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Wirtschaftsreformen nach IWF-Rezept

Kiew buhlt um die Gnade der Finanzorganisationen und um ausländische Investitionen

Von Hannes Hofbauer

Kniefällig geschriebene Berichte an den Internationalen Währungsfonds (IWF) sind stets eine traurige Angelegenheit. Wenn Regierungen und Präsidenten ihre »Letters of Intent « nach Washington schicken, um guten Willen in der Hoffnung zu demonstrieren, demnächst den nächsten Kredit zu erhalten, ist daraus meist die Unterwerfung des Schwachen unter die Vorgaben der internationalen Finanzorganisation herauszulesen.

Ob alte oder neue Macht in der Ukraine, die »Letters of Intent« gleichen einander. So las man in einem solchen Brief an den IWF vom 11. März 2004: »Das Hauptziel unserer (ukrainischen – d.A.) strukturellen Reform ist die Verbesserung des Investitionsklimas (...) Die Steuerreform bildet darin ein zentrales Element. «Um den selektiven Geldhahn aus Washington zum Fließen zu bringen, unterschrieb der damalige Regierungschef Viktor Janukowitsch artig auch folgendes: »Am 1. Januar 2004 wurde die Körperschaftssteuer (für Unternehmen, d.A.) von 30 auf 25 % gesenkt (...) Gleichzeitig haben wir die Steuerbasis verbreitert. (...). Prioritär war dabei die Außerkraftsetzung von Ausnahmen, für die bislang keine Mehrwertsteuer bezahlt werden musste … Vorzugs-Mehrwertsteuersätze für die Landwirtschaft enden zudem mit Jahresende 2004.« Massensteuern rauf, Unternehmenssteuern runter – so die Forderung des IWF, der die alte wie die neue Regierung folgt. Der Brief vom März 2004 garantierte dem IWF weiter, »öffentliche Ausgaben und soziale Privilegien zu durchforsten «, eine Rentenreform durchzuführen, finanzielle Unterstützungen für Staatsbetriebe, die Landwirtschaft und die Kohleindustrie zurückzufahren und Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor strikt an Rationalisierungen zu knüpfen.

Dem Währungsfonds war das alles nicht genug oder er war der leeren Worte satt. In einer Studie unmittelbar nach dem Machtwechsel warf das neoliberal eingestellte Center for Social and Economic Research (CASE) der alten Regierung Janukowitsch vor, dass trotz aller Versprechungen »die öffentlichen Ausgaben im Jahr 2004 um 7,2 % gestiegen« seien, wobei die Ausgaben für die Unterstufe der Schulen um 8,5 und für das Gesundheitswesen um 12,3 Prozent wuchsen, was die Spitze der als Verschwendung begriffenen Politik war.

Die neue Regierung unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hat forsch begonnen. Unverzüglich wurde jede staatliche Unterstützung für Branchen wie die Metallindustrie oder den Automobilbau eingestellt, staatliche Programme für Industrieproduktionen wurden gekappt. Auch bevorzugte Tarife für Transporte der staatlichen Bahn gehören der Vergangenheit an. Der Forderung der Weltbank, sämtliche 14 »Freien Produktionszonen« der Ukraine zu schließen, kam Timoschenko gleichfalls nach. In diesen Zonen, so die Kredithüter aus Washington, war ohnedies nur Schwarzgeld gewaschen worden. Erst deren Schließung ermöglichte die Debatte um die Auszahlung der zweiten Tranche eines Stand-By- Kredites, der bereits unter Janukowitsch ausgehandelt worden war.

Ausländische Firmen, die in solchen »Freien Produktionszonen« profitabel tätig waren, wie Philips im westukrainischen Mukatschewo, werden sich freilich solche Eingriffe in ihre Kalkulation – immerhin sind »Freie Produktionszonen« bekannt für Steuerfreiheit und andere Vergünstigungen – nicht gefallen lassen. »Wir warten jetzt auf gerichtliche Reaktionen der ausländischen Investoren«, meinte dazu Alexander Popow vom Wirtschaftsministerium im Gespräch. Der Vertragsbruch kann der Ukraine noch teuer zu stehen kommen.

Die staatliche Attacke auf die ukrainische Industrie zielt freilich in erster Linie auf die Janukowitsch- freundlichen Oligarchen. Sie sind es, die jahrelang von Steuergesetzgebung und verbilligtem Transport profitiert haben. Und ihre Bilanzen werden durch die neuen Dekrete gehörig durcheinander geraten. Wolodimir Schepetin von der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei erklärt, dass allein die Streichung reduzierter Mehrwertsteuersätze für Exporte etwa 20 Prozent höhere Kosten verursachen wird. Am Betteltuch werden die Superreichen dennoch nicht nagen.

Anders könnte das für den ohnehin schwachen Mittelstand aussehen. Der droht dieser Politik zum Opfer zu fallen. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat die Notenbank unter Ministerpräsidentin Timoschenko den einheimischen Griwna gegenüber Dollar und Euro um 6 Prozent aufgewertet, um die Inflation zu stoppen, die derzeit bei jährlich knapp 15 Prozent liegt.

Dies sei eine ideologische Entscheidung, die »keine Beziehung zum Markt hat«, empört sich der Ökonom Oleksij Plotnikow vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen. Vor allem für den exportorientierten Teil der heimischen Wirtschaft ist eine Politik der Währungsaufwertung eine Katastrophe. Was kurzfristig die Oligarchen schädigt, hat langfristig schlimme Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft, weil ausländische Importeure jetzt besonders leicht Fuß fassen und Geschäfte machen können. Umso bessere, seit Juschtschenko versprochen hat, die Zölle – wie im Fall der Landwirtschaft – gänzlich zu streichen.

Zudem leert die Griwna-Aufwertung die Konten des Mittelstands, der seit Jahren seine Ersparnisse in Dollar anlegt. »Weltbank und IWF schweigen zu dieser schlechten Politik «, meint Plotnikow. Kein Wunder, denn der beliebteste Washingtoner Berater in Kiew, der Schwede Anders Äslund, segelt unter monetaristischer Flagge.

Ziel auch dieser Politik ist das Anlocken ausländischen Kapitals, das sich in einem inflationsfreien Umfeld entfalten soll. Oleksandr Schnirkow vom Institut für Internationale Beziehungen, das heute als Denkfabrik für NATO-und EU-Anpassung fungiert, gibt die Richtung vor: »Zurzeit liegt der Anteil ausländischer Direktinvestitionen in der Ukraine pro Kopf bei mageren 130 US-Dollar. Unser Ziel sind 1000 USDollar. Erst bei dieser Größenordnung können ausländische Investoren Einfluss auf dem heimischen Markt bekommen«, was dem Vizedirektor des Instituts offensichtlich ein Herzensanliegen ist.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juni 2005


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