß ihn Timoschenkos Angebot reize.

* Aus: junge Welt, 3. Februar 2010


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